Julia Schulz

Dylan: sechs mal anders

Abwesenheit in ihrer vollen Präsenz


„I´m Not There“ von Todd Haynes ist ein Biopic über einen Menschen, den man nicht fassen kann. Bob Dylan, einer der einflussreichsten Musiker des letzten Jahrhunderts ist rätselhaft, metaphorisch, nie eindeutig. Zu zahlreich sind seine Wandlungen, zu undurchsichtig sein Charakter, als dass man ihn festlegen könnte.

Haynes lässt seinen Protagonisten Dylan deshalb gleich von sechs verschiedenen Personen verkörpern, die alle verschiedene Namen haben und jeweils eine Lebensphase in Dylans Leben widerspiegeln. Darunter ein kleiner schwarzer Junge (Marcus Carl Franklin), eine Frau (Cate Blanchett), außerdem Figuren, die von Christian Bale, dem kürzlich verstorbenen Heath Ledger, Richard Gere und Ben Whishaw verkörpert werden. So sehr diese von ihm abzuweichen scheinen, so nah kommen sie dem großen Musiker. Sie verkörpern die Meilensteine in Dylans Karriere, all die Wendepunkte und Neuerfindungen in seinem Leben. Sechs Darstellungen verschmelzen zu einem Persönlichkeitsprofil: Sensibler Wandersänger, Frauen verachtender Macho, frommer Priester, elektrischer Judas, Dichter im Delirium und bärtiger Outlaw. Lebensphasen parallel, widersprüchlich und doch in einer Chronologie. Der richtige Bob Dylan bleibt dabei den ganzen Film hindurch der große Abwesende.

An Halloween soll der Sänger einmal auf die Frage, als was er sich verkleide, geantwortet haben: „Ich trage meine Bob Dylan-Maske.“ So verwundert es nicht, dass sich Dylan die Aussage von Arthur Rimbaud „Ich ist ein anderer.“ zum Lebensmotto genommen hat. Und den französischen Dichter als Seelenverwandten. „Poet, Prophet, Genie, Agitator, Fälschung“ steht gleich am Anfang des Films und definiert Dylan doch nur in einigen seiner Rollen.

Elektrogitarren vs. frommer Gospel

Haynes beweist ein unglaubliches Gespür für die Lebendigkeit des Kinos, er bedient sich in seinem Film den Effekten der Dynamik und der Überraschung, des Unvorhersehbaren. Er ignoriert Genrekonventionen, spielt ein assoziatives Spiel mit einzelnen Stationen und Lebensphasen des Sängers. Durch eine ausgefeilte Schnitttechnik und einem Interesse an Narration, vermag Haynes, trotz filmischer Zerstückelung, all seine Stränge zusammenzuhalten, sodass „I´m Not There“ weder zufällig noch episodenartig erscheint. Vielmehr entsteht eine Reise durch Dylans Leben, die die Ups and Downs einer Musikerkarriere zeigt. Wendungen, Mäander und Richtungswechsel folgen einem inneren Rhythmus. Zu Beginn seiner Karriere eine Ikone des politischen Folksongs, dann Sänger persönlicher Liebeslieder. Als dieser akzeptiert, tauscht Dylan seine Identität als Akustikgitarrist gegen die eines Elektrogitarristen. Schreibt chiffrierte und surreale Songs, stößt mit rockender Bandbegleitung auf Ablehnung. Was folgt, ist der Rolling-Thunder-Wanderzirkus, der in eine glamouröse Las Vegas-Show übergeht. Bald nimmt Bob Dylan Abstand vom „satangegebenen“ Rock `n Roll und widmet sich dem frömmelnden Gospel. Konvertiert vom Judentum zum Christentum und nimmt auch davon bald wieder Abstand.

Haynes’ Film ist ein Kaleidoskop, das dem Wandel als einzige Konstante huldigt, ohne dabei den verheerenden Versuch zu unternehmen, die Vielseitigkeit Dylans in Eindeutigkeit enden zu lassen. „I’m Not There“ lässt sich alles offen. Zu jeder Zeit ist alles möglich. Dokumentarische Züge nimmt der Film mit Konzertsequenzen und Presseterminen Dylans an, die allesamt wirklichkeitsgetreu nachgestellt wurden. Zitate und Songfragmente wurden lose eingestreut und assoziativ verknüpft.
Der Soundtrack setzt sich aus Originalstücken sowie hervorragenden Coverversionen von Eddie Vedder, Calexico, Sufjan Stevens, Jack Johnson und Cat Power zusammen. Der collagenartige Charakter des Portraits wird unterstrichen von zahlreichen Filmzitaten. „I’m Not There“ zitiert Fellini, Truffaut und das ganze Spektrum an Filmen über und mit Bob Dylan, bleibt aber dennoch eine eigenständige Annäherung an den Künstler.

Bob Dylan, der große Abwesende, erscheint am Ende des Films dann doch. Eine verwackelte dunkle Konzert-Aufnahme flackert über die Leinwand. Zu sehen ist eine Nahaufnahme seines Gesichts, ins Mundharmonikaspiel vertieft, die Augen geschlossen.
Das Ende dieser Reise durch das Leben Bob Dylans zeigt, dass selbige keinesfalls eine Bildungsreise ist. Der Film gewährt uns keinen Blick hinter die Maske Bob Dylans, dokumentiert aber die Vielseitigkeit seiner Maskerade und zeigt, dass auch eine Maske zum mimischen Ausdruck fähig sein kann. „I´m Not There“ ist mannigfaltig wie Bob Dylan selber. Das Psychogramm einer Persönlichkeit, scharf gezeichnet durch seine Verschwommenheit und Uneindeutigkeit – wie ein Bob Dylan-Song.

I’m not there. USA 2007. Regie: Todd Haynes. Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Richard Gere u.a. 135 min. FSK 12.


Copyright © Julia Schulz – May 15, 2008