Johannes Schneider

Toss me a fuckin’ cigarette, for gaining mere sublime!

Erste Kolumne, die waghalsig über Eltern einsteigt, die keine polnischen Bergbauern oder eine ähnlich mehrheitsfähige Minderheit sind, und die außerdem Paul Simon mit dem „Prinzip Amber“ konfrontiert


„The cigarette kills time, chronometric time, the stark mechanical measure of mortality“, wusste Klein zu den eifrig dampfenden Dirnen aus Baudelaires Les salons de 1848 zu sagen, um dann zu einem versierten Höhenflug anzusetzen: „The cigarette interrupts and reverses the decline, accomplishes a little revolution in time, by seeming to install, however briefly, a time outside itself.“ Wer angesichts solcher Zeilen nicht den Pawlowschen Nickreflex des guten Geisteswissenschaftlers zeigt, ist raus. Noch viel weiter draußen ist, wer sagt: „Also installiert die Zigarette so etwas wie Ewigkeit im Flüchtigen, bzw. Ewigkeit gegen das Flüchtige?“ Das ist ganz schwach. Der gleiche Satz mit „Erhabenheit“ (Sublime) wäre ein Volltreffer, aber „Ewigkeit“ ist zu theologisch, zu sehr le dieu und zu wenig Lacan. Sublime ist das Wort der Stunde, Erhabenheit hier, Erhabenheit da, und so brüllen wir es auch der Urbanologin aus Berkeley immer wieder ins Ohr: „Sublime! Sublime! Sublime!“ Bis die blöde Schlampe endlich unsere Kippen rausrückt.

Rauchend sitzen wir dann neben der Frau und murmeln „Wahre Erhabenheit ist immer einsam“. Wir denken an all die anderen, denen das begriffliche Instrumentarium fehlte, um ihr Glück zu wahren. Natürlich hätte unser gedachter Nichtraucher Paul spätestens am nächsten Bus Stop zu Kathy sagen müssen: „So let’s buy a pack of cigarettes, for gaining mere sublime, then walk off to look for America.” Natürlich hätten meine Eltern und ihre Kollegen jener Bildungsministerin, die das Raucherzimmer 2005 in einen Schülerarbeitsraum mit lachsfarbener Tür verwandelte, zumindest einen Brief schreiben müssen, mit in etwa folgendem Inhalt:

„Liebe Frau Ministerin,

uns ‚Akademikern im Alltag’ die Möglichkeit zur temporären Entfremdung aus der chronologischen Zeit zu nehmen, finden wir nicht gut.

Mit freundlichen Grüßen ...“

Meinen Eltern schwiegen aber, in einem Anfall von Bypass-OP-Schwäche und Selbstzerknirschung, und so blieb ihnen am Ende nur die Errettung von 30 ehrenvoll vergilbten Brecht-Libretti aus der Konkursmasse des aufgelösten „Lehrerarbeitsraum II“. Sie benutzen sie heute als Bierfilze bei gelegentlichen Gelagen mit anderen zwangsemigrierten Rauchern. Sie atmen dann Erhabenheit, Menschen und Bücher, sowohl als auch.

PS: Aus Cigarettes are sublime erfährt man noch allerlei Anekdotisches, zum Beispiel, dass Sartre tatsächlich 80 Boyards am Tag wegzog und dass im Dritten Reich überall Schilder mit der Aufschrift (ich zitiere Klein wörtlich) „Deutschen Weiben rauchen nicht“ gehangen hätten. Ich kann das zweite nicht recht glauben und glaube deshalb auch das erste nicht mehr. Schade.

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Copyright © Johannes Schneider – Apr 15, 2008