Clara Ehrenwerth

Glücklich drogentot

In Clemens Meyers Debütroman „Als wir träumten“ wird problemstadtteiladäquat geraucht, getrunken, geprügelt und geklaut und hin und wieder ist mal einer tot


Problematisch ist hingegen Meyers teilweise anödend schnörkelloser und übertrieben detailgenauer Erzählstil: Von jeder Zigarette, die im Laufe der über fünfhundertseitigen Handlung geraucht wird – und natürlich wird problemstadtteiladäquat eigentlich immer geraucht – erstattet er genauestens Mitteilung; jeder Billardkugelstoß ist einen Satz wert; jeden Faustschlag kriegt man einzeln aufs Auge gedrückt. So verliert sich Meyer mitunter im Aufzählen nebensächlicher Handlungen und produziert dabei eine unnütze Genauigkeit, weil sie die Geschichte weder informativ noch poetisch anzureichern vermag.

Zum Glück hat Meyer sich dafür entschieden, die Geschichte seiner Anti-Helden nicht linear zu erzählen. Das rettet den Roman. Die Tragik der Ausweglosigkeit wird dem Leser bewusst, wenn er den Weg bereits kennt. Meyer stattet den Leser mit dem Privileg aus, mehr zu wissen als die Protagonisten: Der Junge, der da gerade in der Sonntagnachmittagssonne ahnungslos seine Fassbrause („Original Thälmannschweiß“) schlürft, liegt in zehn Jahren drogentot in einer verlassenen Lagerhalle, wie dem vorherigen Kapitel zu entnehmen ist. Meyer spielt damit, dass sich die Informationen, die dem Leser über die Zukunft der Protagonisten zur Verfügung stehen, über die Schilderungen unbeschwerter Tage legen – so lässt er den Roman mit einem Satz enden, der auf ein glückliches Ende hinweisen könnte, wäre die Story chronologisch erzählt worden: „Draußen wurde es dunkel, Fred zündete ein paar Kerzen an, und wir rückten zusammen und aßen und tranken und waren glücklich.“

Dieser Autor, so scheint es, hat sein Sujet gefunden: Er findet seine Geschichten über die „ganz normalen Leute“ da, wo man den neu etablierten Begriff „Prekariat“ vermutlich gar nicht kennt. Wenn’s kein Andrer macht … und tatsächlich macht’s derzeit kein Anderer besser, näher, liebevoller als Clemens Meyer. Da darf er auch mal ausschlafen, ganz problemstadtteiladäquat.

Clemens Meyer: Als wir träumten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2006. 528 Seiten, Paperback. 9,95 Euro.

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Copyright © Clara Ehrenwerth – Sep 15, 2008