Sie
liebten sich auch heute vor
dem Aufstehen, so wie seit Jahren Morgen für Morgen, fast ohne
Ausnahme. Da gibt es Aufzeichnungen, minutiös notiert von Emilda
in ihrem Wandkalender. Ein Herz neben dem Datum bestätigt dies.
Rot für den Morgen, andersfarbig, je nach Laune, die zusätzlichen
Liebeleien. Meist geht es schnell, doch heute morgen lassen sie sich
Zeit, als müsste ihr Mann, mein schmackhaftes Mannsbild,
mein hartes starkes, wie sie ihn nennt, nicht zur Arbeit. Vielleicht
auch, da Emilda im vierten Monat schwanger ist und dieser Zustand Carlos
vorsichtig langsam und auch genussvoller sein lässt.
Wer
versteht schon die Männer und deren Eigenheiten, denkt sie und
dreht sich, nachdem Carlos abgestiegen war und sich für die Schicht
fertig machte, noch ein wenig zur Seite und schlummert entspannt ein,
bis die Hitze unterm Eternitdach unerträglich wird und sie mit
hämmerndem Kopfschmerz erwachen lässt.
Langsam dreht sie
sich aus dem Bett und tastet sich nach draußen, um ihren Kopf
in die Waschschüssel zu stecken, ihn versucht abzukühlen im
laschen Seifenbad, das Hämmern aufzuweichen. So bleibt sie eine
Zeitlang. Mit vor Schmerz zusammengekniffenen Augen schiebt sie immer
wieder die Wäsche, welche sie gestern Abend eingeweicht hatte,
zur Seite. Dann beginnt sie langsam mit den notwendigsten Haushaltsarbeiten,
kehrt den Dreck vor der Tür ins offene Rinnsal, möge Gott
ihn weiterleiten, wringt die Wäsche aus und hängt sie über
der Eternittraufe zum Trocknen auf. Der Kopfschmerz verdunstet. Zum
Essen gibts heute Bohnen mit Reis und Maniokmehl, Aufgewärmtes
von gestern.
Carlos wird, wenn
er heut Abend von der Schicht kommt, seine Wochenration mitbringen,
denkt sie erleichtert immer wieder. Auch wenn er wenig bringt
diese verdammten Blutsauger er kommt nicht mit leeren Händen.
So hängt sie ihren Gedanken nach, während der Tag träge
dahinschleicht. Es ist ein sonniger, überaus heißer Tag,
bis jetzt ein ruhiger. Keine Schüsse, kein Geschrei, kein Gezänk
mit den Nachbarn, kein Besuch der Wahlwerber, der Pseudosozialarbeiterin.
Keine Polizei. Nur der Gestank verfaulender Lebensmittelreste und wohl
auch einer toten Ratte oder Katze in nächster Nachbarschaft stören
sie heute mehr als sonst. Da soll noch einer sagen, man gewöhne
sich an alles. Sie hätte heute gerne frische, würzige Luft
um sich, stellt sich vor, am Gipfel dieses Berges zu stehen und ins
Tal, auf den tiefblau glitzernden See zu schauen, und tief, tief durchzuatmen.
Immer, wenn es ihr nicht besonders gut geht, blickt sie länger
als zufällig auf diesen Zeitungsausschnitt, den sie sich vor langer
Zeit an die Wand gehängt hatte und der sich heute an den Rändern
schon leicht vergilbt zeigt, verkriecht sich förmlich darin. Sie
hatte dieses Foto vor Jahren am Strand aus einer achtlos liegengelassenen
Zeitschrift, die wohl einem Gringo gehört hatte, behutsam herausgelöst.
Blick auf Faaker
See, Mittagskogel und Türkenkopf. Kärnten, Österreich.
Ist das vielleicht
Amerika, vielleicht Deutschland? Italien? Die Sprache ist ihr fremd,
bis heute. Doch das Bild für sich hat etwas an ihr unbekannter
Frische, lässt förmlich klare Luft in die Baracke strömen.
Es ist nichts Stickiges im Bild, nichts Faules, Modriges, nichts Wucherndes,
Salzgeschwängertes. Eine reingewaschene Landschaft mit vergilbten
Rändern, so putzig lieblich aufgeräumt und reingewaschen.
Vielleicht sogar unwirklich.
So
steht sie also am Gipfel des Berges, während es im Hier und Jetzt
schon dämmert, und atmet eingebildete Frische, als sie das Geschrei
und Gezeter eines Menschenauflaufs vor ihrer Hütte abrupt auf Meereshöhe
und zurück in die Baixa Fria, die kalte Tiefe, einer Favela in
Boca do Rio, der Flussmündung, Salvador, Bahia, Brasilien bringt.
Sie steht auf, zupft sich ihre Haare zurecht, blickt kurz in den Spiegel,
fährt sich mit der Zunge über ihre vollen Lippen, die, sie
bemerkt es mit Erstaunen, trocken und kühl sind wie die Luft im
Bild, und tritt ins Freie.
Als sie so dasteht
und in die Menge blickt, wird es immer stiller. Sie spürt, dass
etwas Schreckliches passiert sein muss. Da sind auch Antonio und Angelina,
seine schwangere Frau. Angelina besuchte vor Jahren mit ihr gemeinsam
einen von der Gemeinde angebotenen Nähkurs. Beide träumten
damals davon, nach Beendigung des Kurses hübsche Kleider zu nähen,
diese zu verkaufen und so vielleicht reich zu werden und die Welt zu
bereisen. Kein Reisen allerdings, bevor nicht ein Haus mit vielen Zimmern
und vielen Bädern in einem geschlossenen, rund um die Uhr bewachten
Kondominium, mit Swimmingpool und Garage für mindestens drei Autos,
ihr eigen sei. So wurde es beschlossen. Lachend. Aus der Kleiderkollektion
wurde dann aber doch nichts, es fehlte das Geld zur Anschaffung einer
Nähmaschine. Und als dann Angelina Antonio den Buschauffeur
kennenlernte, und sie Carlos den Busschaffner, wechselte auch der Traum.
Die Liebe kam ins Spiel. Und alles änderte sich.
Emilda wundert
sich, warum Antonio hier unter den Leuten ist. Er sollte doch eigentlich
unterwegs sein um diese Zeit, seinen Bus steuern. Sie beginnt zu ahnen,
dass Carlos der Grund des Auflaufs ist, sie sieht ihn nicht unter den
Leuten. Angelina kommt auf sie zu, sanft vorgeschoben von Antonio, sein
Haupt gesenkt. Als sich die beiden Frauen gegenüberstehen, bricht
Angelina in Tränen aus und umarmt ihre Freundin. Carlos ist
tot, sie haben Carlos erschossen, schluchzt sie Emilda ins Ohr. Diese Hurensöhne!, kommt es laut aus der Menge, verfluchte
Diebe, dreckige Köter, alles nur wegen ein paar lausigen Reais.
In der Hölle werden sie braten, diese räudigen Hunde!
Die Stimmen mischen sich, der Sinn geht Emilda verloren, die Welt wird
unförmig, die Töne rauschen. Sie hält sich ihren Bauch,
nimmt Kontakt mit dem Teil von Carlos auf, das er ihr lebend zurücklässt,
will es greifen und nie mehr, nie, nie mehr loslassen. Sie kann nicht
weinen. Luft fehlt ihr. Antonio fängt ihren Körper auf, kurz
bevor er ins offene Rinnsal geknallt wäre.
Emilda wacht auf
und fühlt sich tot. Es stinkt, die Luft ist stickig heiß.
Neben dem Bett sitzt Angelina, hält ihr die Hand und schaut sie
mitleidsvoll an. Angelinas Augen sind rotgeweint, Antonio an ihrer Seite
wirkt ratlos, versteinert. Carlos ist tot, sie haben Carlos erschossen.
Diese Worte hämmern in Emilda, nehmen von ihr Besitz. Gott, Jesus
Christus, sagt mir, dass ich träume. Lasst mich nicht in dieser
Welt bleiben, weckt mich auf an Carlos Seite. Lasst es wieder
gestern sein. Ja, bitte, lasst es gestern sein, bitte. Angelinas Antlitz
verschwimmt und erlischt.
Es passierte schnell,
überraschend, erzählt Antonio. Sie waren zu zweit. Eingestiegen
sind sie an der Haltestelle Amaralina, Richtung Itapuan. Der Haltestelle
nach dem Stand, an dem die Baianas ihr Acaraje verkaufen, ihr wisst
schon. Er erinnere sich unter anderem deshalb so genau daran, da sich
eine Frau beim Einsteigen an dieser Haltestelle im Kreisel vor Carlos
Kasse verklemmte und mit Hilfe von Passagieren herausgezogen werden
musste. Zumindest versuchte man es. Bis zu einem gewissen Punkt eine
Geschichte zum Totlachen, eine groteske Situation war das. Die Frau
war immens. Er schätze, so um die 135 Kilo. Wenn nicht mehr. Ihr
Körper steckte fest, der Kreisel drehte sich weder vor noch zurück.
Zuerst lachte die Frau noch dieses verlegene Lachen, es wird schon,
es wird schon, doch nach fünf Minuten resultatlosem Herumgeschubse
kam leichte Verzweiflung auf. Und wohl auch Schmerz. Ah, meine
Beine, meine Beine schwellen an. Um Gottes Willen, tut was, Leute!
Man kam gemeinsam mit hilfsbereiten Passagieren zum Schluss, dass es
keine andere Möglichkeit gäbe, als den Kreisel am Fußpunkt,
wo er verschraubt war, abzumontieren, zu zerlegen. Und bei diesem Akt
ging einer der Banditen an die Hand. Dumm von ihm eigentlich, wenn man
es sich genau überlegt, jetzt, im Nachhinein. Es war der kleinere
der beiden. Hellhäutig, mit fetten Haaren. Bekleidet mit roten
Adidasshorts und einem dreckigen weißen T-Shirt mit der Aufschrift
Jesus é o Senhor. Ja, Jesus ist der Herr. Amen. Er
war bereits durch den Kreisel durch, hatte bei Carlos eine Karte gelöst
und sich hinter dem Fahrersitz niedergelassen. Als er sich bückte,
um die Schrauben der Verankerung zu lösen, fiel der Revolver, den
er unter seinem Shirt versteckt hatte, auf den Boden. Antonio habe den
Revolver, es war ein abgegriffener 38er, als erster gesehen und diesen
schnell entschlossen wie einen Ball nach vorne geschossen. Zwei weitere
Passagiere stürzten sich blitzschnell auf den Kleinen und versuchten
ihn festzuhalten, als plötzlich ein magerer, hochgeschossener Mulatte
mit freiem Oberkörper, der angelehnt neben Carlos Kasse sich
bis jetzt das Schauspiel der Befreiung der Verklemmten angeschaut hatte,
einen Schuss ins Busdach abfeuerte und laut schrie, dass dies ein Überfall,
sein Partner loszulassen sei, und zwar sofort, und Carlos ihm das Geld
aus der Kasse zu überreichen habe. Auch dies sofort. Es herrschte
absolute Stille im Bus. Carlos habe seelenruhig die Münzen und
Scheine zusammengehäuft, auch die Essensmarken, mit welchen ja
viele hungrig ihre Busfahrt zahlen, und alles mit ruhiger Hand dem Hochgeschossenen
in die von diesem hingehaltene Plastiktasche geschüttet. In der
Zwischenzeit hatte sich der Kleine seinen Revolver wieder geholt und
war bei der Vordertür ausgestiegen. Der Mulatte nahm die Tasche
und begann rücklings hinten auszusteigen, mit der Drohung, dass
sterbe, wer den Helden spielen wolle. Kaum hatte er den Satz zuende
gesprochen, hörte man einen Schuss, dieses mit Metall überzogene
Klatschen, das Klirren von splitterndem Glas. Antonio sah Carlos
Kopf abrupt auf die Kasse nach vorne kippen. Sogar der hochgeschossene
Mulatte erschrak. Es war der kleine weiße fetthaarige Hurensohn,
der vom Gehsteig aus in den Bus gefeuert hatte. Die Kugel traf Carlos
im Hinterkopf, er wolle sich jetzt Details ersparen, schön habe
das Ganze nämlich nicht ausgesehen. Blut füllte die leere
Kassenlade und tropfte dann auf den Fußboden, sammelte sich um
den Kreisel, ließ die eingeklemmte Fettleibige in einem roten
See stehen. Diese schrie jetzt hysterisch und versuchte ohne Erfolg,
die Beine zu heben. Es war ein absolutes Durcheinander im Businneren,
die Menschen drängten sich nach kurzer schweigsamer Schockphase
ins Freie, trampelten sich beinahe gegenseitig nieder. Er selbst sei
nur dagestanden und habe auf Carlos gestarrt, wie er so vornübergebeugt
da saß und sein Blut verlor. Er habe gleich bemerkt, dass hier
auch ein Arzt nicht mehr helfen könne. Eine halbe Stunde später
kam dann die Polizei, die eingeklemmte Frau wurde, sie hing schlaff
und ohnmächtig im Kreisel, von fünf kräftigen Männern
aus dem Bus getragen und in den Schatten einer Kokospalme gelegt, wo
sich eine der Baianerinnen ihrer annahm, ihr Kokosmilch einflößte
und die Wangen streichelte. Carlos wurde lange Zeit in seinem Kassierersitz
gelassen, es dauerte ewig, bis ein Leichenwagen kam. Er selbst, Antonio,
habe telefonisch um Vertretung gebeten, er sehe sich außerstande,
in die Zentralgarage zu fahren. Dies wurde ihm genehmigt, und so stieg
er in den nächsten Bus und fuhr nach Hause. Er sei die Heimfahrt
über selbst wie tot gewesen, konnte nichts fühlen, kam sich
vor, als schwebe er körperlos den Strand entlang, seiner Baracke
zu. Erst als er Angelina daheim die Nachricht überbrachte, schreckte
ihn deren Reaktion wieder aus diesem halbschlafartigen Zustand heraus.
Da haben sich dann beide aufgemacht, um Emilda die traurige Botschaft
zu überbringen.
Zwei Wochen schon
ohne Carlos. Zwei Wochen im Bett und keine Zeichen im Wandkalender.
Sie müsse raus aus dem Bett, sich bewegen, könne doch nicht
ewig so liegen bleiben und in die Ferne starren. Das Leben gehe schließlich
weiter, sie solle an ihr Kind denken, das sie unter dem Herzen trage.
Carlos Kind, sein Nachlass. Angelinas zureden hilft nichts. Tag
für Tag verbringt sie am Bett ihrer Freundin, redet ihr gut zu,
hält ihre Hand, macht ihr die Baracke sauber. Zum Unglück
regnet es in Strömen schon seit Tagen. Es sind die Märzregen,
die den Sommer beschließen, dieses Jahr besonders hartnäckig
und ausgiebig. Der Gestank ist unerträglich um diese Zeit, dazu
kommt, dass die Wassermassen Fäkalien von Tier und Mensch, all
den Dreck der Baracken den Hügel herunterschwemmen. Zum Teil dringt
dieses stinkende, schleimige Gemisch in Emildas Baracke, immer schon
war es so, doch diesmal ist es Angelina, die versucht, die Rinnsale
umzuleiten. Emilda liegt regungslos, starrt an die Wand, den ausgegilbten
Zeitschriftenausschnitt an.
Ist
das hier das Haus von Carlos Alberto Santos de Jesus? Hallo, jemand
zu Hause? Es hat zu regnen aufgehört. Gestern schon, Gott
seis gedankt. Die Hitze und Schwüle ist besser zu ertragen
als diese Himmelsweinereien, diese den Sommer abschließenden Tränen,
die der Favela nur Dreck bringen und auch sehr oft den Tod. Dreimal
klopft Emilda auf die Holzplatte. Kein Erdrutsch in all den Jahren in
näherer Umgebung. Keine verschütteten Familien, keine Verluste
von Freunden und liebgewonnen Nachbarn. Der Regen ging gestern und Emilda
erhob sich mit dem letzten fallenden Tropfen. Sie fühlte sich leer,
wie ausgewaschen, doch sehr lebendig, irgendwie leicht. Auch heute lebt
sie diesen Zustand sehr bewusst, es gibt keine Trauer, aber auch keine
Freude. Als sie jetzt den vollen Namen Carlos rufen hört,
sticht dies nicht in ihr Herz. Carlos ist nicht abgetrennt von ihr,
immer noch ihr Mann. Wenn er auch unter der Erde ist jetzt, begraben
ohne ihr Beisein bei der Zeremonie, denn sie wollte keine Bilder davon
mit in die Zukunft nehmen, er ist ihr Mann, und das bleibt er, wird
er immer sein. So sieht sie es, und basta. Wer ist es denn, der
mit Carlos sprechen will? ruft sie, ohne dabei den Kochlöffel
aus der Hand zu legen, das Umrühren der kochenden Bohnen zu unterbrechen.
Er komme von der Busunion und habe einen Brief der Direktion, den er
übergeben möchte. Ob er reinkommen dürfe? Wortlos legt
Emilda den Kochlöffel zur Seite, dreht die Gasflamme auf die kleinste
Stufe zurück, wischt sich die Hände an der Schürze ab,
sanft gleiten sie über den straffen Bauch, und geht hinaus.
Salvador
am 20. 03. 1998
Sehr
geehrte Frau Emilda
der durch einen Überfall am 26 / 02 / 1998 entstandene Teilverdienstentgang
auf der Linie Rio das Pedras R1 beträgt nach den vorliegenden Erfahrungswerten
unserer Statistikabteilung 375,00 R$ (dreihundertfünfundziebzig
Reais).
Bitte zahlen Sie diesen Betrag innerhalb der auf der beiliegenden roten
Zahlkarte ausgewiesenen Frist bei einer der auf der Rückseite derselben
angeführten Banken ein.
Wir eröffnen Ihnen auch die Möglichkeit einer Zahlung in 3
Raten zu je 165,00 R$ (einhundertfünfundvierzig Reais). Verwenden
Sie dazu bitte die drei grünen Zahlkarten.
Bei Nichteinhaltung der angegebenen Zahlungsfrist/en verrechnen wir
eine Verzinsung von 16,5 % pro Monat sowie eine zusätzliche Strafe
von 15,00 R$.
Hochachtungsvoll
Esperança Buslinien
Glaubst du,
soll ich auch meinen Badeanzug einpacken? Der See sieht jedenfalls auf
dem Bild sehr einladend zum Baden aus, und die Menschen dort werden
wohl auch gerne zum Strand gehen. Am Wochenende zumindest. Ob er aber
nicht doch ein wenig zu freizügig ist, vielleicht wärs
besser, sich dann einen ortsüblichen zu kaufen? Glaubst du, die
Frauen dort lieben es auch, ihre Arschbacken herzuzeigen am Strand?
Ach was, ich nehm ihn mit.
Ich kann's
noch immer nicht glauben, sagt Angelina. Diese verfluchten,
dreckigen Arschlöcher. Du solltest zur Zeitung und die Geschichte
öffentlich machen. Sowas ist doch unerhört, eine Grausamkeit
sondergleichen. Unglaublich.
Sie kriegens
eh nicht, diese stinkenden Hurensöhne. Und ich bin ihnen auch irgendwie
dankbar, denn diese teuflische Forderung macht mir die Tür zu einem
neuen, besseren Leben auf. Auch dort wird es Familien geben, die jemand
wie mich brauchen, um ihnen die Wäsche zu waschen, zu bügeln,
den Haushalt zu führen. Es sieht alles so nett aus, so gepflegt,
so aufgeräumt, findest du nicht?! Wie wohl die Menschen dort sind?
Wer weiß,
vielleicht sind sie eingebildet, hochnäsig, dumm, mögen keine
Negerinnen, haben Angst vor schwarzen Menschen, machen alles selbst,
waschen ihre Wäsche selbst, kochen selbst, räumen selbst auf,
wirft Angelina ein.
Das wär
mir egal, sie werden ja auch Kinder haben und wohl auch arbeiten, nehm
ich an, und so nicht die Zeit haben, den ganzen Tag über ein Auge
auf ihre Sprösslinge zu werfen. Sie werden mich brauchen, auch
wenn sie weiß sind. Wenn sie mich nicht ihre Unterhosen bügeln
lassen, dann pass ich eben auf ihre Brut auf und verhätschel sie,
sing ihnen unsre Lieder vor, erweitere ihren Horizont, erzähl ihnen
vom wilden, schönen Bahia und auch von der Baixa Fria, sowas kennen
die wahrscheinlich gar nicht. Ich seh da nämlich keine Favela auf
dem Foto, und das ermutigt mich noch mehr, endlich aus diesem stinkenden
dreckigen Loch hier rauszugehen. Von Geburt an hier, das reicht jetzt.
Ich mag mich nicht mehr in dieser Baracke schlafen legen, ich will nicht
mehr in ihr aufwachen. Und den Gestank halt ich auch nicht mehr aus.
Er kommt ja schon in Briefen mit, soweit sind wir schon! Da lachen
dann beide lauthals.
Emilda verspricht
Angelina, sie nachzuholen, sobald sie angekommen sei. Und Angelina glaubt
fest daran. Auch Antonio würde mitkommen. Dies habe er beschlossen,
nachdem vor Tagen schon Angelina ihm Emildas Pläne eröffnete.
Zuerst lachte er noch über die Neuigkeit, dachte, es sei ein Spaß. Gott, sie ist schon mehr nach Bagdad rüber als hier,
sagte er noch. Doch als dann Angelina ihm versicherte, dass Emilda bereits
ihre Sachen packe und von ihrer Idee nicht abzubringen sei, da begann
auch Antonio, ein wenig vom Leben in der Ferne zu träumen, sah
sich einen Omnibus steuern, wie er ihn einmal in einer Fernsehdokumentation
gesehen hatte rot und zweistöckig. So ein Ding werd
ich dann fahren, so der Herr da oben will, murmelt Antonio vor
sich hin und schnappt sich eine weitere Bierdose.
Ich will,
dass Carlos junior dort geboren wird, am Fuße dieses Berges, am
Ufer des Sees, seinen ersten Atemzug wird er dort tun. Ich weiß,
dass ich ankommen werde, jeder Schritt, den ich von heut an tu, ist
einer in diese Richtung. Ich werde das Ziel nicht verfehlen. Ich weiß
das. In der Tiefe meines Herzens spür ich es. Ich werde ankommen.
Und ihr braucht mir dann nur mehr zu folgen. Wir machen dann einmal
im Jahr Ferien hier im schönen Bahia, ja?! Und noch einmal, ich
will nicht, dass ihr mich zur Bushaltestelle begleitet.
Da steht Emilda
jetzt vor Antonio und Angelina, ein mit abgewetzten Abziehbildern beklebter
kleiner Pappkoffer neben ihr. Ihr könnt, wenn ihr wollt,
meine Baracke ausschlachten. Nehmt, was ihr braucht. Das Dach ist ok,
die Eternitplatten kaum durchlöchert. Oder vermietet sie, wenn
ihr wollt, das gibt wenigstens ein paar Reais pro Monat ab. Ich hab
alles für mich Nötige im Koffer und hier sie
streichelt in runden Bewegungen über ihren offen zur Schau gestellten
Bauch, der leuchtet wie polierte Lava, und lächelt genüsslich.
Dann breitet sie die Arme aus, schaut zum Himmel auf, atmet schnaufend
aus, und lacht schallend. Mein Gott, wie bin ich glücklich!
Dann küsst und umarmt sie Angelina, küsst und umarmt Antonio,
nimmt ihren Koffer und geht, ohne ein weiteres Wort zu sagen, los.
Oh Gott,
wird sie sich umdrehen? fragt Angelina, die Hand vorm Mund.
Nein,
sagt Antonio nach einer Weile, sie glaubt, sie geht nach Hause.
FIM