Ausschnitt aus "ATEMLOS" von Ascan von Bargen
Oh, mein Gott!, durchfuhr es Aurora, als ihr Blick auf die Statue fiel.
Es war wirklich nicht so, dass sie noch nie im Leben einen erigierten Phallus zu Gesicht bekommen hätte. Aber mit Gewissheit war es das erste Mal, dass sie einem Engel mit steilaufgerichteter Männlichkeit gegenüberstand. Und was sie auf den ersten Blick erfasste, war die Tatsache, dass der Bildhauer seine Skulptur äußerst gewissenhaft aus dem Marmor herausgearbeitet hatte. Plastisch und unter detailgetreuer Berücksichtigung der menschlichen Anatomie. Wenngleich er offenbar eine Vorliebe für beeindruckende Proportionen gehabt hatte.
Ungläubig sog sich Auroras Blick an den lebensecht gebildeten Adern fest, die sich um den Phallus rankten. An dem schmalen Hautbändchen auf der Unterseite des Glieds. Die Fältchen der zurückgezogenen Vorhaut. Die blankliegende Korona. Die schmale Öffnung an seiner Spitze. Der massive Schaft.
Steinhart und von beunruhigendem Umfang.
Aurora stieg hinter dem Schleier die Schamesröte ins Gesicht. Rasch wandte sie den Blick ab und zwang sich dazu, dem unwillkürlichen Impuls zu widerstehen, ihre Hand auszustrecken und die marmorne Erektion zu umfassen.
Stattdessen konzentrierte sie ihre Aufmerksamkeit mit aller Macht auf das Gesicht der Statue. Das Antlitz des geflügelten Götterboten trug auffallend androgyne Züge. Ein Eindruck, der durch sein langes, bis über die Schultern fallendes Haar, die feingeformte Nase, ein schmales Kinn und hohe Wangenknochen noch verstärkt wurde. Vielleicht auch durch die großen Ohrringe, die der Engel trug.
Der Amorbogen seiner vollen Lippen war sanft geschwungen und wirkte auf schwer zu beschreibende Weise weich. Ein sinnlicher, beinahe femininer Kussmund, der ein ungehöriges Verlangen in Aurora erweckte.
Verstohlen riskierte sie nun einen zweiten Blick auf sein stolz aufragendes Geschlecht und die runden Formen, die unter dem Phallus hingen. Dann, in der Hoffnung nicht allzu offensichtlich das bizarre Kunstwerk zu bestaunen, wanderten ihre Augen über seine Schwingen und die angewinkelten Arme des Marmorengels. Wunderschön gestaltet und leicht vorgestreckt. Feingliedrige Hände von solcher Perfektion, wie es sie in der Natur niemals geben konnte.
Aurora von Thornberg schluckte nervös und schaute zum Wagen zurück, wo Carl noch immer mit den herbeigeeilten Bediensteten darüber debattierte, in welcher Reihenfolge sie welche Gepäckstücke aufs Zimmer zu bringen hätten.
Sie nutzte die Gelegenheit und spähte noch einmal abwechselnd von den einladend ausgestreckten Händen auf die mächtige Erektion des Engels. – Und ein schockierender Gedanke schlich sich hinter ihre Stirn: Die Arme der Statue würden einer Frau von ihrer Größe und Statur mit Leichtigkeit Halt bieten können, wenn sie ihre Schenkel spreizte, um sich auf ihn ...
Aurora wagte es nicht einmal, diese Obszönität auch nur in Gedanken auszuformulieren. Wenngleich sie das immer stärker werdende Verlangen in sich kaum noch leugnen konnte. Das fordernde Zucken ihrer Lustperle. Die plötzliche Wärme und Feuchtigkeit in ihrem Schoß. Das erregende Gefühl, mit dem sich ihre Knospen unter der Bluse verhärteten und aufrichteten.
Aurora begann ernsthaft an ihrem Verstand zu zweifeln. Denn ihre Gedanken kreisten schon seit Tagen beständig nur noch um dieses eine Thema. Und täglich wurde der Wunsch nach Erfüllung immer drängender. Zwar war sie noch Jungfrau und hatte auf diesem Gebiet bislang nur wenige praktische Erfahrungen gesammelt – und in Hinsicht auf Dinge, die Mann und Frau miteinander tun konnten, noch gar keine – aber dafür besaß sie eine Reihe von Freundinnen und Cousinen, die in diesen Dingen schon ziemlich bewandert waren. Und vor allem waren sie im vertraulichen Gespräch untereinander geradezu schamlos. In erster Linie ihre Cousine Judith, die ihr haarklein Details über ihr Liebesleben verraten hatte. Pikante Einzelheiten, die einerseits einen gewissen Widerwillen in Aurora hervorgerufen hatten, andererseits waren darunter aber auch Schilderungen gewesen, die zweifellos ihre Neugier entfachten und den brennenden Wunsch danach, wenigstens einiges von dem, was Judith ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte, selbst zu erleben.
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