(K)ein Tod in Venedig?

Gerhard Roths moderner Venedig-Roman „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ lässt Realität und Rausch verschwimmen

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Emil Lanz ist Übersetzer lebt alleine in einem Haus auf dem venezianischen Lido. Richtig glücklich ist er dort nicht und das nicht nur, weil der heimliche Urlaub seiner Frau Alma mit ihrem Geliebten in einer Flugzeugkatastrophe endete. Eines Tages entdeckt Lanz bei einem Spaziergang ein totes Flüchtlingsmädchen am Strand. Harte Realität im venezianischen Urlaubsparadies. Dieser Vorfall beschäftigt ihn ein paar Wochen später, während er tote Quallen beobachtet, die diesmal an den Strand angeschwemmt wurden. Wie „Millefiori-Briefbeschwerer“ sehen sie aus, denkt er, als ihm eine hübsche Frau auffällt, die die Quallen fotografiert.

Der Wahlvenezianer Lanz übersetzt keine aktuelle Literatur, sondern ausschließlich Klassiker. Gullivers Reisen, Dantes Göttliche Komödie, Der Unsichtbare von H. G. Wells und schließlich erhält er ein lukratives Angebot für Shakespeare. Der Titel des Romans „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ ist ein Zitat aus dessen Sturm. Auch Lanz‘ Gedanken und (Alb)träume drehen sich oft um literarische Figuren und Geschehnisse. So scheint es folgerichtig, dass er sich entschließt, auf dem Lido zu sterben, dem Schauplatz von Thomas Manns Der Tod in Venedig.

Während Manns Protagonist Gustav von Aschenbach in seinem Liegestuhl am Lido an der Cholera dahinsiecht, ist es Lanz dann aber doch zu „pathetisch“, genau dort zu sterben. Daher fährt er mit einem Vaporetto, dem venezianischen Wasserbus, und den zwei Pistolen seines verstorbenen Schwiegervaters in der Tasche zur Insel Torcello. Das Motiv für diesen geplanten Selbstmord ist nicht richtig nachvollziehbar. Vermutlich nicht einmal für Lanz selbst, da es ihm offensichtlich schwerfällt, nun die Motivation dafür aufzubringen.

Auf Torcello angekommen und mit fettigen Calamari fritti und drei Flaschen Rotwein intus, soll es nun soweit sein. Doch da zu viel Rotwein bekanntlich müde macht, schläft Lanz ein und als er wieder erwacht, beobachtet er einen Mord. Oder ist der Selbstmord etwa gelungen und er befindet sich in einer Art Zwischenwelt? Eines ist jedoch sicher, sterben möchte er nun nicht mehr und schon gar nicht aus fremder Hand. An dieser Stelle wird der Roman zu einem verworrenen Krimi. Natürlich scheint auch die hübsche Fotografin vom Strand in die Sache verwickelt zu sein und selbstverständlich verliebt sie sich in Lanz – oder tut sie nur so?

Während der Venedig-Kenner die Detailverliebtheit des Autors zu schätzen wissen wird, ist der Plot streckenweise anstrengend und die Figuren bleiben dem Leser fern. Nicht nur, dass der Protagonist durchgehend als „Lanz“ bezeichnet wird, schafft eine gewisse Distanz, sondern auch, dass seine Handlungen teilweise schwer nahvollziehbar bleiben. Es erschließt sich auch nicht, warum sich mehrere Frauen scheinbar auf den ersten Blick in den todessüchtigen, melancholischen und ständig schlechtgelaunten Lanz verlieben.

Dennoch ist der Grundgedanke des Romans eine logische Fortführung des literarischen Venedig-Mythos, der nach Jahrhunderten nichts von seiner Faszination einzubüßen scheint. Kaum eine Stadt wurde öfter zu einem literarischen Schauplatz erkoren als Venedig. Die Lagunenstadt an der Adria gilt durch unzählige künstlerische Bearbeitungen in besonderem Maße als Stadt der Romantik, des Geheimnisses, der Magie, des Selbstverlustes, des Verfalls und des Todes. Aber vor allem ist sie die Stadt der Fiktion. Im Laufe der letzten Jahrhunderte wurde Venedig ein literarisch hoch metaphorischer Raum, dessen labyrinthische Struktur beispielsweise für den Verlust des Selbst stehen kann oder dessen verfallende Gemäuer für den Alterungsprozess des Menschen. Die Stadt ist zu einem Zeichen geworden, sodass der Begriff „Venedig“ heute nicht mehr nur die Stadt an der Adria beschreibt, sondern einen durch ein höchst komplexes intertextuelles Geflecht entstandenen Mythos. In diese Tradition versucht Roth sich nun mit seinem Roman einzureihen.

Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier ist ein durchweg moderner Venedig-Roman. Afrikanische Migranten, Künstler und die osteuropäische Mafia bewegen sich hier ganz selbstverständlich, wie literarische Anspielungen und Zitate und natürlich der Mythos von ‚La Serenissima‘ selbst. Passend dazu wankt der Plot zwischen Realität und Traum, vermutlich auch der Tatsache geschuldet, dass Lanz nicht nur dem Wein, sondern auch den Kräutern eines windigen Strandverkäufers nicht ganz abgeneigt ist. Und so stellt er sich häufig selbst die Frage, ob er nun doch tot ist – oder vielleicht einfach nur verrückt geworden.

Titelbild

Gerhard Roth: Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019.
368 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783103972139

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