Eine
Fallstudie
Es war ein Sonntag morgen – ein
früher. Wie wach ist man an einem Sonntag morgen um acht?
Nicht wach genug, um schneller zu sein als die Tür. Und so
fand ich mich vor der Wohnungstür, mit dem
Wäscheklammerbeutel, dem noch leeren Wäschekorb und ohne
Schlüssel, und hatte noch das Klicken der Tür im
Ohr.
Dies war der Anfang einer
langwierigen und sehr australischen Geschichte, in der wenig
ökonomische Effektivität, ein bißchen
Bürokratie und viel Hilfsbereitschaft die Hauptrollen
spielen.
Erst einmal setzte ich mich auf
das Mäuerchen vor dem Haus, um auf Silke zu warten, die mich
eine Viertelstunde später zum Sonntagsausflug abholen sollte.
Der vorbeigehende energische Herr mit silbrigweißem Haupte,
der auch sonntags sein walking-Programm ernst nimmt, wunderte sich
nur wenig, als ich ihn nach seinen Schlüsseln fragte. Ich
weiß, wie poofelig die australischen Schnappschlösser
sind und gebe ihnen eine recht große Chance, dass ein
Schlüssel für viele paßt. Der silbrigweiße
Herr wußte das anscheinend auch und gab mir ohne Zögern
seine Schlüssel. Er folgte mir aber doch mißtrauisch
bis zu meiner Wohnungstür im dritten Stock und nahm's als
zusätzliche Fitneßübung. Leider paßten seine
Schlüssel nicht.
Dann kam Silke. Bevor sie auch nur
den Gedanken entwickelte, einen Parkplatz zu suchen, saß ich
schon neben ihr und erklärte ihr, dass wir jetzt die
nächste Hauptstraße hinunter und zum Makler
müßten, denn der Makler hatte Schlüssel zu meiner
Wohnung.
Während ich erklärte,
heulten drei große Feuerwehrwagen die Hauptstraße
entlang, in die meine kleine Nebenstraße einmündet. Als
wir dann in diese Straße einbogen, sahen wir sie hundert
Meter weiter vor einem Haus stehen. Silke schlug vor, wir sollten
doch hingehen und angelegentlich fragen, ob sie uns eine Leiter
leihen könnten. Mir war das aber peinlich, und ich setzte
durch, dass wir in die andere Richtung, gen Makler,
fuhren.
Der Makler hat manchmal sonntags
offen, soviel wußte ich. Aber an diesem Sonntag; und dann
auch noch kurz nach acht? Natürlich war er nicht offen. Der
hardware store nebenan war aber offen, und der freundliche
Besitzer überzeugte uns, dass das Maklerbüro jeden
Sonntag geöffnet sei, spätestens ab zehn, aber
vielleicht auch schon ab neun. Er weiß das, er arbeitet ja
da. Und ansonsten seien die LCD-Schlosser die billigsten, und sie
kommen auch sonntags. Als wir beim hardware store herauskamen, war
Licht beim Makler. Aber es war niemand da. Peinliche Minuten
klopften wir ans Maklerbürofenster, während ein halbes
Dutzend Leute direkt davor uns zuschauten, denn sie warteten auf
den Bus und waren froh, dass was zum Gucken passierte, denn
die Busse sind immer spät, und man langweilt sich so beim
Warten.
Wir gingen erstmal
frühstücken.
Die Bedienung im Café
nebenan erklärte uns, dass der Makler nie sonntags
geöffnet hätte. Sie weiß das, sie arbeitet ja da.
Aber sie würde einen billigen Schlosser kennen, der auch
sonntags kommt.
Sie ging auch gleich nach hinten
und schaute in die gelben Seiten. Und fragte hinten auch ihre
Kollegin. Die kannte auch einen billigen Schlosser, der sonntags
kommt. Jetzt hatten wir drei Schlosseradressen. Und ob wir im NRMA
(ADAC) seien? Die kämen umsonst, wenn man Mitglied
ist.
Und dann fiel einer weiteren
Bedienung hinten im Café noch ein, dass die Polizei
Generalschlüssel hat. Wir sollten doch einfach nur dahingehen
und ein bißchen mit den Augen klimpern, trug uns unsere
Bedienung zu.
Um kurz nach neun hatten wir allen
Kaffee getrunken, alle Croissants gegessen und alle
Ratschlagquellen erschöpft. Der Makler nebenan hatte immer
noch Licht, aber es war immer noch niemand da. Diesmal klopften
wir nicht mehr an die Scheiben, aber fluchten leise über
automatische Lichtschalter und überflüssige
Einbrecher-vertreibungssysteme.
Dann riefen wir von einer
öffentlichen Telefonzelle aus die Firma von Silkes Mietwagen
an. Die Firma war leider nicht beim NRMA. Auf dem Weg zur
Telefonzelle stellten wir fest, dass die drei Feuerwehrwagen
die Straße runter schon nicht mehr da waren. Ihre Leitern
hatten sie auch mitgenommen.
Also zur Polizei. Denn mit den
Augen klimpern können wir. Das Revier lag in einer kleinen
Nebenstraße und sah auch aus, als ob es sonntags geschlossen
hätte. Hatte es aber nicht.
Der latin lover hinter dem Tresen
war nicht beeindruckt von unseren Augen, sondern meinte nur, da
könne man nix machen. Die ebenso kurzangebundene Polizistin,
die hinten an einem Schreibtisch saß, meinte auch, da
könne man nix machen.
Aber dann – schlug die
australische Hilfsbereitschaft zu! Und diese einmalige Kombination
von Bürokratie und Aktivismus nahm ihren Lauf.
Ob ich etwas angelassen hätte
in der Wohnung, fragte sie. Ja, hatte ich. Der Grill im Herd
muß immer etwas vorgewärmt werden, bevor er das Toast
toasten kann. Also hatte ich ihn vor dem Wäscheholen schon
mal angestellt. Dann, sagte die Polizistin, sei das ein
Notfall.
Und bevor ich begriff, was sie
tat, und sie hindern konnte, rief sie die Feuerwehr an. Gab meine
Adresse durch. Rief den Notfall aus. Wandte sich dann mir zu und
erklärte mir, dass ich mich jetzt beeilen
müßte, zu meiner Wohnung zu kommen, denn die Feuerwehr
sei schon unterwegs, und wenn ich nicht da wäre, würden
sie die Tür einschlagen.
Mein Gott! Silke und ich rannten,
sonntagmorgenrekordbrechend, die Straße entlang, den
Hügel hinauf, zum Auto. Wir schafften es noch vor der
Feuerwehr.
Vor meinem Haus auf der
Straße standen wir, da hörten wir sie schon kommen. Und
sahen sie: auf der Hauptstraße herbeirasend, mit Martinshorn
und Sirene schreckte ein großer Feuerwehrwagen unschuldige
Bürger aus dem Schlaf. Und jagte im Feuereifer an meiner
kleinen Nebenstraße vorbei – summ. Einen Moment später
kam er wieder zurück, diesmal langsam und vorsichtig und ohne
Sirene, und fand meine Straße.
Vier ernste Männer stiegen
aus. Der Boss kam mit mir zu meiner Wohnung hoch und versuchte
erstmal eine Plastikkarte. Ich bekam Respekt vor meinem
Schloß, es hielt dicht. Dann preßte er sein Ohr gegen
die Tür. Aufgeregt und konzentriert: "Ich hör da was!
Haben Sie einen Rauchdetektor?" Ich klärte ihn auf, dass
es das Radio sein mußte, was er hörte.
Die nächste Maßnahme
war die Leiter. Sie wurde zu ihrer ganzen Länge ausgefahren,
die ersten Nachbarn sammelten sich an den Fenstern. Leider ist vor
dem Haus die Einfahrt zur Tiefgarage, der Grund liegt daher etwas
tiefer, und die Leiter reichte nicht. Dann, erklärte mir der
Boss, müßten wir jetzt die Tür einschlagen. Ich
begann, gegen hilfloses Gekicher ankämpfen zu
müssen.
Auf dem Weg nach unten traf ich
einen entschlossenen Feuerwehrmann mit Gasmaske um den Hals und
Sauerstoffflasche auf dem Rücken. Ich wollte schreien,
dass es überhaupt nicht in Frage käme, meinen
Wohnungstür einzuschlagen, und schon gar nicht mit Gasmaske
und Sauerstoffflasche. Und inzwischen sei es spät genug,
dass ich auch meine Freundin drei Straßen weiter
anrufen könnte, die einen Schlüssel hat. Erinnerte mich
dann aber daran, dass es sicher nicht so diplomatisch
wäre, diese Freundin jetzt zu erwähnen.
Ich wies also die Feuerwehrleute
darauf hin, dass auch mein Fenster nach hinten raus offen
sei. Also wurde die Leiter hinten nochmal aufgebaut, ein
klappriges Modell, das mich um den hinaufkletternden Feuerwehrmann
bangen ließ, und drei Minuten später war ich in meiner
Wohnung.
Brach endlich in das lange
zurückgehaltene Gekicher aus und rauchte erstmal eine. Und
fragte mich, und frage mich bis heute, warum die drei
Feuerwehrwagen am Ende der Straße wohl wieder so schnell
weggewesen waren.