Gut Ding will Weile haben,
glaubt der Volksmund zu wissen. Und so kann es schon mal eine ganze
Zeit dauern, bis man Autor bei Suhrkamp
wird. Wie im Fall von Wolfgang Welt, der in dem weitgehend
geschmacksfreien Anything-Goes-Stream
der 80-iger Jahre des letzten Jahrtausends vom Plattenverkäufer in einem Bochumer »ELPI«-Laden
zum gefürchteten Musikkritiker und schließlich, so will es zumindest
Willi Winkler, zum »größten Erzähler des Ruhrgebiets« heranreifte, um
mehr als zwanzig Jahre nach seinem ersten Telefonat mit dem Lektor
Müller-Schwefe als »suhrkamp taschenbuch 3776« zu reüssieren. Der hatte
damals gerade Rainald Goetz mit »Irre« herausgebracht, konnte aber Welt
unter dem anspruchsvollen Siegfried Unseld nicht durchsetzen. Erst die
Fürsprache Peter Handkes, der die Welt-Literatur zwischen den Polen
Hermann Lenz und Buddy Holly ausmachte, brachte nun, gefühlte Lichtjahre später,
den jungen Welt aufs Buch-Cover und seine autobiographische Trilogie des
Scheiterns in die Buchhandlungen.
»Peter
Handke, der berühmte Schriftsteller hat bei Suhrkamp ein Machtwort gesprochen
und gesagt: »Die Bücher vom Wolfgang müssen bei Suhrkamp erscheinen«. Und die
Verlagsleiterin hat dann auf ihn gehört und das Buch ist erschienen. (...) Die
haben kein großes Geschiss um mich gemacht, das ist dann auch im Sande
verlaufen. Wenn es nur als Taschenbuch rauskommt, dann läuft das nicht so.«
(O-Ton Welt)
Als
»Schreibchaot, so'ne Art Pop-Dutschke von der Uni« wäre er damals im Ruhrgebiet
berüchtigt gewesen,
erzählt Wolfgang seinem Kumpel Herbert, während sie durch die
Gemeinde ziehn, auf dem Weg vom »Rotthaus« zur »Zeche« in der Kurzgeschichte
»Kalter Bauer in Bochum«. Die ist gut und findet sich hinten in der
knapp 500 Seiten umfassenden Trilogie neben anderen guten wie »Herbert
Grönemeyer lebt nicht mehr hier«, »Einmal Tschibo und zurück« und
»Abschied von der Trümmerfrau«, einer petite Hommage an seine Mutter,
mit der Welt heute noch in einem kleinen Häuschen der ehemaligen
Bergarbeitersiedlung Wilhelmshöhe in Bochum
lebt, wo er seit einigen
Jahren als
Nachtportier am Schauspielhaus beschäftigt ist.
Seine wilde Zeit begann für den heute 60-jährigen Autor in der Bochumer
Szene-Kneipe »Spektrum«, nachdem er die
beiden Verleger des dortigen Stadtmagazins »Marabo« angequatscht hatte, um
ihnen eine Story zum 20. Todestag von Buddy Holly anzudrehen, denn
eigentlich hatte Wolfgang immer schon davon geträumt, Schriftsteller zu werden,
und nur nicht gewußt,
über was er schreiben sollte. Fortan war die Musikszene im Ruhrgebiet
äußerst welthaltig,
und der Kritikus ein von den Presse-Damen der Plattenfirmen gefürchtetes,
weil ständig nervendes
Original. Auch die seinerzeit aufstrebenden Barden des Potts,
Westernhagen, Grönemeyer und Kunze, durften seine Bekanntschaft machen.
Den damals gerade debutierenden, »belesenen Rotzlöffel« Heinz-Rudolf Kunze
machte er mit einer rhetorischen Hinrichtung erster Sahne zum Gespött
der Szene.
Welts Trilogie
ist ein einziger end- und letztlich sinnloser Trip, (allerdings ohne, daß
Welt je einen geschmissen hätte!), durch die völlig überhitzte
Musikbranche zu Zeiten der Neuen-Deutschen-Welle. Sie besteht aus den drei Teilen »Peggy Sue«, »Der Tick« und
»Der Tunnel am Ende des Lichts«; als Zugabe die titelstiftende Story aus der Anthologie »Staccato«, die 1982 von der
Spex-Legende Diedrich Diedrichsen by Kübler herausgegeben wurde.
Böswillig könnte man unterstellen, daß Welt uns, besessen vom Glauben an
seine Kompetenz und getrieben von einer Gier nach Beachtung, seinen
absurden Terminkalender um die
Ohren haut, exzessives Namedropping betreibt, und seine Bedeutung als Musikkritikus wie als Autor
selbst maßlos überschätzt.
Gutherzig muß man heute (2013) jedoch sagen, daß sich in Welts atemloser Trilogie des
Scheiterns eine ganze Generation von abgebrochenen Germanisten,
Philosophen und Politologen wiederfinden kann, die damals alle gedacht
hatten, mit ihrer Schreiberei den Journalismus neu erfinden zu können,
und so etwas wie einer Avantgarde anzugehören, die eine neue kulturelle
Identität zu stiften in der Lage sei.
Stadtzeitungen schossen
im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden, Buchhaltung hatte zwar keiner
gelernt, aber Subjektivität war angesagt, und schließlich hatten ein
paar von ihnen Hunter S. Thompson gelesen, hielten sich für Bob Woodward
oder Carl Bernstein.
Für eine wunderbare, verrückte Weile kochte die Szene,
eine sich überschätzende, im luhmannschen Sinne selbstreferentielle
brodelnde Blase, der dann, irgendwann nach der Wiedervereinigung nahezu
geräuschlos im Prinzenlook die Luft ausging.
Wolfgang Welts Geschichte ist weit mehr als eine Trash-Komödie mit regionalem
Flair. Sein »Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe«
ist ein dem wirklichen Leben
abgerungener, tragikkomischer Bildungsroman eines mutigen Möchtegerns, und als
solcher das authentische Dokument einer Zeitspanne zwischen anything goes -
but nothing happens.
»Doris
hilft« heißt sein 4. Roman. Es steht an einer Wand der
Bochumer Uni, an der Wolfgang Welt in seinem Wahn vorbeiläuft. Doris, hieß so
nicht auch die Bedienung in seinem Stammlokal, die er geliebt hatte? Welt
schreibt von dem, was er am besten kann. Seinem aberwitzigen Leben als Autor,
Biertrinker, Dauersohn und Nachtwächter auf der Bochumer Wilhelmshöhe und in
deren Umgebung. Nachrichten aus seiner Wirklichkeit so um 1990, die erst durch
den »größten Erzähler des Ruhrgebiets«, so Willi Winkler über Wolfgang Welt, der
sie für uns aufgreift und »anleuchtet«, sichtbar gemacht werden. Nichts
destotrotz braucht man beim Lesen gute Nerven, weil das geschilderte Elend einen
ganz schön mitnimmt. But such is life...
Im Anhang findet sich, quasi als Bonustrack einer der besten Artikel des
Musikjournalisten Wolfgang Welt aus dem Jahr 1991, »Bob Dylan & Buddy Holly.
Kein Vergleich«.
Im Herbst letzten Jahres, rechtzeitig zu seinem 60. Geburtstag, ist im
Essener Klartext Verlag eine umfangreiche Sammlung mit Texten von Wolfgang Welt
aus den Jahren 1979-2011 erschienen. Herausgegeben von Martin Willems finden
sich in dem Band mit dem treffenden Titel »Ich schrieb mich verrückt« Musik-
Literatur- und Theaterkritiken, Reportagen und Konzertberichte, in denen sich
neben der Popgeschichte der 80er Jahre auch ein Stück Kulturgeschichte des
Ruhrgebietes spiegelt. Und so schreibt Welts Förderer und literarischer
Schutzpatron Peter Handke in seinem Vorwort: »Wo die üblichen Historiker für ihr
Erzählen sogenannt große Gestalten auftreten lassen, in sich zuspitzenden,
dramatischen Geschehnissen, wo zuletzt jeder Schritt und/oder eben jede Sekunde
des geschichtemachenden Helden bedeutsam wird, erzählt Wolfgang Welt von Anfang
bis Ende zwar auch solche Schritte, Sekunden, Augenblicke, aber das sind seine,
Welts, eigene Blicke, Sekunden und Schritte, Schritte, die eher ein Zickzack
beschreiben, kein zielgerichtetes, geschichtsträchtiges Handeln, sondern ein
monotones undramatisches Vor und Zurück, ein Streunen, ein Tapern (wie das
Rolf-Dieter Brinkmann genannt hat), ein unablässiges Greifen nach etwas, das
zugleich schon ein ebenso ständiges Fallen lassen, Verzichten, Ausscheren,
Beiseitetreten, Sich Wegkrümmen ist. Nie wird Wolfgang Welt, der ganz andere
Geschichtsheld, als sein eigener Historiker bedeutsam, aber dafür umso stärker
bezeichnend.«
Was Peter Handke damit meint, können Sie u.a. nachlesen in Welts »Besprechung«
von Handkes »Langsame Heimkehr« (Marabo 12, 1979), die mit dem Satz endet:
»Wörter pflastern seinen Weg.« Herbert Debes
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Martin Willems (Hrsg.)
Ich schrieb mich verrückt
Texte von Wolfgang Welt 1979-2011
Mit einem Vorwort von Peter Handke
Klartext Verlag
358 Seiten
19,95
9783837507478
Wolfgang Welt
Buddy Holly auf
der Wilhelmshöhe
Drei Romane
suhrkamp taschenbuch 3776
488 Seiten, Broschur
Euro 15,00 [D] / Euro 15,50 [A] / sFr 27.40
ISBN 978-3-518-45776-4
Wolfgang Welt
Doris hilft
Roman
Mit
einem Nachwort von Willi Winkler
suhrkamp taschenbuch 4051
246
Seiten, Broschur
Euro 8,50 [D] / Euro 8,80 [A] / sFr 15.60
ISBN 978-3-518-46051-1
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