oliver hartmann schrieb uns am 11.09.2003
Thema: Andrea Potzler: Des Lehrmeisters pädagogischer Wink
liebe andrea potzler,
eigentlich hätte ich ihnen gerne persönlich geschrieben. in ermangelung einer geeigneten kontaktadresse erlaube ich mir einige lose anmerkungen per leserbrief loszuwerden.
ein wenig schmunzeln musste ich schon, nachdem ich ihren verriss über unser hörbuch verdaut hatte. ihre einigermaßen deftig formulierten beinahe biestig-bissigen äußerungen gegen unser bescheidenes erstlingswerk waren von einer dermaßen kraftvollen abscheu geprägt, dass ich mich nach dem ersten lesen gradezu schuldig fühlen musste, zusammen mit meinem künstlerkollegen frank suchland ein solches hörbuch überhaupt produziert - und schlimmer noch - in frevelhafter weise veröffentlicht zu haben. das schuldgefühl hat sich mittlerweile gelegt. so steht denn auch unser aktuell in produktion befindliches 2. hörbuch - wiederum mit zum teil vertonten oder nach ihrer definition "verkleisterten" gedichten - nicht mehr in der gefahr, aufgrund ihrer angriffslustigen anmerkungen verworfen bzw. nicht realisiert zu werden (das ist die schlechte nachricht ;-) in der tat würden und werden sie sich vermutlich beim anhören besagter neuschöpfung einmal mehr die haare raufen und entsprechend zum gegenschlag ausholen wollen, zumal es sich bei den von uns überaus verehrten autoren um womöglich noch heiligere ikonen der literaturgeschichte mit namen kästner, kaléko, kaschnitz und ringelnatz handelt. hierfür bereits an dieser stelle meine unbedingte bitte um nachsicht, aber glauben sie mir... wir können einfach nicht anders ;-)
sein sie entgegen ihres höreindrucks versichert, dass frank und ich zu keinem zeitpunkt weder den zeigefinger noch den anspruch erhoben haben, noch jemals erheben werden, die wahre und wahrhaftige interpretation eines der von uns vertonten gedichtwerke gefunden zu haben (wer das tut, hat ohnehin ein problem mit sich und der welt), geschweige denn irgendeinen literaturverdrossenen "zum Guten, Schönen und Wahren" führen zu wollen. ganz im gegenteil, und vielleicht zu ihrem erstaunen, beabsichtigten wir mit unseren bearbeitungen lediglich unsere ganz persönliche begeisterung im sinne einer kleinen verneigung in einer für UNS spannenden und nicht alltäglichen form auszudrücken, nicht zuletzt aus dem grund, weil uns genau diese form gefällt und wir dieselbe für durchaus phantasieanregend und hörenswert halten. ich der musiker, der als junger schüler unter genau den von ihnen beschriebenen beglückungsquälereien diverser weltfremder lehrer leiden musste, kann ihren "lehrer-lempel-zeigefinger"-vorwurf so ganz und gar nicht nachvollziehen. kompositorisch habe ich meine subjektiven eindrücke mit den bewusst dynamischen rezitationen von frank in illustrationsmusiktypischer, oder anders gesagt: filmmusik(sorry)typischer art verschmolzen. es ging uns insgesamt um ein behutsames, dennoch emotional betontes herausheben des gesprochenen wortes unter zuhilfenahme einer zusätzlichen für unsere begriffe absolut legitimen musikalischen "erzählebene", die keineswegs die phantasie - sofern überhaupt vorhanden - in eine bestimmte "richting" lenken muß. wir sehen unser werk als eine von unzähligen möglichkeiten, die großartigen balladenwelten der alten meister in ein hörereignis umzusetzen. wo sie indes den "pädagogischen wink" sehen oder besser hören, bleibt mir bis dato ein rätsel. vielleicht stören sie sich an dem finger, der sich aus der riesigen masse aller hörbuchanbieter zu erheben wagt mit der womöglich dreisten bitte um aufmerksamkeit: "hallo liebes publikum, hier sind wir und haben euch was mitgebracht."
was ist es letztendlich, das sie an unserem hörbuch stört? ihr aufhänger ist der erwartungsschürende aufkleber, der übrigens - und das ist die gute nachricht - seit der zweiten auflage nicht mehr auf dem tonträger zu finden ist, sowie die nach wie vor existierende kurzbeschreibung auf dem inlay. diesen beiden eher peripheren aspekten (welcher "hörer in spe" kauft eigentlich hörbücher aufgrund von aufklebern oder kurzbeschreibungen?) widmen sie zusammen mit der allgemeinen lehrer-lempel-abhandlung in aller ausführlichkeit immerhin die hälfte der gesamten "so bezeichneten" hörbuchbesprechung, um endlich im folgenden das gesamtprodukt auf dieser grundlage kurz und knapp verbal einzureissen. anhand von 3 nicht weiter behandelten titeln geben sie eine grob pauschale gesamtbeurteilung für das aus immerhin 12 unterschiedlichen werken bestehende 53-minütige hörbuch ab. vom umfangreichen begleitheft, das zum (nach)lesen aller balladen einläd, fehlt jede spur einer andeutung. alle musikalischen beurteilungen führen sie in einer enttäuschenden oberflächlichkeit am beispiel von genau 1! titel (erlkönig) durch, ohne die chance einer fachlichen oder sachlich differenzierten darstellung und ohne abwägen von unterschieden. das von ihnen identifizierte xylophon ist denn bspw. ein marimbaphon und nach der ersten strophe "rumpelt" dieselbe kleine besetzung, die auch schon am anfang "gerumpelt" hat und die sich aus weitaus mehr instrumenten als dem erwähnten "xylophon" und irgendwelchen streichern zusammensetzt (ganz so plump oder "naiv" hab ich es dann doch nicht angelegt ;-) insgesamt scheint es mir als hätten sie sich voller kampfeslust maximal 2:11 minuten mit unserem hörbuch auseinandergesetzt, um anschließend aus vollen rohren zu feuern. ich frage mich derweil, wie ihre kritik wohl ausgefallen wäre ohne aufkleber und kurzbeschreibung?! den begriff "fulminant" mögen sie uns im nachhinein großzügigerweise nachsehen, aber "filmmusikalisch" zu umschreiben etwa durch "eine musik, die einem soundtrack für einen fernsehfilm ähnelt, aber ohne bilder auskommen muß, weil nur gesprochen wird" oder "handlungssynchrone musik" wäre ja auch ein wenig albern bis komisch gewesen. apropos komisch: es ist naturbedingt immer möglich, dass manche menschen dinge komisch finden, die im kern nicht wirklich komisch sind. das gilt für die kleine und die große kunst gleichermaßen und passiert immer wieder. ganze mediensparten leben davon. das persönliche verständnis von komik als bewertungskriterium innerhalb einer vermeintlich seriösen buchbesprechung einzubringen ist für den orientierungssuchenden leser hingegen wenig hilfreich, genauso wie die rätselhaft anmutende aussage, dass des rezitators stimme "so ruhig sei, dass man beinahe schmunzeln müsse" (???). hier werden für den leser mehr irritationen aufgeworfen als informationen gegeben. dass unser hörbuch eben kein gruselschocker in zeitgemäßer machart geworden ist, lag in unserer vollen absicht, da eine solche produktion den textwerken nach unserem empfinden nun wirklich nicht gerecht geworden wäre.
inzwischen sehe ICH den strengen lehrer lempel in bebrillter frauengestalt inkl. "rümpfender nase" + erhobenem zeigefinger im geiste vor mir stehen, der mir eindringlich zu verstehen gibt: "potz(ler)blitz, so darf man das aber auf keinen fall machen, das verstösst gegen die schulordnung!" (sie mögen mir diesen kleinen scherz verzeihen ;-)
viele dinge werden glücklicherweise immer noch gemacht, weil sie herauswollen und eben nicht um ausschließlich kritikern/insidern zu gefallen, trends zu bedienen oder einer wirtschaftlichkeitsprüfung standzuhalten. eine nicht unbeträchtliche anzahl von menschen - fachleute verschiedenster richtungen wie auch ganz "normale" laien - hat uns während und vor allem nach der produktion unseres hörbuchs bis zum heutigen tag immer wieder in unserer arbeit bestätigt. für viele hörbuchfreunde scheint unser konzept nicht nur zu "funktionieren", sondern es scheint darüberhinaus die wundervollen balladen, die ohne frage nicht mehr brauchen als druckerschwärze, papier und menschen, die sie lesen, für diese zuhörer in der tat neu zu beleben und unterstützt den ein oder anderen hie und da beim neu entdecken der alten bisweilen vergessenen balladenkunstform, ohne dabei anspruch und authenzität des originalen zu verlassen oder schlimmer noch die phantasie zu delegieren. "12 - balladen der klassik & romantik" ist bei allem unvermeintlichen für und wider ein für die hörbuchbranche unüblich aufwändiges produkt, das zudem als low-budget-produktion quasi rein idealistisch innerhalb mehrerer monate realisiert und bislang von vielen menschen mit großer begeisterung aufgenommen wurde.
fazit?: ein buch ist ein buch, eine hörbuch-cd ist ein gänzlich anderes noch dazu relativ junges medium mit anderen möglichkeiten. es darf ausprobiert werden ohne sogleich von den literaturwächtern in haft genommen zu werden. wort und musik vertragen sich unserer meinung nach ausgesprochen gut. es wäre wunderbar, wenn sich diejenigen literaturfreunde, die fundamentale probleme mit solcherlei verbindungen haben ("warum nicht eine ballade lesen oder musik hören"), auf reine rezitations-cds oder noch konsequenter auf gedruckte bücher konzentrierten und nicht den halbherzigen versuch unternähmen, ein derartiges werk vermeintlich fachlich zu bewerten. ein zugegebenermaßen absolut naiver wunsch meinerseits ;-) liebe andrea potsler, ihrer rezension zum trotz werden wir weiterhin mit großer freude und dem nötigen tropfen herzblut unsere hörbücher produzieren, auch wenn das den ein oder anderen puristen und so manchen literaturexperten vor den kopf stoßen mag. abschließend aufrichtigen dank, dass sie sich mit unserer arbeit auseinandergesetzt und uns auf einige präsentationsschwächen aufmerksam gemacht haben! beim nächsten buch wird alles (noch) besser. sie dürfen ihre kanonen schonmal nachladen ;-))))
herzliche grüße
oliver hartmann
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