George Orwell - Homage to Catalonia (1938)
Kein Ereignis des 20. Jahrhunderts hat die europäischen Intellektuellen so in seinen Bann gezogen wie der Spanische Bürgerkrieg. Im Frühling des Jahres 1931 war König Alfons XIII. gestürzt und die Republik ausgerufen worden. Die dringend notwendigen Reformen, die einen demokratischen Modernisierungsprozess hätten einleiten sollen, kamen jedoch nur mühsam voran. Streiks, Attentate und lokale Aufstände lähmten das Land. In den Parlamentswahlen von 1933 siegten die vereinigten Rechtsparteien; begonnene Reformen wurden rückgängig gemacht. Drei Jahre später schlossen sich die spanischen Linksparteien zum Bündnis einer „Volksfront“ zusammen und gewannen die Wahlen ins Parlament. Ein Neubeginn schien möglich. Doch die militante Polarisierung zwischen Linken und Rechten war so vorangeschritten, dass weite Teile des Landes unregierbar wurden.
Im Juli 1936 putschte sich General Franco an die Macht. Der nachfolgende Bürgerkrieg wurde mit der grössten Rücksichtslosigkeit geführt, verschonte auch die Zivilbevölkerung nicht und forderte eine halbe Million Opfer.
Ein internationalisierter Konflikt
Es ging in diesem Krieg bald nicht mehr um den Fortbestand der Republik, sondern um die Auseinandersetzung zwischen zwei einander entgegengesetzten Versuchen, die Diktatur zu errichten. Auf der einen Seite standen das Militär, konservative Kreise von Adel und Bürgertum und die Kirche. Ihr Ziel war eine Militärregierung, welche die frühere Ordnung wieder herstellen sollte. Auf der andern Seite standen verschiedene Gruppierungen der Linken, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten. Ihr Ziel war die Errichtung einer Diktatur des Proletariats nach sowjetischem Vorbild.
Mit dem Putsch Francos erhielt die Auseinandersetzung ihren internationalen Charakter. Sie widerspiegelte den ideologischen Konflikt zwischen linken und rechten totalitären Bewegungen, der Europa in Atem hielt. Folgerichtig ergab es sich, dass das faschistische Italien, das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion militärisch und propagandistisch in den Krieg eingriffen.
Gleichzeitig strömten aus vielen europäischen Ländern Tausende junger Sozialisten nach Spanien, um ihr Leben im Kampf gegen den Antifaschismus einzusetzen. Die meisten von ihnen schlossen sich den „Internationalen Brigaden“ an, die Madrid verteidigten. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Schriftsteller. Diese verfassten, wenn sie den Krieg überlebten, ihre Berichte oder setzten, was sie erlebt hatten, in Romanform um. Erwähnt seien hier die zwei grossen Romane von Hemingway und Malraux: For Whom the Bell tolls und L’Espoir oder die autobiographischen Berichte von Arthur Koestler, Georges Bernanos und Alfred Kantorowicz. Manche dieser Zeugnisse sind nicht frei von Voreingenommenheit oder verfälschender Parteinahme. Im Urteil der heutigen Historiker gilt der Bericht, den der englische Schriftsteller George Orwell unter dem Titel Homage to Catalonia verfasste, als einer der zuverlässigsten.
Erfahrungen mit dem englischen Imperialismus
George Orwell traf Ende Dezember 1936 in Barcelona ein. Er war bisher durch zwei Publikationen hervorgetreten: Burmese Days und The Road to Wigan Pier. Das erste Buch beruhte auf Erfahrungen, die der Verfasser als Kolonialbeamter in Burma gemacht hatte und übte scharfe Kritik am englischen Imperialismus. Im zweiten Buch verarbeitete Orwell Eindrücke, die er während eines längeren Aufenthalts unter nordenglischen Bergleuten gewonnen hatte. Das Leben der einfachen und armen Bevölkerungsschichten zog Orwell an und weckte sein soziales Empfinden. Als in Spanien der Bürgerkrieg ausbrach, entschloss er sich spontan, seinen Einsatz auf Seite der Linken zu leisten.
Bei seiner Ankunft machte Barcelona auf den Schriftsteller einen überwältigenden Eindruck. Die Arbeiterschaft hatte die Macht übernommen, in den vornehmen Strassen drängte sich das einfache Volk, Fahnen flatterten. Die Menschen trugen Arbeitskleidung und duzten sich; die Läden waren kollektiviert, die Privatautos beschlagnahmt, die Trinkgelder abgeschafft. Orwell trat in die Miliz des P.O.U.M. (Partido Obrero de la Unificación Marxista), einer kleinen linksmarxistischen Partei, ein. „Ich war nach Spanien gekommen“, schreibt er in Homage to Catalonia, „um Zeitungsartikel zu schreiben. Aber ich war fast sofort in die Miliz eingetreten, denn bei der damaligen Lage schien es das einzig Denkbare zu sein, was man tun konnte.“ Der P.O.U.M. vertrat die These, dass der Bürgerkrieg nur auf dem Weg über eine Revolution gewonnen werden könne. Damit stellte er sich in Gegensatz zu den Moskau-hörigen Kommunisten, die dem militärischen Sieg die Priorität einräumten und dabei auch auf die Unterstützung republikanisch-bürgerlicher Kräfte zählten. Erst in einer späteren Phase, so die linientreuen Kommunisten, sollte die Diktatur des Proletariats errichtet werden.
Revolutionäre Soldaten ohne Ausbildung
Die militärische Ausbildung der Miliz fand in der Lenin-Kaserne in Barcelona statt. Es fehlte an allem, an Waffen, Munition und Uniformen, an Nahrung, an Offizieren und geeigneten Instruktoren. Die Rekruten stammten aus den Elendsvierteln der Stadt, waren von den Gewerkschaften aufgestellt worden und meist noch keine zwanzig Jahre alt. „Aber man zeigte diesem Haufen eifriger Kinder“, schreibt Orwell, „die in wenigen Tagen an die Front geworfen werden sollten, nicht einmal, wie man ein Gewehr abfeuert.“ Obwohl er das Spanische und Katalanische nur sehr mangelhaft sprach, fühlte sich Orwell in der Miliz rasch freundlich aufgenommen und integriert. „Hier in Aragon“, schreibt er, „lebte man unter zehntausenden von Menschen, die hauptsächlich, wenn auch nicht vollständig, aus der Arbeiterklasse stammten. Sie lebten alle auf dem gleichen Niveau und verkehrten miteinander unter den Bedingungen der Gleichheit, und selbst in der Praxis war man nicht weit davon entfernt. Damit meine ich, dass die geistige Atmosphäre des Sozialismus vorherrschte.“ Das Gefühl dieser Solidarität mit einer egalitären Gemeinschaft von Menschen anderer Sprache, Herkunft und Bildung wurde für den Schriftsteller zur wichtigsten Erfahrung seines Spanienaufenthalts.
Vom Januar bis Mai 1937 stand Orwell an der Front in Aragonien; später hoffte er sich den „Internationalen Brigaden“ anzuschliessen. Man lag sich in notdürftig befestigten Stellungen gegenüber, wechselte Schüsse, entsandte Spähtrupps; aber zu eigentlichen Kampfhandlungen kam es selten. Der Schriftsteller zeichnet ein sachliches Bild vom Elend des Frontgeschehens, und der Wille zur wahrheitsgetreuen Darstellung wird in jedem seiner Sätze sichtbar. Die Rede ist nicht nur von der militärischen Bedrohung, sondern auch von Hunger und Kälte, von der Monotonie des Tageslaufs, von den erschreckenden hygienischen Bedingungen. Immer wieder kommt der Schriftsteller auf die Solidarität der zusammengewürfelten Truppen zu sprechen, welche mit dürftigsten Mitteln solange standhalten sollten, bis eine gut ausgebildete Armee zur Verfügung stehen würde.
Nie wird Orwell pathetisch, und er übt scharfe Kritik an jenen ausländischen Berichterstattern, die aus sicherer Distanz zum Kampfgeschehen heroisierende Schilderungen verbreiteten. Im Unterschied zu Hemingway und Malraux, welche die Romanform zur Überhöhung ihrer Figuren nutzten, gibt es bei Orwell keine Helden. Für ihn heiligt nicht der Zweck die Mittel, und auch der Krieg um eine gute Sache bleibt ein Krieg. „Eine Laus ist eine Laus, und eine Bombe ist eine Bombe“, schreibt er, „auch wenn die Sache, für die man kämpft, zufällig die rechte ist.“ Orwells Bericht Homage to Catalonia ist zum Musterbeispiel einer Reportage geworden, in dem sich die Kunst der literarischen Darstellung ganz in den Dienst unbedingter Faktentreue stellt. Kommunistische Kritiker haben dem Schriftsteller später diese Art der Schilderung verübelt.
Als Orwell Ende April 1937 zu einem Urlaub nach Barcelona zurückkehrte, fand er die Stadt völlig verändert. Bei seiner Ankunft hatte er geglaubt, hier seine Idealvorstellung einer egalitären Gesellschaft verwirklicht zu sehen; nun schien die frühere Ordnung wiederhergestellt. In den ersten Maitagen war es zu blutigen Unruhen gekommen. Der linksradikale P.O.U.M., früher die Speerspitze der revolutionären Kräfte, wurde nun von Regierungstruppen und Polizei bekämpft. Schlimmer noch: Auch die Kommunisten, obwohl sie mit diesem Bruderkrieg dem Faschismus in die Hände arbeiteten, wandten sich in ideologischer Verblendung gegen den P.O.U.M. Die Idee des Sozialismus war, so sah es Orwell, verraten worden.
Verletzung und Flucht nach Frankreich
Kurze Zeit nach seinem Urlaub wurde Orwell an der Front schwer verletzt; er überlebte, doch der Kampf war für ihn zu Ende. Erneut nach Barcelona zurückgekehrt, war er als führender Vertreter des P.O.U.M. seines Lebens nicht mehr sicher. Menschen, die er kannte und schätzte, wurden von den Kommunisten als „Trotzkisten“ und „faschistische Spione“ diskriminiert, denunziert, verhaftet, gefoltert und umgebracht. Mit knapper Not gelang es Orwell und seiner Frau, nach Frankreich zu entkommen. Die Erfahrung des Bürgerkriegs hatte des Schriftstellers politischen Sinn sensibilisiert. Er erkannte, dass der Kommunismus ebenso wenig wie der Faschismus geeignet war, eine gerechtere Gesellschaft hervorzubringen, weil beide Ideologien das Individuum knechteten, statt befreiten. Diese Einsicht ging in den Bericht Homage to Catalonia ein, den Orwell wenige Monate nach seiner Rückkehr nach England abschloss.
Späte Meisterwerke: "Animal Farm" und "1984"
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb der Schriftsteller in einem Rückblick: „Der Spanische Bürgerkrieg und andere Ereignisse in den Jahren 1936-37 bewirkten den Umschwung. Ich wusste nun, wo ich stand. Jede Zeile der wesentlichen Arbeiten, die ich seit 1936 geschrieben habe, ist direkt oder indirekt gegen den Totalitarismus und für den demokratischen Sozialismus, wie ich ihn auffasse.“ Zur gleichen Zeit erschien George Orwells bekanntestes, sein literarisch vollkommenstes Werk: Animal Farm. Das Buch verhinderte Hitlers und Stalins Verbrechen nicht; aber seine Kritik, in die Form einer Fabel gefasst, trifft alle Formen totalitärer Machtausübung an einer besonders empfindlichen Stelle: Es gibt sie der Lächerlichkeit preis. Auch der letzte Roman Orwells, Nineteen Eighty-Four, wurzelt in den Erfahrungen des Spanischen Bürgerkriegs. Es handelt sich um die schauerliche Zukunftsvision einer total überwachten Gesellschaft, die das Individuum zum gleichgeschalteten Befehlsempfänger erniedrigt. Natürlich ist es heute, im Jahr 2011, anders gekommen, als Orwell es für 1984 prophezeit hat. Aber man frohlocke nicht zu früh: Das Schicksal sucht sich seinen Weg manchmal durch die Hintertüren.
Der Schriftsteller George Orwell, eine hoch aufgeschossener, hagerer Mensch von spröder, unbestechlicher Redlichkeit, die „wandelnde Anthologie des Englischseins“, wie der Historiker Tony Judt ihn genannt hat, starb 1950, im Alter von nur 47 Jahren, an Tuberkulose in London. „Die unvergessliche Orwell-Stimme“, schreibt Tony Judt, „ist von trotziger, unverblümter Ehrlichkeit; sie gehört einem Mann, der die Dinge beim Namen nennt.“
http://shoenwings.posterous.com/neusprech
@ Gast....stimmt,Sie haben völlig Recht! (lat. Cassandra) ist in der griechischen Mythologie die Tochter des trojanischen Königs Priamos. Sie gilt als eine tragische Figur, die das Unheil immer voraussah, aber bei ihrer Umgebung kein Gehör fand..... Da ist doch schon das Wort Trojaner drinn!....... Stimmts? Übrigens:" Ich mag Herrn Urs Bitterli`s Kolummnen und Buchbesprechungen sehr!"
@cathary. Typisch:verbissen. Kein Sensorium fuer Zwischentoene, Kassandra total
@cathary. Typisch:verbissen. Kein Sensorium fuer Zwischentoene, Kassandra total
Wie bitte?.....Haben sie diesen Satz mit Absicht hinein geschrieben? "Es handelt sich um die schauerliche Zukunftsvision einer total überwachten Gesellschaft, die das Individuum zum gleichgeschalteten Befehlsempfänger erniedrigt. Natürlich ist es heute, im Jahr 2011, anders gekommen, als Orwell es für 1984 prophezeit hat."Aber man frohlocke nicht zu früh"......Was,? frohlocken? Anmerkung von mir:"Nicht nur Befehlsempfänger sind wir geworden, sondern auch medienmanipulierte Strafgefangene (Telephone, E-Mail,Staatstroyaner,Überwachungskameras usw..) Ich empfehle den Film:" Deadly Dust"...mit Prof. Dr.Günther... http://www.youtube.com/watch?v=GTRaf23TCUI&feature=youtu.be braucht ein wenig Zeit, aber öffnet Augen! Also.. Ihr Satz kann nur bedeuten,nicht auf dem Laufenden zu sein,die heutige Realität zu verkennen oder mit Vorsatz zu provozieren.