Der alte Löwe leckt Blut: August 1914
Max Weber und der Erste Weltkrieg
Von Dirk Kaesler
Heute wissen wir, dass nicht alle Menschen in Deutschland am 1. August 1914, an dem das Deutsche Reich den Krieg gegen Russland erklärte, in taumelnden Jubel verfielen. Insbesondere auf dem Lande war die Stimmung schon bei Kriegsbeginn eher gedrückt als aufjubelnd. Am Sonntag, dem 2. August 1914, waren viele Kirchen so überfüllt wie sonst nur an hohen Festtagen, man sah eher weinende Frauen und Kinder auf den Kirchenbänken. Still und gedrückt gingen die meisten Menschen wieder nach Hause, in Sorge um ihre Söhne, Verlobten, Männer, Väter und Großväter. Auf dem Lande waren spätestens am Weihnachtsfest des Jahres 1914 alle Ansätze euphorischer Kriegsstimmung erloschen, nach nur fünf Monaten gab es Gefallene, Verletzte und Vermisste mehr als genug. Die Hoffnung auf ein schnelles, siegreiches Ende des Krieges war passé. Die einfachen Leute, deren Männer und Söhne wie in jedem Krieg den größten „Blutzoll“ – wie die „besseren“ Kreise das gerne nannten – entrichteten, hatten sehr bald genug vom Großen Krieg. Sie hatten genug von Tod und Trauer, genug von Mangelwirtschaft und Abgabepflicht. Sie wollten in Frieden und bescheidenem Wohlstand leben und ihre Ruhe haben. Und doch: Als treue Untertanen wollten auch sie ihre Pflicht tun. Darum trugen sie ihr Schicksal, darum gingen sie nicht auf die Barrikaden. Aber deswegen musste man auch nicht unbedingt Hurra schreien, weder am Anfang und erst recht nicht am Ende des Krieges.
In den großen Städten Deutschlands, und vor allem in Berlin, sah das ganz anders aus. Dort spielten sich jene Szenen ab, die das kollektive Gedächtnis bis heute gespeichert hat: Menschenmassen auf den Straßen und um die Bahnhöfe, die den blutjungen Soldaten Blumen, Girlanden und Sprüche zuwarfen wie: „Giftwagen für Russland, täglich frische Engländer und Franzosen zu Einkaufspreisen.“
Ich habe meine Zugangsdaten vergessen. Bitte schicken Sie sie mir zu. |
![]() | ||
|
||
![]() |
Aus der Sonderausgabe von Dirk Kaesler: Über Max Weber. Beiträge in literaturkritik.de 2006 – 2020 (Verlag LiteraturWissenschaft.de)