Leseprobe 2
Einige Tage vor dem großen Weinfest in Roussillon bog ein alter, froschgrüner Citroën 2CV (Deux-Chevaux) auf den Vorhof des Châteaus ein. Manuel strich auf einer Bockleiter stehend die Fensterläden und Laura schnitt die Rosen in den Beeten vor dem Hauseingang. Die Fahrerin hatte das Fenster heruntergekurbelt, weshalb jeder im Umkreis von einem Kilometer in den Genuss der extrem laut aufgedrehten Musik im Wageninneren kam.
Rihanna.
Laura rümpfte die Nase.
Das war noch bedeutend schlimmer als AC/DC, aber immer noch besser als Lady Gaga.
Der Wagen kam mit quietschenden Bremsen zum Stehen und wirbelte Staub auf. Manuel drehte sich auf seiner Leiter um, sodass er den Neuankömmling ebenfalls sehen konnte. Laura begnügte sich damit, sich die erdverkrusteten Hände an ihrer Jeans abzustreifen und strich sich erschöpft eine Strähne aus dem Gesicht.
Sie starrte die junge Frau jedoch mit offenem Mund an, als diese ausstieg.
Selbige trug eine Sonnenbrille, die sie nicht einmal zur Begrüßung abzunehmen beabsichtigte, wie es schien. Karottenrote, glänzende Locken reichten ihr bis fast zur Taille. Vermutlich war sie Teil der Pantene Pro-V Kampagne. Als Haarmodel, versteht sich.
»Allô? Bonjour!«, rief sie und winkte Laura und Manuel zu. Sie nahm, zu Lauras Erstaunen, doch noch die Sonnenbrille ab und stellte ihre meergrünen Augen zur Schau.
Sie erinnerte an Arielle, mit dem Mund von Angelina Jolie. Und natürlich war sie jolie
Laura kam sich in ihren zerrissenen Jeans und dem verdreckten, ausgebleichten T-Shirt ziemlich deplatziert vor. Auch wenn jedem klar sein durfte, dass man Gartenarbeit nicht im Abendkleid verrichtete.
Das Lächeln der Fremden, das Julia Roberts millionenschwerem Strahlen Konkurrenz machte, pustete Lauras Selbstbewusstsein als Frau in weite Ferne.
Manuel starrte die Meerjungfrau von seinem erhöhten Posten auf der Leiter aus an, als wäre sie tatsächlich einer Fabel entsprungen.
Laura spürte einen Stich in ihrem Herzen.
Gab es nicht dieses Buch von Jules Renard, das zur Pflichtlektüre jedes Französisch-Schülers gehörte, und den wenig erfreulichen Titel »Poil de Carotte« (Karottenkopf) trug? Auf rote Haare, und seien sie noch so nixenhaft, musste man sich also definitiv nichts einbilden!
»Bonjour!«, sagte Manuel und kletterte von der Leiter.
Der Stich weitete sich zu einer Messerstecherei im ganzen Brustbereich aus. Laura war wie paralysiert.
»Ich bin Géraldine! Ich suche meine Tante Julie Bertrand. Es geht um das Pferdetrekking.« Wieder das entwaffnende Lächeln. Sie reichte Manuel, der mittlerweile bei ihr angelangt war, die Hand. Laura stand noch immer wie angewurzelt mit einem Bein im Rosenbeet.
Géraldine! Pff!, dachte sie verächtlich, was für ein schrecklicher Name!
Als sich Julies Nichte jedoch zunehmend Manuel zuwandte und sich mit ihm zu unterhalten begann, erwachte Laura endlich aus ihrer Starre. Sie stapfte wenig elegant in Richtung der beiden, begrüßte La Jolie und stellte sich vor. Diese tat, als freute sie die Bekanntschaft außerordentlich und wandte sich dann wieder Manuel zu. Schlussendlich ließen die beiden Laura auf dem Hof stehen und machten sich angeregt plaudernd auf den Weg zu Julies Wohnung im Château.
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