Leserbriefe zur Rezension
Logistiker des Terrors
In seinem Roman „Das Fahle Pferd“ stilisiert sich Boris Sawinkow als professioneller Techniker der terroristischen Gewalt
Von Jörg Auberg
Alexander Nitzberg schrieb uns am 15.12.2015 Im Roman ist und bleibt George vollkommen autark. Natürlich trifft er sich regelmäßig mit einem Vertreter vom "Komitee", aber entscheidend ist doch, daß er konsequent sämtliche seiner Forderungen verweigert! Er gibt ihm unzweideutig zu verstehen: Ich führe meinen eigenen Kampf und lasse mir von niemandem etwas vorschreiben. Der "technische" oder gar "unternehmerische" Aspekts des Terrors läßt sich im Text des Romans an keiner einzigen Stelle belegen. Er stammt aus dem Nachwort von Jörg Baberowski, welches gerade deshalb so fragwürdig ist. "Unternehmer" impliziert vor allem auch finanziellen Profit, etwas, das dem Ich-Erzähler George zutiefst fremd ist. Zuletzt der Vorwurf des "antisemitischen" Blicks auf die Geheimdienstspitzel. Dieser Vorwurf ist absurd: Zahllose enge Freunde (z. B. Ilja Ehrenburg) und Kampfgenossen Sawinkows waren bekennende Juden. Fast die gesamte Parteispitze der Sozialrevolutionäre bestand aus Juden (Asef, Gerschuni, Gotz etc.), die Mitstreiterin Dora Brilliant (die im Roman als "Erna" vorkommt)war Jüdin. In vielen seiner politischen Schriften engagiert sich Sawinkow ausdrücklich gegen den Antisemitismus und verurteilt die Judenpogrome aufs Schärfste. Am 15. Februar 1921 schreibt er im Essay "Weiteres über die Pogrome": "Ich als Russe leide mit den Juden mit ... Ich kämpfe für das jüdische Volk, das so viel Leid ertragen mußte". Besonders intensiv werden jüdische Schicksale innerhalb der Sozialrevolutionären Partei in Sawinkows zweitem Roman "Als wär es nie gewesen" geschildert. Dennoch ist es eine historische Tatsache, daß zahlreiche Juden Mitarbeiter des Zarengeheimdiensts waren (allen voran der agent provocateur Jewno Asef). Warum ist es nun antisemitisch, in einem Roman einzelne Geheimdienstspitzel auch als Juden zu bezeichnen? Der Verfasser der älteren Übersetzung des Romans, der Anarchist Aage Madelung, schreibt dazu in einer Anmerkung ("Leo ... Das fahl Pferd, Kopenhagen, Leipzig 1909): "Wenn es hier heißt, daß die Spione jüdischen Typus haben, so liegt dies an der bedauerlichen Tatsache, daß recht viele Judenrenegaten in den Dienst der Regierung oder Polizei treten". |