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Leseprobe 1
»Mon Dieu! Mes petits!«, rief Geneviève, als sie sah, wer soeben ankam. Sie rannte ihren Kindern fröhlich entgegen, um ihnen wie man das hier nannte , einen Bisou aufzudrängen. Von nichts anderem konnte hier die Rede sein, wenn man seine erwachsenen Kinder noch Kleine nannte und ihnen einen feuchtwarmen Schmatzer auf die Wange drückte, als wären sie gerade von ihrem ersten Tag im Kindergarten zurückgekehrt.
Ihr glückliches Lächeln erstarrte jedoch sofort, als ihre beiden petits mit grimmiger Miene aus dem Wagen kletterten und die Türen mit einer Unheil verkündenden, schwungvollen Bewegung zuknallten. Sowohl Laura wie Manuel gingen zum Kofferraum und nahmen wortlos und ohne sich gegenseitig eines Blickes zu würdigen, ihre Taschen heraus. Sie stapften in Richtung des Châteaus, wobei Laura wenigstens den Anstand besaß, ihre Mutter mit einem leichten Kuss auf die Wange zu begrüßen.
Bisou eben.
»Was ist los mit ihm?«, erkundigte sich Geneviève verdattert, als Manuel ohne ein Wort des Grußes an ihr vorbeirauschte und im Château verschwand.
»Er ist jetzt einer Sekte beigetreten«, klärte Laura sie auf. »Chauvinisten nennen sich die.«
Geneviève starrte sie ungläubig an und fragte dann verunsichert: »Stimmt etwas zwischen euch beiden nicht? Was ist los?«
Laura schnaubte verächtlich, unterdrückte dabei jedoch die aufsteigenden Tränen. »Nein, alles bestens!«
Sie ließ ihre Mutter ebenfalls beim Auto stehen. Laura brauchte dringend Ruhe, um sich zu entspannen. Im Moment war sie so verwirrt, dass sie mit niemandem über Manuel reden wollte.
Bevor sie in das Innere des Gebäudes ging, legte sie den Kopf in den Nacken und drehte sich einmal um die eigene Achse, um das Château zu betrachten. Seit sie das letzte Mal hiergewesen war, hatte sich nicht viel verändert. Die grünen Fensterläden waren farblich verblichen und etwas morsch. Argwöhnisch beäugten die kleinen Fenster direkt unter dem Dach Laura, als könnten sie sich nicht mehr an sie erinnern. Wie ein bärtiges, steinernes Gesicht reckte sich die Fassade der Sonne entgegen. Laura trat in den Schatten des Turms zu ihrer Linken und ließ ihren Blick über die Efeuranken und die Kletterrosen an der Frontseite des Châteaus gleiten. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, während sie sich dem Eingang näherte. Die Holztür stand wie immer, wenn das Château bewohnt war, eine Handbreit offen.
Laura bezog ihr Zimmer, das nur einige Türen von Manuels entfernt war, packte ihre Sachen aus, streifte sich ein luftiges Sommerkleid über und ging in die Küche.
Hunger hatte sie gottlob nicht schon wieder, aber einen Mojito brauchte sie nun wirklich dringend! Julie Bertrand, die betagte Haushälterin des Châteaus, beäugte sie meistens misstrauisch, wenn sie ihren seltsamen Cocktail schlürfte. In Frankreich gab es nämlich neben der Liebe freilich noch eins, das als wichtig galt: guter Wein. Kuba, das Herkunftsland des Mojitos, war den Franzosen ebenso fremd und suspekt wie lAngleterre.
Julie war mit Hausarbeiten beschäftigt und bemerkte Laura zuerst nicht. Eine Locke fiel aus ihren sorgfältig hochgesteckten Haaren. Die silbernen Streifen, die mittlerweile einen Großteil ihrer Frisur durchzogen, harmonierten mit ihrem hellblauen Kleid, das mit filigranen weißen Blüten bedruckt war. Sie presste ihren schmalen Mund konzentriert zusammen, während sie den Flur im Eingang mit einem Besen reinigte.
»Bonjour Julie! Mojitoooooo!«, begrüßte Laura die Haushälterin und tänzelte frohen Mutes nach draußen in die Sonne.
»Bonjour, meine Liebe! Ah ... wie immer. Was für eine Schande!«, entgegnete diese mit amüsiert verzogenen Mundwinkeln, als sie das Cocktail-Glas in Lauras Hand entdeckte.
Laura setzte ihre Sonnenbrille auf Ray Ban (schon wieder nichts Französisches, wo es doch auch Dior oder Chanel gegeben hätte). Sie ließ sich auf eine der Liegen am Pool fallen, drapierte ihr Kleid, nahm einen kräftigen Schluck ihres Mojitos und seufzte erleichtert.
Endlich Ferien.
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