Günther M. Doliwa schrieb uns am 18.10.2019
Thema: Redaktion literaturkritik.de: Literaturnobelpreise für Olga Tokarczuk und Peter Handke
Peter Handke – ZERLACH DEN KONFLIKT (Über die Dörfer, 1980)
Am Großen sich reiben, macht noch lange nicht groß.
Nicht nur, weil er verblüffend meinem Bruder ähnelt, will ich mich aufmachen, Peter Handke in Schutz zu nehmen vor ungerechter, ausfälliger Kritik, die routiniert wiederkehrt, und eine Respektdistanz einfordern will ich vor den Frage-Überfällen sensationsheischender Journalisten.
Wenn das nun funkelnd, farbig und brillante Sprache und charakterlicher Stil sein soll, sich über einen weit größeren Schriftsteller zu echauffieren, weil der einen weit höheren Preis zugesprochen bekommen hat, während man selbst einen Bestenlisten-Buchpreis empfängt, dann will ich dies Wichtigtun mit einigen notwendigen Differenzierungen beantworten.
Wenn immer die Lauteren - nicht die vom Charakter her Reinen und Lauteren meine ich - die Aufmerksamkeitsfänger den Ton angeben und der Würde des Augenblicks nicht gewachsen sind, dann ist Ende der Diskussion über Wesentliches. Das belegen alle Talkshows, neuerdings auch Buchpreisverleihungen. Sich als der „wahrhaftigere“ Autor hinzupflanzen, der besser über das Schicksal der Völker Bescheid weiß, ist vielleicht dem Adrenalin-Einschuss einer Preisverleihung geschuldet. Am Großen sich reiben, macht noch lange nicht groß.
Handke misstraue seinem eigenen Erzählen zu wenig. Wer schreibt also genauer? Alles sei bei Handke Poesie, Ambivalenz. Sasa Stanisic echauffiert sich, nennt H. unbarmherzig einen „kitschigen Möchtegern“, weil Stanisic eine eitel-ästhetizistische Literatur ablehnt. Er reklamiert für sein Schreiben, was H. nicht beschreibe. Abschweifungsverliebtheit inbegriffen. „Ohne Abschweifung wären meine Geschichten überhaupt nicht meine. Die Abschweifung ist Modus meines Schreibens.“ Im vorliegenden Fall ist seine Ehrabschneidung eine Abschweifung zu viel des Schlechten. Vor dem Fest Fallen zu stellen bezeugt eine zweifelhafte Herkunft, um drei seiner Buchtitel in einen Satz zu fassen. Als wäre ein Buchpreisträger per Preis befugt, einen Großen zu beschädigen. Es ist ein höchst moralisierendes Denken, vom Künstler moralische Integrität zu erwarten, die man erst einmal selbst hinkriegen muss. Da würden ganz große Kunstwerke schnell mit in Verruf geraten. Nicht nur Wagner, Hamsun, Jünger, Polanski, M. Jackson u.a. hätten schwere Glaubwürdigkeitsverluste zu verzeichnen. Sie würden sich schwer tun, sich im Leben und Handeln deckungsgleich mit ihren Überzeugungen zu finden. Wer könnte dem Anspruch kompletter Integrität genügen? Das Menschliche müsste ganz und gar mit dem Göttlichen zusammenfallen. Das ist das Markenzeichen eines Jesus von Nazaret. Immerhin ein „Maßgebender“ der Weltgeschichte. Darf nicht auch ein Autor in Teilen "verblendet" sein? Und beschädigt dies sein Werk total?
Peter Handke wird für seine kunstvolle Parteinahme der Sprache geehrt.
Ein 39-jähriger Buchpreisträger, Sasa Stanisic, wütet gegen Handke. Eine Aufmerksamkeit hat ihm nicht gereicht. Seine hochmütige Empörung mag eine echte Wurzel gehabt haben, wenn er Handke blinde Parteinahme für Serbien gegen den Rest der Welt vorwirft. Der war gewiss nicht der einzige, der sich im Jugoslawienkrieg geirrt hat. Dieser in Europa für unmöglich gehaltene Krieg hat die Schönwettereuropäer zehn Jahre lang in Atem gehalten. Aber für eine Parteinahme für ein Volk wird Peter Handke in Stockholm auch nicht geehrt. Darum ist das ein boshaftes Missverständnis von Stanisic zu sagen, er sei "erschüttert, dass so etwas prämiert wird". Peter Handke wird im Gegenteil für seine kunstvolle Parteinahme für die Sprache geehrt.
Da wurde einer mit gutem und hohem Recht für ein Lebenswerk geehrt, das man erst einmal geschrieben haben muss. Ich habe deshalb und gerade deswegen große Lust, Handkes genialen Sprechstücke von 1966 zu feiern, seine blitzgenauen Betrachtungen und Versuche über Dinge, die wir gar nicht beachten, seine sprachgewaltigen Theater-Stücke, seine fundamentale Sachkenntnis der Literatur und ihrer Sprechweisen, seine Romane, Übersetzungen, das wunderbare Drehbuch zu „Himmel über Berlin“ von Wim Wenders, seine Schauspiele, seine Umweg-Augenzeugenberichte, ja, sein Lebenswerk, das Achtung, nicht Böhmermann-Spott und Diffamierung verdient. „Wer sonst hat die Sprache so ernst genommen als seine Lebensaufgabe?“ (Wim Wenders)
Blindheit und Herkunft sind Themen von Stanisic. Wut-Reden mit Appellcharakter sein Stil, den er Jugoslawiens nationalistischen Führern vorhält. Das eigene Volk als Opfer hinstellen, im tiefen Griff in die glorreiche, verblasste Vergangenheit zu Zeiten osmanischer Ausdehnung. Ehrverletzungen. Mobilisierung von Feindbildern. Geschichte im Imperativ.
Der Jugoslawien-Krieg wird so im Angriff auf Handke fortgesetzt. 26.000 Tweets habe der Buchpreisträger schon abgesetzt, witzig, wütend, abschweifend. Das Medium der Zeitgenossen flott nutzend. Darunter tauchen üble Schmähungen auf, die man sonst nur von Trump kennt. Das ist mehr als ein Autorenkonflikt. Da gehen Minen hoch. Da ersteht Jugoslawien nach dem Zerfall wieder als Pfand im Deutungskrieg.
Was ist in jene Kritiker gefahren, ein so harsches moralisches Urteil über die angeblich blinden Wahrnehmungen eines Autors von Weltrang in höchster Entrüstungspose abzugeben, als dürfe man ein Lebenswerk mit Schmutz bewerfen, weil einem seine politische Stellungnahme missfällt? Einen solchen Gefährten der Weltliteratur einen „kitschigen Möchtegern“ (Stanisic) zu nennen ist ein schlimmes Urteil – über den Beschimpfenden selbst. Was ist das? Reine Schmähung? Anpöbelei? Neidgimpelei? Herabsetzungslust? Besserwisserei? Das Gefälle der Lebensleistung zwänge eigentlich einen jüngeren Gerade-mal-Anfänger etwas bescheidener aufzutreten. Mit Tweet-Kaskaden lässt sich gut herum “trumpeln“. Aber wird man damit einem gerecht, der sich ein Schauen angeeignet hat, das sich jegliche Schaumschlägerei verbietet? Wer schreibt getreuer und genauer über die uns in aller Widersprüchlichkeit vorliegende so genannte „Realität“? Man müsste halt lesen… Und sich Zeit nehmen, die man sich nehmen lässt…
Wurzeln und Entwurzelung
Ist die Aufregung überhaupt zu verstehen, ohne auf die Wurzeln der Autoren zu schauen und deren Entwurzelung mit zu bedenken? Wird da nicht Heimat und Herkunft eingeklagt, die auseinander gebrochen und nicht wieder zusammen zu setzen ist? Handelt es sich um Elegien des Verlusts? Geht es bei dem Preisträger-Konflikt nicht um zwei nachhaltig Entwurzelte? Dem Verlust als Lebensthema treu zu sein, den keine Fiktion aufzuwiegen vermag? Wir sind mit in eine Kampfzone geraten.
Geboren wurde Sasa Stanišić 1978 in Višegrad im damaligen Jugoslawien, heute Bosnien/ Herzegowina. Mutter Serbin, Vater Kroate. Als 1992 der Bosnienkrieg ausbricht, flüchtet er mit der Mutter nach Deutschland, sein Vater und seine Großeltern kommen nach. Heidelberg als Asylresidenz. Froh überhaupt noch am Leben zu sein. Seine Familie indes lebt heute über den ganzen Erdball verstreut: „Wir sind mit Jugoslawien auseinandergebrochen und haben uns nicht mehr zusammensetzen können.“ Da leuchtet der Grundkonflikt aller Geflüchteten auf. Nicht nur die Heimat bleibt zurück, auch Familie lässt sich nicht mehr halten. Der Streueffekt wirkt fatal weiter. Der Geflüchtete muss eine ganz neue Sprache, Kultur und Tradition kennen lernen und sich seine Zusammenhänge zusammen basteln. Ein Glück, wenn er Freunde findet, und sei es an der Tankstelle.
Peter Handke, geboren am 6.12.1942 in Griffen, Kärnten. Mutter Slowenin, Vater Deutscher (Soldat in Kärnten), von dem er erst als Volljähriger erfährt; Stiefvater ein Deutscher, Adolf Bruno Handke, von dem er seinen Namen hat. Die Mutter Maria nimmt sich 1971 das Leben, im Strudel von Depressionen. Als Kind erlebt Peter, dass Slowenen in Konzentrationslager verschleppt werden, wie slowenische Partisanen wüten, wie man vor Bomben Unterschlupf sucht in Felsenhöhlen. Nach dem Krieg, Versuch in Berlin, Rückkehr ins Dorfleben. Internat, hervorragender Schüler, lernt fünf Sprachen, später Übersetzer. Klagenfurt, Graz. Vertraut mit Schmähreden gegen das literarische Establishment erzielt er 1966 den Durchbruch. (Stanisic macht es ihm 2019 etwas nach.) Heirat. Düsseldorf. Paris. 1969 Tochter Amina. 1973 Büchner-Preis. 1976 Angstanfälle, Herzrhythmus-störungen. Verzweiflung. Schreibkrise. 1979-1987 Salzburg, auf dem Mönchsberg, auf der Richterhöhe (!). Kafka-Preis. 1987-1990 Weltreise. 1996 Serbien-Kontroverse. Er verharmlose serbische Kriegsverbrechen, relativiere Massaker, verhöhne muslimische Opfer. Missdeutung und Diffamierung seiner Person nehmen hier ihren Anfang, kehren wieder wegen seiner Grabrede 2006 für Milosevic, was ihn zum Verzicht auf den Heine-Preis zwingt; 2008 verteidigt er Jugoslawiens Befreiungskampf gegen die Nazis, nennt die westlichen Staaten „Gaunerstaaten“. Alle sattsam bekannten Vorwürfe schießen trotz aller Klarstellungen von Seiten Handkes 2019 wieder auf.
Als ob das, was man gemacht hat, nun Licht bekommt. Auch wenn Zusatz-Licht trügerisch ist.
2019 erhält Handke den Nobelpreis für Literatur, weil er einfallsreich, einflussreich, Ränder erforschend, auslotend seine ganze Sprachkraft menschlichen Erfahrungen, Landschaften, der Leuchtkraft der Materie gewidmet hat, nicht ohne Bekanntschaft mit der Verzweiflung gemacht zu haben. Sein Werk hat wahrlich Licht verdient wie er als erste Antwort auf die Bekanntgabe sagt: „Es ist schon so, als ob das, was man gemacht hat, nun Licht bekommt. Auch wenn alles trügerisch ist: Es ist doch eine Art von Zusatz-Licht, das einem nur willkommen sein kann und für das man dankbar sein muss.“ Der ganze Handke. Auch wenn alles Blitz-Licht trügerisch ist.
So trügerisch wie die wechselhafte, wetterwendische mediale Aufmerksamkeit. Im Reiz-Reaktions-Medien-Getümmel fühlt sich ein sonst eh schon Deplatzierter doppelt deplatziert. „Ich stehe vor meinem Gartentor und da sind 50 Journalisten und alle fragen nur wie Sie“, beschwert sich Peter Handke. „Von keinem Menschen, der zu mir kommt, höre ich, dass er sagt, dass er irgendwas von mir gelesen hat. Es sind nur die Fragen: Wie reagiert die Welt? Reaktion auf Reaktion auf Reaktion.“ Und er setzt nach: „Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen.“
Dann tut manche Presse so, als dürfte sie über ihre Banalisierung von Literatur durch Aufbieten von Nebensächlichkeiten pikiert sein. Immerzu nur plumpe Meinungsabfragen wie jüngst wieder bei einer Veranstaltung in seinem Heimatort Griffin: Was sagen Sie zu dem, was der gesagt hat…? Nicht eine Frage dazu, was sich heute überhaupt stimmig aussagen lässt mit sprachlichen Mitteln. Wie heute von Welt reden, gar vom Krieg, und zu wem, wenn die Ohren von Schmalz triefen, schwerhörig von Floskeln, taub von Blödigkeit, gereizt von Gemeinheiten, wenn die Lippen triefen von Zynismus, der Feindbilder mobilisiert und Brandstiftung betreibt. Lasst Handke in Frieden! Der braucht keine Belästigung mit scheinheiligen Fragen zur Vergangenheit. Genug der Demütigung!
Debattenkultur wird immer kulturloser: Preise sind in, Preisung ist out.
Preisträger-Beschimpfung ist etwas völlig anderes als Publikumsbeschimpfung im Stil eines enfant terrible von 1966. Herabsetzung ist in Mode, Hass im Schwang, Würdigung ist Mangel. Handke würde einen Völkermord einfachhin leugnen? Humbug! Dass ich nicht lache! Das möchte ich konkret nachlesen und nicht unterstellt wissen. Boshafter geht’s nicht! Bei solchen Diffamierungen kann einem angst und bang werden. Da kommt ein – Verzeihung, dass ich mich aus Verärgerung anstecken lasse! - Dreikäsehoch im Literaturbetrieb und bricht dreist den Stab über einen literarischen Meister.
Manche Autoren wie Botho Strauß oder Peter Handke wissen schon, weshalb es äußerst ratsam ist, Medienvertreter auf Distanz zu halten und ihren offenkundigen Zwecken zu misstrauen. Diese Größen gieren wirklich nicht (mehr) nach Öffentlichkeit. Sensationsjäger spüren sie auf. Geilheit hat längst nicht nur sexuelle Anzüglichkeiten im Sinn. Seriöse Medien dagegen respektieren eine Sphäre und pflegen einen Umgang, der nicht über das Mindestmaß an Informationsrecht hinausgeht.
Die Debattenkultur wird immer kulturloser. Hochkultur ist ein Hemmungssystem. Es überlebt nur durch Differenzierung und geht unter bei Nuancenvernichtung. Einbrüche aus dem Barbarischen, Enthemmung des Primitiven sollte man in Schach halten. In der populistisch aufgeblähten Konfusion mit ihren Überhitzungen, Zuspitzungen und Dramatisierungen ist es ratsam und heilsam, in Zwischenräumen zu lesen. Der kluge Spinoza rät: „Nicht lachen, nicht Trübsal blasen, nicht verachten, sondern Einsicht üben.“ Sonst geht jegliche Basis der Auseinandersetzung flöten.
Dem Gedemütigten möchte ich sein Wort aus Über die Dörfer ans Herz legen: „Zerlach den Konflikt!“
Ich gratuliere Peter Handke und Österreich sehr herzlich zum Nobelpreis für Literatur.
Günther M. Doliwa, 18.10.2019/www.doliwa-online.de
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