Maximilian Balzer

„I can hear clearly now“

Lauschrausch: Heinz Erhardt „Immer wenn ich traurig bin ...“ (1970)


...trinke ich einen Korn.

Heinz Erhardt hat mit diesem Lied-Text die Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Generation auf den – nicht immer klaren – Kopf getroffen. Das Lied stammt aus einem seiner letzten Filme: „Das kann doch unsren Willi nicht erschüttern“. Und während im Titel noch etwas von Nachkriegs- Durchhalteparole mitschwingt, erscheint die Handlung des Films geradezu programmatisch für das neue Wirtschaftswunder-Selbstbild der Deutschen: Willi Hirsekorn aus Castrop-Rauxel bricht, nachdem die Nachbarin mit einem anstehenden Urlaub geprahlt hat, kurz entschlossen ebenfalls mit seiner Familie nach Italien auf.

Schön: Italien! Rimini war in den 60ern ungefähr das, was Mallorca in den 90ern werden sollte: eine Perle deutscher Lebensart, ein ferner Ort, um sich heimisch zu fühlen bei deutschem Essen, deutschem Trinken, deutscher Sprache – auch wenn am Ende die Muschel tot ist... ...trink ich noch’n Korn – womit wir wieder beim Thema wären: „Immer wenn ich traurig bin...“ gehört zur Gattung der Trinklieder. Nicht nur inhaltlich bezieht sich der Text auf Alkohol und den Genuss desselben. Auch in der Textstruktur darf der Alkohol seine Wirkung tun. Das Lied besteht aus einer melancholischen Strophe, die den bereits Korn-Satz in leichter Abwandlung dreimal wiederholt, um zu schließen mit: ...dann fang ich an von vorn!, worauf der Refrain einsetzt mit einem manischen: Hollari jubijubijeh hahaha... Diese Einfachheit rückt die wichtigste Funktion des Trinkliedes ins grelle Licht: das trunkene Gemeinschaftsgefühl wird gestärkt und ausgedrückt, indem jeder mitsingen kann - unabhängig vom Grad der Betrunkenheit. Nicht zuletzt dadurch konnte das von Heinz Erhardt in gewohnter Bescheidenheit vorgetragene Ständchen zu einem Evergreen des deutschen Trinkliedguts werden. Sein Neffe Marek Erhardt hat es vor einigen Jahren neu und poppig vertont. Ein Hit auf Skihütten und Schützenfesten. Das Thema bleibt brandaktuell.

Für Heinz Erhardt war schon 1970 die beste Zeit vorbei. Ein Jahr später erlitt der Workaholic einen Schlaganfall und betrat nie wieder eine Bühne. Deutschland hatte sich ohnehin verändert. Es kam eine Generation, die mehr sein wollte als Wirtschaftswunder. Ob Heinz Erhardt fortan vom Alkohol abließ, darüber habe ich keine Informationen. Aber zumindest den Doppelkorn vor den Auftritten, gegen das Lampenfieber, konnte er sich nun ersparen.

Heinz Erhardt: Das Beste von Heinz Erhardt. Ar-Express (Sony BMG), 2007. Audio CD. 7,45 Euro.


Copyright © Maximilian Balzer – Jul 15, 2008