Wenig Max Weber, sehr viel Roland Girtler
Der Wiener Randkulturforscher erinnert sich an sich selbst
Von Dirk Kaesler
Max Weber bewunderte Wien, die kaiserlich-königliche Reichshaupt- und Residenzstadt der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie. Bevor er an der dortigen Universität von April bis Juli des Kriegsjahres 1918 eine Professur wahrnahm, weilte er mindestens zweimal für längere Zeit in der schönen und großen Stadt an der Donau: einmal im Herbst 1909, anlässlich der Tagung des „Vereins für Socialpolitik“, das zweite Mal im Frühjahr 1916, als er im Auftrag des „Arbeitsausschusses für Mitteleuropa“ nach Wien und Budapest gefahren war. Aus seinen Briefen vom Frühjahr 1916 wissen wir, wie sehr ihn „die gewinnende Liebenswürdigkeit und Offenheit der Oesterreicher“ angezogen hatte, und wie stark ihn „die vielen angenehmen Menschen dort und deren degagiert-feine Art, die so wohltut“, angesprochen hatten. In den Begegnungen mit ausgewählten Bewohnern Wiens spürte der deutsche Gelehrte aus dem kleinen „Weltdorf“ Heidelberg – wohl auch vor allem an sich selbst – qualvoll jenes „,Weltmännische‘, welches uns so fehlt“.
Am Abend des 23. Oktober 1917 kam Weber erneut mit dem Zug in jener Stadt an, von der er erst im Jahr zuvor geschrieben hatte, sie sei – „nächst München – die schönste Stadt deutscher Zunge“. Seit der Gründung der Doppelmonarchie im Jahr 1867 mit ihrem Kaiser Franz Joseph I. war Wien allmählich zu einer pulsierenden Millionenstadt angewachsen. Nach der ersten Modernisierungswelle während der „Ringstraßenära“ des liberalen Bürgertums war Wien unter seinem legendären Bürgermeister Karl Lueger und dessen Kommunalreformen in den Jahren 1897 bis 1910 eine moderne Großstadt geworden, die ihre zentrale Einbettung in eine ehemals globale Geschichte allgegenwärtig betonte. Zugleich beherbergte das Wien, in das Weber kam, die nach Warschau größte jüdische Gemeinde Europas, mehr als 200.000 Menschen zählten dazu. Die letzten Tage der Donaumonarchie waren zugleich ein „Goldenes Zeitalter“ des Wiener Judentums.
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Aus der Sonderausgabe von Dirk Kaesler: Über Max Weber. Beiträge in literaturkritik.de 2006 – 2020 (Verlag LiteraturWissenschaft.de)