Traumprosa
(II)
Das
Uneindeutige, Flüchtige des Augenblicks, in dem ich mich zumeist
befinde, wird deutlich. Der sinnlichen Begegnung ausgeliefert, bin ich
ständig auf der Suche nach der schützenden, erklärenden
Sprache. Allein in diesem Zustand bin ich mir nahe, gelingt es mir,
ein rätselhaftes Eigenleben zu führen. Zwischen Trägheit
und Gespanntsein, Unentschlossenheit und schlauer abwägender Intelligenz,
Gewalt und Passivität lasse ich mich treiben, bäume ich mich
auf, suche Schutz vor diesem Sog in einer Sprache, deren Genauigkeit
und Eindringlichkeit das Spiel dieser Widersprüche beherrscht und
erklärt. Eine manische Produktion aus Sehnsucht nach Lust und Erlösung,
versehen mit dem Makel des Schuldhaften, des Skandals, des Unmöglichen,
Gesetzlosen.
Bin
in der Naschmarkt-Flohmarkt-Gegend unterwegs. Es ist Nacht, vor mir
riesige leere Flächen, der Wind pfeift. Es ist sehr dunkel, die
Strassenbeleuchtung ist ausgefallen. In der Ferne höre ich die
Stimmen einiger mir bekannter Autorinnen, sie lachen hämisch, machen
anzügliche Bemerkungen über mich. Bald sind sie verschwunden,
es wird noch dunkler. Die Plätze verengen sich zu einer Gasse,
ich gerate in ein Lokal, dort wird der lange Refrain eines typischen
Wienerliedes gesungen, das ist der alte Wein, das ist der junge
Wein..., immer gleich. Hände greifen nach mir, vor allem
in die Geschlechtsgegend, es wird immer bedrohlicher, ich soll zu einem
öffentlichen Orgasmus gezwungen werden.
In
diesem Sinn weiterträumen, denke ich mir, wiege mich in einer trügerischen
Gewissheit. Was meinem Auge weiss erscheint, halte ich für schwarz.
Diese Fähigkeit zur Erkenntnis wird mir von mir nahestehenden Personen
vorgeworfen, man beschuldigt mich, destruktiv zu sein, zersetzend. Welche
Beweggründe sollte ich haben, meine Zuneigung zu einer Person zu
unterminieren? Unsinn. Man vergisst den Schatten, das unauflösbare
Substrat, welches die Kehrseite jeder Ehrfurcht und Zärtlichkeit
bildet, bilden muss. Ich möchte leben, ich spüre, wie ich
leben will, mit welcher wahnwitzigen Kraft meine Finger sich an den
letzten Halt klammern. Nein, Meine Beweggründe wird niemand verstehen.
Für euch steht einfach viel zu viel auf dem Spiel. Wie kann der
geheime Verkehr zwischen den Menschen befördert werden? Es geht
darum, die Chemie der zwischenmenschlichen Beziehungen den ungeheuerlichen
Maschinerien dieses Zwangsstaates, für den wir wenig mehr als eine
Bakterienkultur darstellen, eine von vielen übrigens, zu entziehen
und zwar ganz und gar zu entziehen. Denn: nicht einmal die brutalste
Vergewaltigung könnte schrecklicher sein als das, was sich zwischen
uns, und damit meine ich mich und die paar mir nahestehenden Personen,
abspielt. Immer wieder werde ich eingeladen, fremdes Territorium zu
betreten wehe, ich verhalte mich wie ein lebendes Wesen und nicht
wie ein vorprogrammierter Automat. Eine Beurteilungs- und Verurteilungsprozedur
wird in Gang gesetzt, die rasch und sauber schlussendlich zur vollständigen
Liquidierung meiner selbst führt. Man bedenke, dass es sich dabei
nicht um eine Metapher, um ein literarisches Kunstmittel handelt. Nein,
denn wenn mein Spiegelbild in anderen Personen mutwillig und absichtsvoll
zerstört wird, werde ich ganz real unsichtbar, höre auf zu
existieren. Archaische Todesängste bedrohen mich, ich flüchte,
breche aus, verkrieche mich. Ich passe mich an. Natürlich kann
ich so sprechen, so gestikulieren, wie es verlangt wird, man erteilt
mir das Wort, lächelt mir geschäftsmässig zu, ich darf
so etwas wie eine Position einnehmen, eine ganz ephemere natürlich.
Ich leide nicht mehr mein Leiden äussert sich hier in der
Unfähigkeit zu leiden. So gesehen, besitze ich die Stärke
eines Roboters, aber es ist eine trügerische Stärke und ich
bezahle dafür mit meinem psychischen Tod.
Ich
bin in Kitzbühel mit meiner Mutter in der Gegend der Griesgasse
Nähe Sägewerk, wir treffen eine Frau Mühlbacher, Kitzbühlerin
mittleren Alters. Sie hat sich am Hals operieren lassen, wahrscheinlich
Kehlkopfkrebs, sie hat dort eine riesige schwarzrötliche Wunde.
Es kommt zu einem Wortwechsel mit meiner Mutter, ich sage, auf keinen
Fall soll man sich so operieren lassen. Sie beginnt sehr aufgeregt zu
schreien, sagt, so also würdest du mit uns umgehen, und wirft die
Tür zu. Anscheinend bin ich gleichzeitig im Freien und in einem
Zimmer. Durch den Knall gerate ich in ein schönes Halbbewusstsein:
eine Frau formt einen grossen Kuchen Hippies betteln mit Musik. Meine
Mutter ruft aus dem Klausnerfeld, ich erwache in der Griesgasse und
suche meinen Block, um den Traum zu notieren. Im Nebenbett, das unbenützt
ist, finde ich verschiedene Schreibsachen, auch einen alten Kalender
von mir, in dem ich Bodos Namen lese. Ich notiere den Traum und gehe
langsam ins Klausnerfeld. Dann erwache ich.
Die
Herren, und das sind die anderen, Frauen und Männer gleichermassen,
denn sie vollziehen an mir das Gesetz, träumen von unterworfenen
Körpern, den Tiermaschinen und den Automaten, aber ich kehre ihnen
den Rücken. Bewegung, ich laufe davon. Die Frage ist nur, lebe
ich? Ist diese seltsame Existenzweise, dieses Selbstdeklassement, das
quer durch meinen Körper verläuft, ist dieses Verlöschen
von Genickschuss zu Genickschuss, etwas, für das sich zu leben
lohnt? Wirklich, ich bin keine Zynikerin, ich beobachte und kommentiere
lediglich. Ich weiss natürlich auch, dass ich solche Sachen, solche
Äusserungen, die wie Selbstentblössungen klingen, die den
Anschein wecken, als sagte ich etwas wie die Wahrheit über mich,
dass ich das alles nicht sagen dürfte, da es so oder so auf mich
abfärbt. Operationen, die mich real betreffen, können auf
Grund dieser Äusserungen an mir bzw. gegen mich durchgeführt
werden, wobei es ganz egal ist, welche Sätze mehr oder weniger
wahr sind, denn in jedem Fall haben alle diese Sätze mit mir zu
tun, sie stellen Angriffspunkte dar und das ist das Ausschlaggebende.
Und so einen Vielfrontenkrieg zu führen bin ich auf keinen Fall
imstande, es geht ja so schon kaum mehr. Habe nur deshalb bis auf den
heutigen Tag überlebt, weil ich meine wahren Ziele vor der Öffentlichkeit
verberge. Ketzereien dieser Art, ausgesprochen in einer Welt ausgedehnter
und lebensfeindlicher Wüsten, ziehen die Blicke in eine ganz bestimmte
Richtung, nämlich auf dieses unscheinbare, verkommene, armselige
Versteck, in dem ich mein Leben zubringe. Hier vegetiere ich, gebe mich
allerlei Träumereien hin, versuche, meiner Lebensführung manchmal
den Anstrich von Arbeit, manchmal den Anstrich von geniesserischer Lebensfreude
zu verleihen, aber daran glaube ich nicht einmal selber. Trotzdem strebe
ich nach etwas und das kann mir niemand nehmen. Ich habe mir geistige
und körperliche Vollkommenheit und Reinerhaltung sowie Kontrolle
meines Bewusstseins zum Ziel gesetzt. Aber Eingeweihte bin ich keine,
soviel ist mir auch klar.
Jemand,
der dem Maler Hans Jöchl ähnelt, hat grosse Reformen eingeleitet,
Messungen für eine Kläranlage vorgenommen, eine neue Schule
geplant, Ackerbau ohne Gifte u. ä. Ich folge ihm auf einen Neubau,
er trägt einen grünen Rucksack, dreht sich zu mir um und lächelt.
Von einer Fabrik hängen grosse schwere Schmutzwolken über
der Stadt. Auf dem riesigen Parkplatz des Flughafens finden jede Nacht
fürchterliche Morde statt. Viele Menschen werden in ihren Autos
abgeschlachtet. Ich gehe in der Dunkelheit an einem Bahndamm entlang,
Männer in gelber Regenkleidung arbeiten da, es herrscht Katastrophenstimmung.
Ich bin aus einer Schule geflüchtet, bin über einen hohen
Drahtzaun geklettert. Da sind auch Burschen im Gefängnis, Robert
ist blutbesudelt nach Hause gekommen. Es sind schon wieder Fotos von
Ermordeten in der Zeitung.
Ich
habe ein Recht auf meine tiefe Traurigkeit. Dies nämlich ist ein
umfassender Überblick über die menschliche Müllhalde
in mir. Ein unvorstellbarer Haufen menschlichen Abfalls, das bin ich.
Und das sind meine Visionen es sind Visionen von der dunklen
Seite des Menschen, düster und unheilverkündend. Es ist nicht
nur das Unbekannte, sondern das Was-niemand-wissen-will. Das Betrachten
und Examinieren dieser Gegenden muss erst noch gelernt werden. Männer
können das nicht. Männern eignet Nüchternheit und Zielstrebigkeit,
aber sehr wenig Talent, Frauen? Frauen zeichnen sich durch ungeheure
Intensität und beispiellose Wildheit aus. Der rätselhafte
Augenblick! Ich bin in einem Zustand äusserster Wachheit. Alles,
was mir angetan worden ist in den Kellern meiner Kindheit, alles, was
ich unter ständiger Lebensgefahr gelernt habe, im düsteren
Schnee, am hellen Bach, der Schrecken aus heiterem Himmel, liess mich
mit wachsender Verzweiflung um Hilfe betteln. Beliebige Menschen habe
ich angebettelt, ohne sagen zu können worum. Ich kann es bis heute
nicht sagen. Der Leerraum des Unvermögens, den diese Sprachlosigkeit
einschliesst, das ist es, was ich hier vorrangig erforsche. Zwar werden
wir von denen, die uns in der Kindheit belehren, zum Selbstgespräch
gezwungen, Zwar hatte ich, wie jedes Kind, Hunderte von Lehrern, die
mir genau sagten, dass und wie ich mit mir selbst sprechen sollte. Damals
fühlte ich mich stark, wagemutig. Ich hörte jedes Geräusch.
Ich gewahrte jede Veränderung des Lichts oder der Schatten um mich
her. Heute habe ich nicht mehr die Macht, mich vor meinen eigenen Befehlen
zu schützen. Heute führe ich mein Selbstgespräch so,
wie ichs gelernt habe, so wie die anderen, so ähnlich wie die Menschen,
die ähnlich denken und fühlen wie ich nein, ich drehe
mich im Kreis, Könnte ich so ähnlich denken und fühlen
wie die anderen, wäre ja alles gut. Wie ich! Das Sicherheitsnetz.
Warum halte ich die Luft an?
Hanna
macht mir vor, wie sie fliegt: man braucht nur die Hände, die Finger
richtig zu bewegen, nicht die Arme. Aber alle Muskeln anspannen!
Das
ist es, fällt mir ein! Dieses Sicherheitsnetz existiert, ich halte
mich daran fest mit jedem Wort, mit jedem Satz, den ich spreche, ja
mit allen meinen Handlungen, denn auch Handlungen sind nichts als Sätze,
kurz, mit allem, was ich tue. Jedes Wort ein Fallstrick. Gedankensprünge,
spontane Regungen, ob Zuneigung ob Abscheu, blitzen auf, manchmal glaube
ich sogar selber an mich. 24 Stunden Wachsamkeit am Tag, bei allem was
ich tue! Dort muss ich mich packen, bei diesem stabilen Misstrauen,
bei diesem diffusen Unbehagen, diesen Pannen, die mich verdrossen und
borniert machen. Ich kann mein Glück nicht in der Welt der Namen
finden.
Der
erste Teil dieser längeren, entstehenden Arbeit ist in manuskripte
89/90 veröffentlicht.