Die Schrift der Gefühle
Typo-Papst Erik Spiekermann über die Macht der Schriftzeichen
Von Frank Müller
Am Anfang war die Schrift. Für viele ist ein Frühstück ohne Morgenzeitung undenkbar, und wenn wir das Ei gerne mit Pfeffer und Salz bestreuen, wonach halten wir dann Ausschau? Richtig, nach den Streuern mit einem perforierten "S" und "P". Wenn der Informationsdesigner, Autor, Professor und Schriftentwerfer Erik Spiekermann über sein Lieblingsthema schreibt, über die Aufgabe und die Wirkung von Schriftzeichen, dann wird man auf jeden Fall gut unterhalten und informiert.
Spiekermann wendet sich an den interessierten Laien, nicht unbedingt an den professionellen Grafiker. Er schärft den Blick für die unsichtbaren Raster in Büchern und Zeitungen; er zeigt, wie unterschiedlich Schrift die Worte interpretiert, wenn sie uns beispielsweise ein bestimmtes Essen schmackhaft machen oder uns eine bestimmte Richtung weisen wollen. Ganz nebenbei bietet er Alternativen zu herkömmlichen Typen an, die zwar an jeder Straßenecke zu finden sind, über deren Lesbarkeit sich aber weder Schilderhersteller noch Ingenieure und Beamte jemals Gedanken gemacht zu haben scheinen.
Fast jede Schrift ist für einen speziellen Zweck entworfen. Es gibt Schriften für Telefonbücher, Kleinanzeigen, besondere technische Anforderungen und exklusiv für Unternehmen. Darüber hinaus kann sie auch Gefühle ausdrücken: Ein Buchstabe ist leicht oder schwer, rund oder eckig, mager oder füllig. Dunkle Gefühle verlangen nach schweren, schwarzen und kantigen Zeichen, Fröhlichkeit vermittelt eine Schrift mit leichten und tanzenden Buchstaben am besten. Zweifel und Trauer brauchen eine andere typografische Gestaltung als freudige Überraschung. Und wie wird Wut besser transportiert als im Gewand der Flyer Extra Black Condensed?
So versteht es sich fast von selbst, dass die Schrift für den Typografen immer mehr ist als nur Schrift. Da gibt es Helvetica, "die Schrift ohne Eigenschaften", Univers, "die kühle Verwandte" oder Frutiger, "die freundliche Serifenlose". (Übrigens: Auch Schriften leben in Familien.) Ein ganzes Kapitel lang dekliniert Spiekermann Heinrich von Kleists "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" in wechselnden Schriftfonts durch und zeigt, wie die Zeichen demselben Inhalt immer wieder neue Bedeutungen zuschreiben. Kurzum: es gibt keine "neutrale" Schrift, jede Schrift hat eine bestimmte Stimmlage, einen bestimmten Rhythmus, eine bestimmte Lautstärke und Geschwindigkeit.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Spiekermann dem Einfluss der Neuen Medien auf die Schriftgestaltung. Die Displays unserer Handys haben Bitmaps wieder in Mode gebracht, und um die Schrift auf Monitoren unseren physischen und kulturellen Anforderungen anzupassen, müssen Schriftentwickler heute mit Technikern und Programmierern zusammenarbeiten. Sie zwängen unregelmäßige Bitmaps in enge Raster, befehlen den Pixeln, wann sie sichtbar erscheinen sollen und wann nicht, und täuschen glatte Kanten vor, wo keine sind. Spiekermanns ironischer Kommentar: "Nicht schlecht, aber es wird trotzdem noch einige Generationen Techniker brauchen, bis wir die gleiche Darstellungsqualität haben wie seit 500 Jahren."