Länger als ein SamenergussIn Finn-Ole Heinrichs Debüt geht es nicht um Drogenexzesse oder Fickgeschichten und trotzdem um zwei Jugendliche im 21. Jahrhundert Man kann sich Botox spritzen oder T-Shirts mit nostalgischen Kampfhymnen über die aufgequollene Bierplautze ziehen. Nichts wird einem die eigene Jugend wiederbringen. Nicht ein geschriebenes Wort oder flüchtiges Foto zeigt, was man in jenem Moment gefühlt hat. Die Jugend lebt nur noch in dicken, ledernen Fotoalben, die man mit sicherem Griff aus der Schublade herauszerrt, wenn man traurig ist. Wie dankbar kann man daher über einen Roman sein, der über die Jugend als eine Zeit voller Tiefgang und Zermürbung, voll hassverliebter Begegnungen erzählt, anstatt sich vom Trugschluss des „unfertigen Menschen“ in die Irre führen zu lassen. Jugend ist kein süßlich-klebriges Rum-Cola Gemisch und dauert länger als ein Samenerguss. Räuberhände, der erste Roman Finn-Ole Heinrichs, erzählt von Jannik und Samuel, deren unterschiedliche Herkunft ihrer Freundschaft eher Tiefe als Unverbindlichkeit verleiht: auf der einen Seite Janniks kantenlos liberale Vorzeigeeltern, die alles so richtig machen, dass es fast weh tut; auf der anderen Seite Samuels Pennermutter, die ständig Besoffene, die dennoch voller Stolz auf ihren Sohn blickt. Gemeinsam wollen die beiden Jungen den Alltag ein Stück weit hinter sich lassen und beschließen, in Istanbul ein Leben voller Freiheit und Selbstbestimmtheit zu finden. Doch nicht nur die Suche nach Samuels Vater lässt die Vergangenheit als grauen Schleier mitziehen – auch ein Erlebnis aus jüngster Zeit nimmt unerwartet starke Konturen an und wirft tiefe Schatten auf ihre bisherige Freundschaft. Finn-Ole Heinrichs Debüt ist kein Roman über wilde Ausschweifungen, überstandene Drogenexzesse oder Fickgeschichten einer sentimentalen und anekdotenreichen Jugend. Und auch, dass der Protagonist des Buches nach dem Verzehr südamerikanischer Eukaryotengewächse („you always start with mexican“) auf der Kirmes mit der Mutter seines besten Freundes vögelt –, fügt der Handlung zwar eine gewisse Tragik, aber keine erwartbaren Klischeebilder hinzu. Nach dem hochgelobten Erzählband Die Taschen voll Wasser brilliert der 26-jährige Finn-Ole Heinrich mit einem Roman, der vor allem ob seiner Details die Jugend nicht als eine Phase des Werdens, sondern als eine Zeit des Soseins betrachtet. Scheinbar irrelevante Darstellungen evozieren immer wieder eigene Bilder, die man zwar riechen und schmecken, aber nicht mit Worten beschreiben kann. Und gerade dieser Gestus ist es, der die ganze Irrationalität und Impulsivität dieser Lebensspanne einfängt, und dem es dabei gelingt, sich die Unzulänglichkeit der Sprache gegenüber dem augenblicklichen Erleben einzugestehen. Finn-Ole Heinrich: Räuberhände. Mairisch Verlag, Hamburg 2007. 208 Seiten, Hardcover. 15,90 Euro. Copyright © Kilian Schwartz – Jun 15, 2008 |
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