Glamour-Drama war gesternIn Katja Lange-Müllers „Böse Schafe“ gibt es keine Heroes I. Roter SamtMit einem Lederriemen zwischen den Zähnen zieht er die Schlinge fest und sticht die Kanüle in eine hervortretende Ader. Blutstropfen treten schon aus der Einstichstelle hervor, doch der Plastikkolben wird immer weiter nach unten gedrückt, die Spritze bis zum Anschlag in die Armbeuge gerammt. Mark Renton, der im echten Leben Ewan McGregor heißt, verdreht die Augen und sinkt ins samtene Innere eines Sargs. Um diese Szene aus dem Boyle-Film Trainspotting kam 1996 niemand herum. Damals war Kurt Cobain gerade zwei Jahre tot, Iggy Pop geschätzte zehn Jahre clean und Pete Doherty wahrscheinlich schon dabei in dessen Fußstapfen zu treten. Beim Zuschauer blieb das Gefühl zurück, alles wäre möglich mit H, sogar in einer vollgeschissenen Toilette einen Ozean vorzufinden. Wie man auch ohne Junkie-Romantik auskommt, zeigt Katja-Lange Müller in ihrem Roman Böse Schafe. II. Christiane F. und Detlef vs. Soja und HarryHier werden keine Spritzen geteilt. Es wird weder geschrieen noch gekotzt, sondern verhältnismäßig unspektakulär in den Tag hinein gelebt. Vielleicht liegt es daran, dass dieses Drama längst der Vergangenheit angehört. Oder es liegt am Ostberliner Jargon, der immer wieder aus Katja Lange-Müller Erzählen hervorbricht und fast schon penetrant die Szenerie aufzulockern versucht. Beim Lesen glaubt man zumindest, es hätte niemals ein Drama gegeben, doch der Schein trügt. Die Geschichte von Harry und Soja beginnt in den späten 80-ern in Westberlin. Ebenfalls mit wenig Tamtam. Er lädt sie zum Kakaotrinken ein und kann ihr Herz erobern, trotz unbeholfenen Geschenken und kindlichen Küssen. Als Harry Soja gesteht, dass er nicht nur ein Ex-Knacki, sondern auch ein Ex-Junkie ist, weckt das ihren Helferinstinkt. Sie kann einige Leute animieren, sich um Harry zu kümmern, damit er seinen Entzug schafft und nicht zurück in den Knast muss. Als er dieser Gruppe jedoch eröffnet, dass er HIV positiv ist, ziehen sich alle zurück, bis auf Soja. Doch allein kann sie sein Leben nicht kontrollieren und so schwärmt Harry irgendwann wieder öfter auf Alleingänge aus. Sojas einzige Reaktion ist Eifersucht, die Anzeichen für Harrys Rückfall bemerkt sie erst, als es schon zu spät ist. Während Soja sich noch immer vor einem Aids-Test drückt, bricht die Krankheit bei Harry schneller aus, als gedacht. Soja versucht sich ein geregeltes Leben mit einem schwulen Schweizer aufzubauen, mit dem sie nach der Hochzeit in die Nähe von Basel zieht. Trotz der Entfernung kann sie nicht von Harry ablassen und besucht ihn. Im Jahr des Mauerfalls ist er plötzlich tot und Soja bleibt nur ein Schulheft, in dem Harry einige Notizen hinterlassen hat. Über so viele Menschen hat er geschrieben, nur eine Lücke klafft, denn Soja wird nirgends erwähnt. Völlig verwirrt verfasst Soja nach seinem Tod einen Brief an Harry. III. Doppelt und dreifachDer ganze Roman setzt sich aus den Aufzeichnungen Harrys und dem Brief der Protagonistin zusammen. Die ganze Zeit befindet sie sich im Zwiegespräch mit dem toten Harry, den sie natürlich fragt, wie er sie so einfach als Lücke zurücklassen konnte. Eine Antwort wird sie nie erhalten und das ist wohl das Tragischste an dieser Geschichte, die zuallererst eine Liebesgeschichte ist. Schade nur, dass man als Leser erst kurz vorm Ende diese Verbindung als das schätzt, was sie auch für Sonja war. Der Leser kann es erst begreifen, wie wichtig diese Beziehung für Soja war, als sie dem todkranken Harry noch immer nicht von der Seite weicht. Die vorigen Kapitel aber wurde alles ein wenig zu sehr durch das Ostberlinern und den 80-er Jahre- Slang abgemildert. Trotzdem gut zu wissen, dass der Leser nicht das volle Dramen-Paket braucht, um noch mitzufühlen. Katja Lange-Müller: Böse Schafe. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln. 208 Seiten, Hardcover. 16,90 Euro. Copyright © Franziska Walther – Jul 15, 2008 |
|