Schreibstoff: SchokoladeDie zarteste Versuchung, seit es Schreibstoff gibt Ein bisschen Glück, ein bisschen zu leicht zu haben, ein bisschen zu wenig schädlich: Phenethylamin, Tryptophan, Cannabidoid Anandamid und eine Prise natürliches Antidepressivum kann jedes Kind in jedem Supermarkt kaufen. Und es gibt höchstens schlechte Zähne, Diabetes und Übergewicht. Man muss nur jemanden kennen, der jemanden kennt, der schon mal Ecstasy gesehen hat, um zu wissen: Schokolade ist die bessere Droge, und, wie bei jeder guten Droge: Nicht was für jeden. Schokolade ist was für Mädchen: Für Autorinnen, die zu diszipliniert sind, um nach 18 Uhr noch am Schreibtisch zu sitzen und die vor 18 Uhr keinen Alkohol trinken. Die zu schüchtern sind für Koks und die vom Rauchen husten müssen. Mit nichts kann man Abstinenz besser kompensieren, als mit 80%iger Schokolade – guter Stoff, kaum gestreckt. Wie diese Mädchenautorinnen selbst, kennt Schokolade viele Outfits und Designs, ist ein Markenfetischist mit Marketingstrategie. Auf den Mädchenautorinnenschreibtischen wird ein Macbook nur mit einer Tafel Ritter Sport Joghurt, das Macbook Air mit Ritter Sport Cocos kombiniert. Schreibblockaden dauern an solchen Arbeitsplätzen genau so lang, wie das Verspeisen einer Packung Wagner-Pralinen. Und dann schreiben Mädchenautorinnen weiter, über die Liebe und sich selbst, ihre reflektierte, fokussierte Oberflächlichkeit und eine kapitalistische Welt. Wie passend ist da die Schokolade, niemals notwendig genug, um abkömmlich zu sein. Die Mädchenautorinnen führen sich in Versuchung, ans Ziel – und an die geforderte Anzahl von Anschlägen. Sie sind drauf, sie kommen nicht mehr runter. Mehr als die Schokolade, fließt die Idee durch ihre Adern, die Idee, sich etwas zu gönnen, das knisternde Zelophan zu öffnen, einen Riegel nach dem anderen abzubrechen. Die wahre Speise der Götter, gerade gut genug für Kaiser vergangener Zeiten, gerade gut genug für diese Mädchenautorinnen, die es schaffen, ihre weißen Laptoptasten trotz allem nicht mit Schokoresten zu versauen. Die es schaffen, trotz allem nicht dick zu werden. Die Mädchen sind das Medium, durch das die Sinnlichkeit des kakaohaltigen Genussmittels ihren Weg in Texte findet. Der Schreibprozess ist körperlich, der Kampf mit und gegen die Kalorien ist körperlich, ihr ganzes Mädchenautorinnendasein ist körperlich und endet auf dem Laufband oder im Aerobic Kurs. Vorbei sind die vergeistigten Zeiten gesichtsloser Schreiber. Mit der Schokolade rauscht das Bild der klugen Jetztzeitfrau durch Mädchenköpfe und sie schreiben sich so nah wie möglich heran an dieses Bild, das auch ihrer Chef-Redakteurin bei der Vogue gefällt. Auf Schokolade produziert man keinen Literaturnobelpreis. Auf Schokolade schreiben Mädchenautorinnen stylische kleine Texte, die den Leser vielleicht ein bisschen glücklich machen, aber ein bisschen leicht zu haben und ein bisschen zu wenig schädlich sind, um Kunst zu sein. Copyright © Anna Basener – Jul 15, 2008 |
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