Ausländische Investoren verlassen Italien
Die Stimmung im Land ist nicht gut. Die Erwartungen, die viele in Mario Monti gesetzt haben, wurden nicht erfüllt. Montis Hände sind gebunden. Kaum jemand bezweifelt seine Aufrichtigkeit, sein Fachwissen und seinen Mut. Doch er hängt am Gängelband der Politiker und der Gewerkschaften.
Erreicht hat er bisher nicht viel. Italiens Strukturen sind verkrustet, verbürokratisiert, reglementiert wie in kaum einem andern Land. Sie führen zu einer Lähmung des Wirtschaftslebens. Auch unter Monti breitet sich der administrative Unsinn weiter aus. Das Land braucht dringend grundsätzliche Strukturreformen, um den Anschluss nicht noch mehr zu verlieren.
Monti beisst auf Granit
Doch da beisst Monti auf Granit. Mit grossen Worten kündigte er eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes an. Das Ergebnis enttäuscht. Es ist alles andere als ein grosser Wurf. Wenn ein Unternehmer jemandem aus wirtschaftlichen Gründen kündigen will, muss noch immer ein Richter über die Kündigung entscheiden. Das Gerichtsverfahren kann Monate, Jahre dauern. Während dieser Zeit muss der Unternehmer dem Gekündigten weiterhin den Lohn zahlen. Folge dieses Unsinns ist, dass viele Unternehmer keine Arbeitsverträge mehr ausstellen. Vor allem Junge finden deshalb keine Stelle. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 33 Prozent.
Monti kündigte an, dass er die Verwaltungskosten des Staates senken werde. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass sie weiter steigen. Im ersten Halbjahr 2012 stiegen sie um 1,1 Milliarden Euro.
Medienwirksam gab Monti bekannt, dass die horrenden Diäten der Politiker reduziert worden seien. Doch es fand eine Umschichtung statt. Die Politiker verdienen noch immer etwa gleich viel. Was sie nicht hindert, mit Tränen in den Augen zu beklagen, dass sie nicht mehr gratis Fussballspiele besuchen dürfen.
Kein Vertrauen der Investoren
Statt Strukturreformen gibt es massive Preis- und Steuererhöhungen. Fast alles ist teurer geworden: Gas, Elektrizität, Wasser, Benzin, Autobahnen, Zug, Gemüse, Fleisch, Hotels. Monti hat wieder die Immobiliensteuer eingeführt, die vor allem den Ärmeren arg zu schaffen macht.
Immerhin wird er auf dem internationalen Parkett geachtet, im Gegensatz zu seinem Vorgänger. Doch das genügt offenbar nicht, um das Vertrauen der Investoren zu gewinnen. Die jüngsten Zahlen zeigen ein ernüchterndes Bild.
Das Vertrauen in die italienische Wirtschaft schwindet immer mehr. Ausländische Investoren verlassen das Land. Laut den soeben veröffentlichten Zahlen der italienischen Staatsbank haben ausländische Kapitalgeber in den letzten zwei Jahren 1000 Milliarden Euro aus Italien abgezogen. Laut der Zeitung „La Repubblica“ entspricht das der Hälfte des italienischen Bruttoinlandprodukts (BIP).
18 Prozent weniger ausländische Gelder
Natürlich begann diese Entwicklung schon unter Ministerpräsident Berlusconi. Doch das Beunruhigende ist, dass sie sich unter Monti fortsetzt. Das Kapital ausländischer Kunden in den italienischen Banken ist innerhalb eines Jahres um 18 Prozent gesunken.
Immer mehr Italiener wollen ihr Geld im Ausland anlegen, nicht nur in der Schweiz. Die italienische Steuerpolizei, die Guardia di Finanza, hat an den Zollübergängen die Kontrollen radikal verstärkt. Seit Anfang dieses Jahres hat die Polizei so 41 Millionen Euro beschlagnahmt. Das sind 78 Prozent mehr als in der gleichen Periode des Vorjahres. Nicht nur Geld fiel den Steuerpolizisten in die Hände, auch Gold, Silber und Wertpapiere.
Die fremdenfeindliche Lega Nord befindet sich jetzt in einer verzwickten Lage. Lautstark beklagt sie, dass Italien „afrikanisiert, balkanisiert und osteuropäisiert“ werde. Doch gerade diese Fremdarbeiter sind für die lombardische Wirtschaft von grösster Bedeutung. Jetzt allerdings – wegen der unsicheren Wirtschaftslage – wollen Zehntausende billige Arbeitskräfte aus Afrika und Osteuropa das Land verlassen – zum Leidwesen der Wirtschaft.
Rezession
Italien ist die drittgrösste Volkswirtschaft Europas und steckt in einer Rezession. Zum vierten Mal hintereinander ist im zweiten Quartal dieses Jahres das Bruttoinlandprodukt geschrumpft, und zwar um satte 0,7 Prozent – mehr als befürchtet.
Monti ist mit dem Anspruch angetreten, den Staatshaushalt ins Lot zu bringen. Das wird umso schwieriger, weil die Staatsverschuldung, die er reduzieren will, weiter ansteigt. Laut der Bankitalia, der italienischen Notenbank, stieg die italienische Staatsverschuldung jetzt auf ein Rekordhoch von 1972,9 Milliarden Euro. Im Monat zuvor hatte sie noch 1966,3 Milliarden betragen.
Zwar sind die Steuereinnahmen um 5,8 Prozent gestiegen, vor allem wegen der neuen Immobiliensteuer (IMU) und der höheren Benzinsteuer. Auf der andern Seite muss Italien immer mehr Zinsen für geliehenes Geld bezahlen. Allein in diesem Jahr muss Italien laut Angaben der Notenbank noch etwa 150 Milliarden Euro aufnehmen.
Monti, der „technische“ Notstands-Ministerpräsident ist noch bis zum kommenden April an der Macht. Dann finden Wahlen statt, dann kommen die Politiker zurück, dann beginnt das politische Gerangel aufs Neue. Es ist kaum anzunehmen, dass dies ausländischen Investoren Vertrauen einflösst.
Kommentare
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@tristan Wenn die verkrustete, unglaublich ineffiziente, teure Bürokratie zurückgefahren würde, heisst das nicht, dass dies das Werk eines neoliberalen Teufels sein muss. Es ist eine Tatsache, dass aufgrund des rigiden Kündigungsschutzes keine gut bezahlten Dauerstellen geschaffen werden. Die jungen gut ausgebildeten Leute werden nur noch befristet und zu Hungerlöhnen angestellt. Es nützt nichts, wenn ältere Arbeitskräfte nicht entlassen werden können und die Jungen - vermutlich eine ganze Generation - auf der Strecke bleiben. Die Schweiz hat einen minimalen Kündigungsschutz. Aber dadurch werden mehr Dauerstellen geschaffen und die Folge davon ist, dass sich der Arbeitsmarkt nach jeder Rezession erstaunlich schnell erholt. Natürlich sind auch andere Faktoren für die gute wirtschaftliche Verfassung der Schweiz massgebend (Produktivität, Einwanderung, Bauboom, mehr Konsumenten). Die Arbeitsmarkt- Bau-und Bewilligungsverfahrensbürokratie in Italien schreckt viele Investoren und Unternehmer ab. Und so werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Dass Monti bei der Immobiliensteuer und anderen Steuern in erster Linie die weniger gut verdienenden Menschen zur Kasse bittet, hat schon eher mit dem neoliberalen Gedankengut zu tun. Aber es ist global immer das Gleiche: Die Superreichen, die neuen Feudalisten und die Hasardeure der Finanzindustrie können sich den Standort für ihre Vermögensverwaltung aussuchen, bezahlen kaum Steuern und haben für den Gemeinsinn ihres Nationalstaats wenig bis gar kein Gehör. Es wird für alle verschuldeten Staaten dadurch schwierig aus dem Schlamassel zu kommen. Und sie sind an den Euro gebunden, was den jeweiligen Nationalbanken keinen Spielraum für eine eigene Währungs- und Finanzpolitik mehr gibt.
Italien hat Strukturreformen sicher bitter nötig. Vor allem die Bürokratie ist für Investoren ein Hemnis.
Aber gerade die von Neoliberalen häufig so vehement geforderte "Flexibilisierung" des Arbeitsmarktes mit der Lockerung (oder besser: Beseitigung) des Kündigungsschutzes wird nie die versprochenen Effekte zeigen. Dadurch geht Arbeitslosigkeit nicht zurück. Dadurch wird nur der Niedriglohnsektor ausgebaut - und das ist das Ziel der Neoliberalen. Leider gehört Monti in die Reihe von neoliberalen Wirtschaftsprofessoren.
Das vom Auror im Artikel genannte Problem löst ein funktionierender Staat auf andere Weise elegant und zwar so, dass auch die Wirtschaft damit kein Problem hat. Nicht der Richter, der einer Kündigung zustimmen muss, ist das Problem, sondern die überlange Verfahrensdauer. Die Arbeitsgerichte in Italien müssen in den Stand versetzt werden, auch zu funktionieren.
Auch das Problem mit der Immobiliensteuer ist ein typisches Beispiel für die neoliberale Tendenz von Monti. Wenn arme Bürger unter dieser Steuer leiden, ist sie falsch gestrickt. Wenn man durch Steuererhöhungen Dinge wie "Gas, Elektrizität, Wasser, Benzin, Autobahnen, Zug, Gemüse und Fleisch" verteuert, dann versucht man nur, auf dem Rücken der kleinen Leute dem Staat Mehreinnahmen zu verschaffen. Das ist ungerecht. Zum einen können sie dem nicht entfliehen, zum anderen ist schon jetzt die Steuerungerechtigkeit gross.
Aber was will man von Politikern erwarten, die es wagen und ernsthaft hingehen, "mit Tränen in den Augen" darüber zu lamentieren, dass sie keine Fussballspiele mehr gratis besuchen können. Solche Leute fahren ein Land an die Wand.
Mit Monti werden die kleinen Leute nicht glücklich. Leider ist praktisch nirgendwo in Italien jemand erkennbar, der das hat, was das Land braucht. Ob Grillo es hinbekäme, selbst wenn er Ministerpräsident wäre?
Absolut treffender Bericht ! Italien sucht den Heiland; Hat´s mit Silvio probiert, aber der scheute das Weihwasser. Nun will man einen Zauberer....aber Mario ist auch nur ein Mensch. Irgendjemand muss es ja richten können, Italien aus dem immer tiefer werdenden Schlamassel zu ziehen.... ...es ist niemand da... Armes Italien, gestern noch bei den G8, heute bereits im Spitzenfeld auf der Liste der Länder mit den langsamsten Gerichten der Welt... und morgen ?