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16. Februar 2021

Persönlich anwesend

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Persönlich anwesend

Von Alex Bänninger, 29.01.2016

Es gibt eine sprachliche Sünde, die nur der Heilige Geist vergeben kann.

Sind es noch Menschen oder bereits Gespenster, die sowohl da als auch weg sein können? In Medienberichten über Veranstaltungen wird regelmässig die "persönliche Anwesenheit" Prominenter betont, die Grüsse einer Behörde überbringen, ein Denkmal enthüllen oder ein Band durchschneiden. Es würde genügen, einfach die Anwesenheit festzuhalten, weil sie ohne persönliches Erscheinen schlicht unmöglich ist.

Aber vielleicht moppeln die Berichterstatter doppelt, weil sie merkwürdige Erfahrungen sammeln mussten. Etwa mit Bundesrätinnen und Bundesräten, mit Konzernchefs und Filmstars, die aus Gründen der Bequemlichkeit oder der Sicherheit einen schauspielernden Doppelgänger vorschickten. Oder mit Ehrengästen, die als Person weitab der Veranstaltung einer anderen Beschäftigung nachgingen und sich durch ihren Astralleib offiziell vertreten liessen.

Von diesem Wunder der Anwesenheit bei gleichzeitiger Abwesenheit hätten wir unbedingt und ausführlich lesen wollen. Doch offenbar gibt es auch für die sensationsfreudigsten Medien die unpersönliche Präsenz der Prominenz gar nicht. Es ist bloss eine Schludrigkeit, die Erwähnung des Zugegenseins mit "persönlich" zu verstärken. Diese Sprachsünde könnte nur vergeben werden bei der leibhaftigen Anwesenheit des Heiligen Geistes.

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Darüber hat sich schon Kurt Tucholsky alias Ignaz Wrobel 1925 ausgelassen; wie man sieht - erfolglos. Er schreibt u.a.: "... "bei uns zu Lande ist es wunder was für eine Geschichte, mit einem besser bezahlten Mann persönlich zu sprechen. Ist die Audienz beendet, so bleibt ein Abglanz des Unerhörten auf dem Empfangenen haften, der strahlend nach Hause stelzt." Weiter: "Es gibt Menschen, mit denen möchte ich um keinen Preis sprechen, dienstlich nicht und privat nicht und persönlich schon gar nicht: ..." Er bittet dann auch den lieben Gott, "nimm doch den (...) diese dumme Sucht, sich als gar so kostbar hinzustellen und sich mit etwas dicke zu tun, was meist gar nicht da ist: mit einer Persönlichkeit". Und er folgert: "Dieses Gebet werde ich mal dem lieben Gott persönlich unterbreiten".

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