Berndt Luef Austria Der politische Anspruch in der Musik
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In meiner Besprechung von Berndt Luefs Komposition Chile, 11.09.1973 wandte ich ein, “wenn man nichts oder wenig von lateinamerikanischer Geschichte weiß, erfordert es große Neugier, einem Ereignis ausschließlich durch instrumentalen Ausdruck nahezukommen, wenn es gänzlich ohne Worte Gefühle wie Freude, Zorn oder Trauer vermitteln will [...]”, worauf ich folgenden Brief erhielt, den ich nach Rücksprache mit dem Verfasser gerne im ausgehenden Jahr noch veröffentliche.

Berndt LuefJazztett Forum Graz
Berndt Luef
St. Peter Hauptstraße 33/V/5
A 8042 Graz
Tel.: +43 316 425016

Der politische Anspruch in der Musik

Che – ¡Hasta la victoria siempre! – ein politisches Album mit 11 Liedtexten und 9 gesprochenen Gedichten (BIS Music 2004)
Che - Hasta la victoria siempre

Berndt LuefLieber Gerald! Am heutigen kürzesten Tag des Jahres komme ich endlich dazu, Dir den versprochenen Brief zu schreiben. Diesmal auf dem Computer, da immer wieder Gedanken dazu kommen und die „Ausbesserungen“ am Computer doch leichter sind.

Deine Kritik, dass sich ein politisches Ereignis in textloser Musik schwer vermitteln lässt bekomme ich immer wieder vorgesetzt und es stimmt im Großen und Ganzen auch. Dazu einige Gedanken: wie Du weißt wurde ich in den späten 1960er Jahren sozialisiert und da hat mich natürlich der damals subversive Charakter der Musik geprägt. Die Musik der Rockgruppen hat mir damals „mitgeteilt“, dass das musikalisch und textlich etwas anderes ist als das Gedudel und Geschwafel im deutschen Schlager. Die sozialkritischen Songs der Kinks (ihr „Dead End Song“ ist aktuell wie selten zuvor), die Anti-Vietnamkriegssongs der Gruppen wie Doors, Steppenwolf, Buffalo Springfield, Jefferson Airplane und wie sie alle hießen, aber auch vom KZ Dachau habe ich zum Beispiel nicht im Geschichtsunterricht, sondern durch ein Stück von Frank Zappa („Moon over Dachau“) erfahren. In den 1970er Jahren gab es in Deutschland und Österreich eine Reihe von Agit Prop Gruppen, die dezidiert politische Anliegen vertont haben, aber meistens war mir da die Musik zu banal. Und mein erster größerer Wickel war dann auch mit den Leuten vom MSO (Marxistische Studentenunion), die mich vor die Entscheidung stellen wollten, „entweder Revolutionär oder bürgerlicher Künstler“ zu sein. Meine Antwort, das vereinen zu können wurde von ihnen nicht akzeptiert und mir sogar angedroht, nach der Revolution gleich einmal „als Konterrevolutionär“ verurteilt zu werden. Von meinem Vorhaben habe ich mich trotzdem nicht abbringen lassen und immer wieder versucht den Spagat zu bewerkstelligen, bei gewissen Themen meine musikalischen Vorstellungen mit einem sog. “politischen Anspruch“ zu vereinen.

Beispielgebend für mich waren z.B. die 1959 veröffentlichte „Freedom Suite“ von Sonny Rollins, eine Komposition gegen die Diskriminierung der Schwarzen in den USA (und die nicht unter diesen Namen veröffentlicht werden durfte) „Alabama“ von John Coltrane über ein Bombenattentat des Ku Klux Clan in der 16th Street Baptist Church am 15.09.1963, bei dem 4 schwarze Mädchen getötet worden sind, die Musik von Charlie Haden’s Liberation Orchestra, aber natürlich auch Beispiele in der sogenannten Klassischen Musik wie das Streichquartett Nr.8 von Dimitri Schostakowitsch, das er den Opfern des Faschismus und Stalinismus gewidmet hat, die Symphonie Nr.6 von Erich Honegger oder die Toccata von Bohuslav Martinu, die die beiden Komponisten kurz nach dem 2ten Weltkrieg und als Reaktion auf diesen veröffentlicht haben. Alle diese Werke haben mich tief berührt und ihre Musik ließ für mich keinen Zweifel an ihrer Intention aufkommen.

Nun ist es auch so, dass ich bei Konzerten, in denen ich z.B. „Die Bosnische Tragödie“ (zum Bürgerkrieg in EX Jugoslawien), „Epitaph“ (zum Todesmarsch der ungarischen Juden im März und April 1945) oder andere dieser politisch motivierten Kompositionen aufführe, Infos dazu auflege und auch immer eine längere Einleitung dazu mache. Eine dieser Kompositionen ist „Pedro Noda de la Cruz“, der ein spanischer Häftlinge im KZ Nebenlagers Bretstein im Bezirk Judenburg war und nach einem erfolglosen Fluchtversuch am 6. Mai 1942 von der Wachmannschaft ermordet worden ist (Die Komposition habe ich auf der CD „Correlations“ mit dem Jazztett Forum Graz aufgenommen). Aber, wie oben erwähnt, ist es mir schon klar, dass die Intention der Komposition, wenn sie z.B. kommentarlos im Radio gespielt wird, verloren gehen kann und das auch als „L’art pour l’art“ angesehen bzw angehört werden könnte.

Aber das kann auch Musikstücken mit Text passieren. Ich habe mich immer gewundert, dass viele meiner Freunde und Freundinnen bei den englischen Liedern nie auf die Texte geachtet haben. Und wenn man oder frau von Mikis Theodorakis oder Victor Jara nichts wissen und die Texte nicht kennen oder verstehen, könnten sie auch glauben, dass das vielleicht „nur“ Liebeslieder sind. Das beste Beispiel für mich ist das Lied „Andrea“ des 1999 an Lungenkrebs verstorbenen italienischen cantautore Fabrizio de Andre, das jahrelang als „L’amour Hatscher“ durch die Discos geklungen ist, obwohl es ein Stück über einen italienischen Partisanen war und ist. Er selbst hat es übrigens bei Live Auftritten immer in einem schnelleren Tempo als im Orginal angesetzt.

Ich habe übrigens für die Reihe „Dienstag“, die Anfang der 2000er Jahre im Forum Stadtpark gelaufen ist und in der verschiedenste kulturelle Themen behandelt worden sind, einen Vortrag über „das Politische im deutschen Schlager“ zusammengeschrieben. Als ich diesen Vortrag 2001 das erste Mal gehalten habe, waren recht viel Leute im Publikum, die danach gesagt haben, „warum ich diese schrecklichen deutschen Schlager ausgespielt habe“. Bei einer Wiederholung im Jahr 2006 wurde mir dann schon von einigen Besuchern und Besucherinnen Überheblichkeit vorgeworfen und beim letzten Mal im Jahr 2010 haben mich sogar junge Künstler und Künstlerinnen gefragt, was ich denn gegen den deutschen Schlager habe. Ist doch alles „eh cool“. So hat sich das innerhalb eines Jahrzehntes verändert – und es gibt genügend Leute im Kunstbereich, die die Musik von Andreas Gabalier und Helen Fischer auch noch „cool“ finden. Sie haben Erfolg und das reicht, es kritiklos hinzunehmen.

So, lieber Gerald, ich wünsche Dir schöne Feiertage und ein interessantes 2015
with swinging greetings
berndt

Graz, 21.12 2014

Diesen Neujahrswünschen schließe ich mich gerne an und hoffe, im neuen Jahr wieder mehr über andere (in Gangway Music Reviews) und weniger über mich (wie im eben erschienenen Buch Ich bin eine Reise) zu schreiben.

Ursprung, am 30. Dezember 2014

© Gerald Ganglbauer 2014 | 244 Pageviews