Johannes Schneider

Das Rauchen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Vierte Kolumne, die Neid wecken will, theoriebasiert über ihre eigene mangelhafte Bebilderung nachdenkt und abschließend erläutert, warum Knastbrüder in Deutschland vom dekadenten Leben des Kolumnisten in Kalifornien profitieren


Genau so funktioniert Rauchen, zumindest, wenn man es richtig macht, meditativ, urlaubend. Die Zigarette verlangt uns in der Zeit ihrer Ausdehnung vollen Fokus ab, auf sie und auf uns selbst – wie einst die Daguerrotypie. Deren unmeditative Nachfolger sind damit ausgeschaltet. Das ist auch rein motorisch schlüssig: Wer will schon einhändig nach Fotoapparaten kramen, Menüeinstellungen auswählen und dann irgendwelche japanischen Touristen anquatschen, „ob sie denn wohl mal kurz mich und meinen Kollegen, ja? Danke!“, während er gerade seine wohlverdiente zehnte Zigarette des Vormittags raucht?

„Man muss da einfach mit Winston Churchill sagen ‚Either Cigarettes or Photographs – you cannot have both’“, sage ich zum Chefredakteur und grinse breit aus meinem neuen Ralph Lauren-Hemd in den Monitor. Der Chefredakteur aber ist gelernter Sozialdemokrat und hat sich kürzlich von einem Interview zum Thema „Rauchen im Gefängnis“ gut sozialdemokratisch aufrütteln lassen. Das fällt jetzt auf mich zurück. „Ist dir eigentlich klar, dass für viele Gefangene in deutschen JVAs die Kippe das letzte Stückchen Freiheit ist? Für die ist das echt lebenswichtig, während du da rumfährst und einer sowieso schon überschäumenden Klischee-Freiheit noch die Zigarettenspitze aufsetzt und hinterher irgendwas von Benjamin erzählst, du dekadentes Arschloch?“ fragt er mich unter Tränen des Zorns. „Schreib’ mal was gesellschaftlich Relevantes!“

„Ohne dandyhafte Lebemänner wie mich“, sage ich in aller Ruhe, „gäbe es den Zigarettenmythos der Freiheit gar nicht mehr, von dem auch die Serientäter im Knast zehren. Insgeheim träumen sie von meinem Jetset-Leben. Ich muss dieses Leben leben, damit sie weiter träumen können. Das ist meine gesellschaftliche Verantwortung.“ Dann lache ich sehr reich. Danach emaile ich ihm noch ein Foto von meinen Füßen nebst Kippenpackung, auf einem Felsen im Joshua Tree National Park. „Menschen, die so was schreiben wie ich hier grad, wollen nicht erkannt werden“, schreibe ich dazu. Und: „Bald gehe ich heim und werde wieder normal.“

PS: Joachim Löw wird von einer anderen SPD-Nase, Lothar Binding, dafür angegriffen, dass er (Löw) während des Portugal-Spiels geraucht hat: „Mit der Macht, die Herr Löw durch seine Vorbildfunktion hat, sollte er sich auch seiner Verantwortung bewusst werden – nicht zuletzt für die Gesundheit von Jugendlichen“ Herr Binding möge mir bitte den Jugendlichen zeigen, der sagt: „Boah, der supercoole Bundestrainer raucht, dann rauche ich jetzt auch!“ Es tragen ja auch nicht allzu viele Jugendliche in Deutschland transparente weiße Herrenhemden und Pilzköpfe. Zumindest sagt man mir nichts davon.

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Copyright © Johannes Schneider – Jul 15, 2008