Leserbriefe zur Rezension

Bob Dylan

Mutmaßungen über eine Maske

Von Dieter Lamping


Paul m. Backert schrieb uns am 01.06.2016
Thema: Dieter Lamping: Bob Dylan

Die Dylan Kritik gibt es entweder als die panegurische Ausgabe oder als die überanstrengte Gegenreaktion auf diese (Dazwischen gibt es nichts). In letztere ist Lampings Artikel einzuordnen. Summa summarum weist er Dylan den Daumen nach unten, wie einst die römischen Kaiser im Colosseum einem x-beliebigen in Ungnade gefallenen Gladiator nach dem Fight. Es ist mittlerweile fast schon eine eigene Disziplin geworden, Artisten wie Neill Young oder Joni Mitchel, die Dylan kaum bis zur Schulter reichen, diesem gleichzustellen oder gar vorzuziehen. Die Zahl ihrer Meisterstücke ist an den Fingern einer Hand abzuzählen, die Texte zumeist erschreckend schwach. Verstehe ich recht, ist Herrn Lampings eigentliches Metier die Lyrik. Deshalb ist es schwer verständlich, dass ihm dies nicht ins Auge fällt. Übrigens, sogar die allerschwächsten Dylan CDs beinhalten mitunter einige seiner besten Stücke überhaupt, z.B. Brownsville Girl (wenn auch eine Coproduktion mit Sam Shepard). Ähnliches gilt für seine Konzerte. Dort befindet sich wohl das eigentliche schatzkästchen Bob Dylan-ein Tipp für Herrn Lamping, dem in diesem Zusammenhang das einzig Bedeutende zu sein scheint, dass Dylan nicht selten schlechte Konzerte abliefert (was auch positiv gedeutet werden kann, er ist noch nicht zum Computer entartet).    
Sehr geehrter Herr Lamping, alle Worte in dieser Welt sind schon gebraucht (auch Dylans) bis auf Ihre "überdehnte Hybritität. Was meinen Sie damit? Desolation Row verbleibt für mich nach wie vor einer der bemerkenswertesten Texte dieses Genres.  "Desolation Row ist ästhetisch unbefriedigend".  Ist das dann die vom Herrn Schulmeister abgegebene Note 5?  Joan Baez als Sängerin mit dem Sänger Bob Dylan zu vergleichen (nicht incompatibel?), was für einen Sinn macht das? Den gleichen wie Dylan mit Pavarotti zu vergleichen (was wäre dabei herausgekommen, hätte Pavarotti Like A Rolling Stone gesungen?). In der Malerkunst begriffen die Kritiker relativ früh, dass es Nonsense wäre, bei der Beurteilung eines Expressionisten die gleichen Masstäbe anzuwenden wie bei der eines flamischen Meisters. Sich mit der Dylanmaske zu beschäftigen macht wohl Mitte der 70er Jahre (rolling Thunder Reviev) noch Sinn, als Dylan sich selbst eine Dylanmaske (wie er sie nannte) einmal überstülpte, heute kaum. Sie wird aber immer wieder noch beschworen (masked And Anonymous).  Was ist so schlimm daran, dass Like A Rolling Stone "Längen aufweist"? Herrn Lampings tiefsinnige Gedanken, was diesen Song angeht, wirken ansonsten leider wie ein literarischer Selfie Kopfschuss (der glücklicherweise nicht irreparabel ist). Die meisten in der Ästhetik Bewanderten, und nicht nur diese (vielleicht beruht ein adäquates Kunstverständnis in gleichen Maßen auf Intuition wie auf Akademismus) würden das krasse Gegenteil behaupten. Lamping betreibt hier Analyse reiner Willkür. Noch einmal Herrn Lampings folgende Worte: "eine eigenständige Sicht auf die Welt ist in Dylans Texten kaum auszumachen, ebensowenig ein Gefühl oder Gedanke von bemerkenswerter Tiefe...  Es mangelt ihnen an eigener Sprache. Sic! Akademia on the run. Es spricht für sich selbst.  Dylan ist schon mit Shakespeare verglichen worden, lange bevor er selbst diesen zitiert hat. Weshalb wohl?  Mag sein, wegen seiner Fähigkeit, so viele Leute emotional anzusprechen, nicht nur in den 60ern, ohne dabei seine künstlerische Integrität zu beeinträchtigen. Wenn man noch behauptet, Dylan kenne keine künstlerische Reife, dann droht man endgültig in ein schwarzes Loch zu fallen. Es gibt kaum einen Künstler, der nicht nur unablässig auf der Suche danach war, sondern während der letzten Konzertjahrzehnte diese auch oft eingefangen hat wie Dylan. Seine "definitiven" Versionen, sie gibt es in reichlichem Maße und stammen also nicht aus dem Studio und sind auch oft gar nicht in den 60ern anzusiedeln, sondern in den 90ern und später. Vielleicht ist es angebracht, an Goethe zu erinnern, den Herr Lamping wahrscheinlich besser kennt als Dylan. Goethe sagt keineswegs "wer ewig strebend sich bemüht, den können wir nicht erlösen". Das aber scheinen Sie Dylan zuzurufen. Ich bin der polarisierenden Dylan Diskussionen satt. "Süßer Friede komm ach komm in meine Brust."  
Paul M. Backert


Jurek Molnar schrieb uns am 08.06.2016
Thema: Dieter Lamping: Bob Dylan

Es gehört ja durchaus Mut dazu, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen, und die ergebenen Fans (wie ich einer bin) mit dermaßen blasphemischen Provokationen  zu reizen.
Sie werden sicher ein paar unangenehme Reaktionen darauf erhalten und ich bin sicher die untergriffigen Anwürfe, die sie ernten werden, werden sie wohl darin bestätigen. Darum möchte ich, als einer der Dummen, die da Kunst sehen, wo sie nur großsprecherische Überforderung erblicken, darauf verzichten, auf die Polemik mit weitere Polemik zu reagieren. (Das hoffe ich jedenfalls.)
Ich werde versuchen ein zwei Punkte heraus zu arbeiten, wo ich glaube, dass sie falsch liegen.

Wenn sie der Meinung, das ist schlechte Musik, müssen sie ja nicht zuhören, aber die Frage ist schon berechtigt: Warum diese bittere Abrechnung mit jemandem, dem sie totale Bedeutungslosigkeit attestieren? Warum die Mühe?
Das Elend der Dylan Interpretation ist, dass sie sich zuerst darauf konzentriert alle anderen Interpreten als unqualifiziert abzuwehren, um sich als einzige wahre Religion zu etablieren und sie sie sind da im Übrigen keine Ausnahme.
Es geht in ihrer Kritik nicht so sehr um Dylan selbst als um seine Fans, die sie für Trottel halten, denen die kritische Distanz fehlt. Wenn sie schreiben, dass diese Fans Leute sind, "die ästhetische Ansprüche manchmal gar nicht mehr zu kennen scheinen" ist das in erster Linie sehr tief und Ausdruck einer verächtlichen Haltung, so wie sie Adelige gegenüber dem Pöbel empfinden. "Dylans Auftritte haben allerdings wenig gemein mit den Konzerten großer Musiker oder Schauspieler, die, nach intensiver Vorbereitung, dem Publikum ihre Kunst auf höchstem Niveau, in größtmöglicher Vollendung vorführen."

Es ist mir nicht ganz nachvollziehbar, warum ausgerechnet sie als einziger zu wissen glauben wie Kunst zu sein hat und welchen Zielen sie verpflichtet ist. Sie stilisieren sich selbst als adeligen Connaisseur, dessen ästhetische Urteil universal zu gelten hat und meine Frage wäre: Warum glauben sie das?

Dass sie Dylans Musik nicht mögen, ist ihre Sache, aber sie kritisieren eigentlich prinzipiell nicht, dass sie schlecht ist, sondern dass er überhaupt welche macht und es bestürzt sie zutiefst, dass ihm einen Menge Leute immer noch zuhören, obwohl der Herr Lamping aufgrund seiner ästhetischen Urteilskraft eigentlich schon den Deckel darauf geschraubt und mit dem Vermerk "Unzureichend" markiert hat. Dylan ist nicht schlecht, sagen sie, sondern völlig überflüssig. Das ist schon mehr als ein Geschmacksurteil, das ist ein Urteil, wie die Realität auszusehen hat, wenn sie der Chef wären.

Es sei also zusammen gefasst:
Dylan ist ein schlechter Musiker, seine Lyrics sind scheiße, er beherrscht kein Instrument richtig, und seine letzte gute Platte ist 50 Jahre alt. Das sind alles Urteile, die kann man haben und ich bin der letzte der bestreitet, dass jeder nach seiner Facon selig werden soll. Aber das ist nicht der Punkt auf den sie hinaus wollen.

Sie sagen natürlich, dass er ein schlechter Künstler ist, aber eigentlich wollen sie darauf hinaus, dass er ein unnötiger Künstler ist. Sie bestreiten vor allem seine Relevanz und meinen nicht nur, dass sein Werk überschätzt wird, es sollte ihrer Meinung auch gar nicht entstanden sein.

Was ich sehe und lese ist eher die Behauptung aus dem eigenen Anspruch eine analytische Tiefe abzuleiten, die sie nicht haben. Sie meinen, dass er keine Lyrik schreiben würde, die relevant sei, weil sie offenbar diese Lyrik nicht lesen. Versuchen sie "Gates of Eden" zu analysieren und haben sie Spass dabei, oder bloß die erste Strophe von "It's allright Ma".

Diese beiden erwähnen sie gar nicht, obwohl doch "Bringing it all back home" die einzige Platte von Wert ist, wenn man ihnen folgen will.

Mein Verdacht ist ein jedoch anderer. ich glaube, dass sie zu jenen Dylanhörern zählen, die ihm seine Hinwendung zur Religiosität nie verziehen haben und deren Polemik darauf abzielt, die metaphysische und spirituelle Ebenen von Kunst generell zu denunzieren. Eine deutsche Überheblichkeit und ein Herrenmenschengestus, der vor allem dort Kunstlosigkeit erblickt, wo er das Menschliche aus den Augen verliert. Dylans Pose - und das begreifen sie eben nicht - ist nicht die eines Künstlers, sondern die eines Menschen. Sein Werk handelt nicht von ästhetischen Kategorien, sondern davon wie man wird, was man ist. Seine Kunst ist Vertikalspannung, in der ausprobiert wird, wie man als Mensch überlebt, wenn das eigene Leben und die Kunst ein Trapez ist. Sie können das nicht verstehen, denn sie haben etwas Besseres: ein Herz aus Stein. Was sie nicht verstehen ist, dass Dylan das Menschsein vorübt, indem er daraus Musik macht, die sich damit beschäftigt, was relevant ist und was nicht.

Wie Dylan bin auch ich religiös. Sie als Atheist können das nicht begreifen. Sie halten es eben für dumm und primitiv, der Idee Raum zu geben, dass Mensch zu sein mehr bedeuten muss, als eine technokratische Verwaltungseinheit darzustellen. Dylan spricht zu mir und vielen anderen Menschen, obwohl er nicht mit uns redet und er erreicht uns trotzdem immer noch, obwohl das gar nicht möglich sein sollte und nur durch eine Verschwörung der Dummheit aller anderen zu erklären ist. Schlimmer noch, sie versuchen eine Identität zwischen Person und Werk herzustellen, die sich schon an seiner Prämisse blamiert.

Ich finde das zutiefst abstoßend, wenn man nichts anderes anzubieten hat, als einen Kunstbegriff, der eigentlich ideologische Hyperinflation ist. In ihrem Kunstbegriff wird alles, was sich nicht der technokratischen Ordnung des Seins fügt, oder besser, was durch die Gewalt des Begriffs nicht mit sich selbst ident gemacht werden kann, solange entwertet bis es in der Bedeutungslosigkeit verschwindet und man es auf den Müll werfen kann. Ihr Text ist wenigstens in dieser Hinsicht enorm effektiv.

Die Entwertung des Menschlichen beginnt dort, wo man sich weigert zu sehen, dass die eigene Begrifflichkeit nicht identisch mit der Realität ist, die sie beschreiben soll. Und ihre Weigerung geht über ein Geschmacksurteil weit hinaus. Es versucht zu normieren, was sich der Norm widersetzt, und nicht als Identität gedacht werden kann.

Es bleibt als Frage, warum sie Dylan unbedingt zu einem "toten Hund" erklären müssen, wie einst Lessing Spinoza, anstatt einen Text über jene zu schreiben, die die Aufmerksamkeit ihrer Ansicht nach mehr verdienen. Ich persönlich hätte eine Auseinandersetzung mit Joni Mitchell lieber gelesen, als ihre Verbalinjurien gegen die Anhänger der falschen Religion.

MfG, Jurek Molnar


Andreas Joppien schrieb uns am 10.06.2016
Thema: Dieter Lamping: Bob Dylan

Große Güte, wer braucht sowas denn?  Die meisten solcher Dylan- Analytiker scheinen unter dem Übervater mehr  zu leiden, als die größten Fans. Bedenklich ist allerdings, zu suggerieren, Dylans Werke fehle die Existenzberechtigung.Wer seine eigenen limitierten Aufnahmemöglichkeiten zum alleinigen Maßstab nimmt,um  Kunst zu bewerten,bewegt sich nicht mehr in einem Austausch mit anderen, sondern befindet sich irgendwie in einem schwarzen Loch.Hat Dylan Sie nicht genug beachtet?