Roman Polanski und Locarno

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Roman Polanski und Locarno

Von Alex Bänninger, 13.08.2014

Rund um die Einladung und die Proteste machte niemand wirklich "bella figura".

Das Festival Locarno lud Roman Polanski ein, um ihn für sein Lebenswerk zu ehren und eine Masterclass für den Filmnachwuchs leiten zu lassen. Dagegen erhob sich im Tessin aus politisch konservativen Kreisen Protest, weil den Regisseur eine vierzig Jahre zurückliegende Sexaffäre mit einer Minderjährigen belaste. Die Festivalleitung verteidigte die Einladung unter Verweis auf die künstlerische Freiheit. Polanski sagte nun seine Teilnahme wegen der um ihn entstandenen Kontroverse ab.

Die mückenhafte Episode geht leider als Elefäntchen in die Verlängerung.

Nach eigener Bekundung von Präsident Marco Solari war ihm und Direktor Carlo Chatrian die heikle Seite der Einladung bewusst. Die Proteste konnten nicht unerwartet sein. Sie erfolgten eine Weile vor dem Festival und flauten bis zu dessen Beginn ab. Anstatt klug zu schweigen, rechtfertigte Marco Solari an der Eröffnungsfeier den Entscheid weitschweifig und rüffelte die Kritiker. Damit war das Oel wieder im Feuer.

Anzurechnen ist dem Präsidenten die Unbeugsamkeit. Leider vergass er, dass ein auch im Namen der künstlerischen Freiheit getroffener Entscheid heftig bemängelt werden darf. Gerade ein Festival, das sich auf die Freiheit beruft, muss die freie Äusserung anderer Meinungen souverän ertragen. Pressionsversuche entfalten ihre Wirkung im Übrigen nur, wenn vor ihnen gezittert und an der Richtigkeit der eigenen Auffassung gezweifelt wird.

Auch Roman Polanski musste die Wirren voraussehen. Wenn er die Einladung dennoch annahm, wäre es fair gewesen, nach Locarno zu reisen. Mit seiner Abwesenheit stellt er seine Gastgeber bloss. Er gewährte den Gegnern, was das Festival ablehnte: den Kniefall.

Freunde und Gäste wählt man sich selber aus. Dazu hätte Selbstkritisches aus Locarno nicht schlecht gepasst.

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Gut, dass der hinterlistige Feigling Polanski nicht nach Locarno kommt: Wir haben nämlich in der Schweiz nicht endlich wirksame Gesetze beschlossen, die verurteilte Kinderschänder nachhaltig aus Turngarderoben, Kirchen und Klassenzimmern fernhalten sollen – nur um einen solchen Übertäter in Locarno nun öffentlich zu feiern und zu "ehren". Ein "Ehrenmann" nämlich ist Planski sicher nicht. Ganz im Gegenteil: Er ist ein gewalttätiger Feigling. Und mit den beschönigenden Begriffen "Sexaffäre" oder "mückenhafte Episode" trampelt Herr Bänninger einmal mehr verbal auf Polanskis Opfer, Samantha Geimer herum. "Es war eindeutig eine Vergewaltigung", schreibt die heute über 50 Jahre alte Geimer in ihren Memoiren ("The Girl" A Life in the Shadow of Roman Polanski). "Daran gibt es keinen Zweifel." Das sah auch das Gericht in Kalifornien so, das Polanski 1977 verurteilte, worauf dieser aus den USA nach Frankreich floh. Was war geschehen: Am 10. März 1977 holte der damals schon berühmte, 43 jährige Filmregisseur ("Chinatown" mit Jack Nicholson) das 13 Jahre alte Mädchen unter dem Vorwand von ihrem Elternhaus ab, er wolle Fotos für "Vogue" machen von ihr. Statt dessen brachte er Samantha Geimer in eine leere Villa, forderte sie auf sich auszuziehen und ins Bad zu steigen. Er zog sich auch aus, und steig trotz der Proteste des Mädchens zu ihm ins Bad, gab ihr auch Wein zu trinken und Drogen zu konsumieren. Das so wehrlos gemachte Opfer schleppte er dann ins Schlafzimmer und vergewaltigte es. Es handelte sich also um eine vorsätzliche und hinterhältig mit etwelcher krimineller Energie geplante Schändung. Und wie jeder andere feige Kinderschänder schärfte auch Polanski seinem Opfer hinterher ein, es dürfe ja niemandem etwas von seiner Übeltat verraten: "Das ist unser kleines Geheimnis."
Das sind die Fakten rund um das was Herr Bänninger hier unverschämt als "Sexaffäre" beschönigen will. Er macht damit allen vor an eine ganz üble "Figura". Niklaus Ramseyer

Es heisst "Sexaffäre mit einer Minderjährigen", was einen Straftatbestand impliziert.

"Episode" bezieht sich auf die durch die Einladung ans Festival ausgelöste Kontroverse.

Ich äusserte mich zum "Fall Locarno" und zur Rolle der Festivalleitung, nicht zum "Fall Polanski".

Sie haben die Vergewaltigung eines 13 jährigen Mädchens eben nicht nur mit dem unverantwortlichen Ausdruck "Sexffäre" verharmlost, sondern auch noch beigefügt, dass diese "Affäre" ja 40 Jahre zurückliege. Vom "Straftatbestand" den Sie nun plötzlich geltend machen, lese ich hingegen nichts in ihrem Artikel. Von Polanskis Verurteilung und davon, dass er sich der Strafe feige durch Flucht entzog, erst recht nichts – nicht einmal "implizit". Und sie rühmen Herrn Solaris "Unbeugsamkeit" mit welcher er die "künstlerische Freiheit" verteidige. Die Sache ist nur eben die, dass auch des Künstlers Freiheit dort endet, wo er die Freiheit anderer missachtet und verletzt – die Freiheit eines 13 jährigen Mädchens etwa, dessen "Unbeugsamkeit" Polanski mit Alkohol und Drogen hinterhältig gebrochen hat. Dass Sie lieber über die künstlerische Freiheit Solaris schreiben, als über die beraubte Freiheit des Opfers eines Prominenten ist ihr freier Entscheid. Er hängt zusammen mit der Frage, für wen man sich interessiert – eher für die Mächtigen (Prominenten, Gewaltigen) oder für deren Opfer. N. R.

PS: Inzwischen ist bekannt geworden, dass sich der "Unehrenmann" Polanski selber nach Locarno eingeladen hatte, wo die ansonsten ach so "unbeugsame" Festivalleitung flugs bereit war, ihn umgehend öffentlich zu "ehren".

Verzeihen ist auch ein Akt der Freiheit. Das Opfer hat ihm jedoch längst verziehen, seit der Tat sind ja vierzig Jahre vergangen. Nur wer selber frei ist kann verzeihen….cathari

Sie irren! Und dies gleich zweimal: Es gibt kein Recht auf Verzeihen. Auch wenn unzählige „psychologisch“ orientierte Ratgeberchen dies behaupten. Und dies gilt für sämtliche Erfahrungs- und damit Lebensbereiche. Und das Sie dahinter auch noch Unfreiheit wittern, ist der zweite Irrtum. Es gibt noch ausreichend genug Menschen, die sich das Recht auf Nicht-Verzeihen nehmen; ganz einfach deshalb, weil sie es haben.

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