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Midnight in Paris

FSK-Freigabe MIDNIGHT IN PARIS
Regie: Woody Allen

Concorde Filmverleih GmbH
DVD/Blu-ray - Komödie
USA, Spanien 2011
FSK: ohne, ca. 94 min.
EUR 12.99, Status: Jetzt bestellen erhältlich


Woody Allens neuster und 42. Film als Regisseur beinhaltet eine Reihe von semiphantastischen Elementen, die sich wie ein roter Faden durch sein Werk ziehen. Eine Sehnsucht nach teilweise notgedrungener Veränderung wie in "Zelig" oder die Illusion, das in einer anderen Welt wie in "Purple Rose of Cairo" alles besser oder zumindest alles anders ist. "Midnight in Paris" spricht das geflügelte Wort gelassen aus, das "damals" immer alles besser gewesen ist. Die Überraschung des Films liegt in der offensiven Verneinung dieser These. Woody Allen durchkreuzt die natürlich nur theoretische Jagd nach dieser Oase in einer sich kontinuierlich vorwärts bewegenden Zeit, in dem er seinen naiven, wenn auch etwas zu konstruierten erscheinenden Hauptcharakter Gil Pender - Owen Wilson - zusammen mit der ebenfalls nostalgisch einer ihr unbekannten Zeit nachhängenden Adriane - Marion Cotillard - in Kontakt mit drei weltberühmten Malern - Henri de Toulouse-Lautrec, Paul Gaugien und Edgar Degas - bringt. Sie wollen am liebsten in der ihnen ebenfalls unbekannten Renaissance leben. Spätestens mit dieser Begegnung zerbricht Gil Penders Illusion. In die Gegenwart zurückkehrend wählt er die einzige ihm verbleibende, vom aufmerksamen Zuschauer sehr viel früher erkannte Alternative und verliebt sich in eine intelligente wie hübsche Pariserin, die seine Vorliebe für Spaziergänge im Regen teilt. Mit diesem zuckersüßen wie Meilen weit im voraus zu erahnenden Happy End umschifft Allen aber auch jegliche kritische Auseinandersetzung mit einer nicht befriedigenden Gegenwart. Viel interessanter und folgerichtiger wäre es, wenn Gil Pender in der Stadt der Liebe schließlich alleine, aber zumindest mit sich zufrieden geblieben wäre. Vor gut dreißig Jahren hätte Allen auf diese Art von konstruierten und mechanischen Ende zu Gunsten einer melancholischen Schlussnote ohne Zweifel verzichtet.

Obwohl technisch ausgesprochen gut inszeniert entwickelt sich Woody Allens eher unverständlich mit einem Oscar ausgezeichnetes Originaldrehbuch teilweise sehr nach bekannten und für sein Werk markanten Schemata. So beginnt der Streifen - natürlich unterlegt mit sehnsüchtig verklärender Jazz Musik - mit einem Touristenstreifzug durch die Stadt der Liebe. Die Postkartenmotive reihen sich aneinander. Europäische Zuschauer haben das unbestimmte Gefühl, als versuche Woody Allen seinem immer stärker schwindenden amerikanischen Publikum die französische Hauptstadt vertrauter zu machen. Dabei bewegt sich Allen schon seit vielen Jahren in einer Klientel, die seine Sehnsucht nach fernen Orten zumindest nachvollziehen kann. So stimmig die ersten Eindrücke auch sind, sie hinterlassen ein wenig den Eindruck einer geschickten Manipulation des Publikums.

Gil Pender ist ein kommerziell erfolgreicher Verfasser und nicht selten Scriptdoktor von Drehbüchern. Er sieht sich weniger als Künstler, denn als Handwerker. Sein Bestreben ist es, auch als Buchautor ernst genommen zu werden. Natürlich arbeitet er an seinem ersten Roman, mit dessen Urfassung er nicht richtig weiterkommt. Inez – Rachel McAdams – ist seine so übertrieben gezeichnete amerikanische Verlobte aus reichem Hause. Verwöhnt, oberflächlich, arrogant, selbstverliebt. Hier bedient sich Woody Allen jeden erdenklichen Klischees. Bevor der Zuschauer die beiden so unterschiedlichen Menschen näher kennenlernt, fragt er sich unwillkürlich, was sie überhaupt miteinander verbindet. Die größte Schwäche des vorliegenden Streifens ist die fehlende Chemie zwischen Rachel McAdams und Owen Wilson. Da spielt es keine Rolle mehr, dass Pender nach der bevorstehenden Hochzeit nach Paris ziehen möchte. Das er Nachtspaziergänge im Regen liebt. Das er das für ihn fiktive Paris der 20er Jahre noch mehr liebt als die Stadt der Gegenwart. Natürlich lehnt Inez alle Pläne ab. So möchte ein Teil der Jetsetgesellschaft bleiben. Für einen derartig routinierten Autoren und Regisseur bedient sich Woody Allen einer Reihe von schematischen Tricks, um die Grundpositionen seiner wichtigsten Handlungsfiguren dem Leser mit einer Art verbalen Holzhammer einzutrichtern. Dabei spielt es keine Rolle mehr, dass sich Inez schreckliche Eltern ebenfalls auf einer Geschäftsreise in Paris befinden. Inez Vater ist ein typischer ruppiger Unternehmer, der nur auf das Geldverdienen und seinen Status Wert legt, während ihre Mutter eine ältere Version der überdrehten Schreckschraube ist, die Inez zu werden droht.
Als Inez Jugendliebe Paul – Michael Sheen – auftaucht und mit seiner pseudoarroganten Art und sein enzyklopädisches und damit nicht immer richtiges Wissen zu protzen beginnt, setzt sich Paul eines Abends nach einer Weinverköstigung ab. Er durchstreift die dunklen Straßen der französischen Hauptstadt und verirrt sich. Kurz nach Mitternacht bleibt ein altmodisches Auto vor dem an der Straße sitzenden Pender stehen. Eine angeheiterte Gruppe fordert ihn auf, mit zu fahren. Gemeinsam landen sie auf einer Party, auf der Cole Potter am Klavier spielt und er mit den Fitzgeralds sowie Hemingway diskutieren kann. Unerklärlicherweise ist er im Paris der zwanziger Jahre gelandet, das er in den nächsten Nächten immer wieder aufsucht. Als er sich in Picasscos augenblickliche Gespielin Adriana zu verlieben beginnt, droht er sich endgültig von der Gegenwart und natürlich seiner Verlobten zu entfremden.

Die Wechselwirkung zwischen beschwingter Phantasie und langweiligem Realismus beflügelt Pender, seinen Roman nicht nur noch einmal zu überarbeiten, sondern der gestrengen Gertrude Stein – Kathy Bates in einer ausgesprochen passenden Rolle – zur Lektüre zu geben. Gertrude Stein ist der Dreh- und Angelpunkt der nicht selten als verlorene Generation bezeichneten Surrealisten um Salvador Dali – etwas überdreht gespielt von Adrien Brody -, dem durch Pender beeinflussbaren Bunuel oder Man Ray. Wer sich kunsthistorisch nicht ein wenig besser auskennt, wird viele der kleinen Anspielungen nicht verstehen. Woody Allen muss angesichts des stringenten Plots auf zu viele Hinweise verzichten und fordert sein Publikum zum Nachdenken auf. Dagegen erscheinen die Begegnungen mit den sich stetig zu Tode trinkenden F. Scott Fitzgerald (Tom Hiddleston) und Hemingway (Corey Stoll) handfester. Pender kann zwar mit ihren Einstellungen zur Literatur im Allgemeinen und den eigenen, in der Gegenwart sehr viel mehr bewunderten Arbeiten nicht viel anfangen, aber Stoll und Hiddleston machen sehr viel aus ihren charismatischen und doch durch den Alkohol verlorenen, so unendlich talentierten Charakteren. Auch wenn Penders grenzenloser Optimismus, seine schmale Gradwanderung zwischen Verwunderung und Angst, dem Wahnsinn zu verfallen so dominierend beschrieben worden ist, insbesondere im schriftstellerisch sehr überzeugend erzählten Mittelteil beginnt sich Woody Allens zu typische Melancholie einzuschleichen und die teilweise ein wenig zu offensichtlich humorvolle Handlung zu verdrängen.
Mit Weichzeichner und warmen Brauntönen zeichnet Allen nicht eine, sondern zwei Vergangenheiten der französischen Hauptstadt auf. Die wilden Zwanziger Jahre und schließlich die „Belle Epoque“, die Zeit der Jahrhundertwende. Beides historische Episoden, die ironischerweise in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts endeten und den anarchistischen Traum von freien Künstlern, die von den Erzeugnissen ihrer Phantasie ihre Existenz bestreiten können, unter sich begruben. Trotz der chaotischen Feier, der emotionalen Ausbrüche, der vielen historischen Figuren und einem irgendwo zwischen allen Stühlen sitzenden Pender zeichnet Woody Allen ein derartig „weiches“ Bild der Vergangenheit, dem die Gegenwart von Penders zickiger Verlobter und ihren dominierenden, arroganten Eltern bis auf die Begegnungen auf einem kleinen Pariser Straßenflohmarkt mit Gabriele – Lea Seydoux schafft es, die Einzigartigkeit des Pariser Lebens trotz Pullover und Jeans mit ihrem ausdrucksstarken Gesichtszügen überzeugend einzufangen – niemals gleichen kann. Ganz bewusst versucht Woody Allen Pender mit den im Grunde perfekten, aber vielleicht auch eingebildeten Ausflügen in die Vergangenheit einzufangen, zu verführen, kreativ zu reizen. Er ist wie ein kleiner Junge in einem gigantischen Spielzeugladen, der lernen muss, das man nicht immer spielen, aber sich zumindest jeden Tag an irgendetwas erfreuen kann.

Owen Wilson orientiert sich bei der Gestaltung seiner Rolle an einem jüngeren Woody Allen. Vielleicht nicht ganz aus der Zeit seiner kreativen Blütephase unter anderem mit „Der Stadtneurotiker“, aber zumindest dem Woody Allen der neunziger Jahre. Im Gegensatz zu seinen überdrehten Darstellungen in diversen Komödien gelingt es Owen Wilson, die kreative Energie Penders, sein ihn inzwischen störendes Leben im Elfenbeinturm Hollywoods und schließlich seine überzeugende Flucht in Herzen Paris als Überwindung der eigenen Zweifel, der Unsicherheiten darzustellen. Nicht alles an ihm wirkt authentisch. Auf der einen Seite weiß er nicht, ob er überhaupt jemals einen Roman schreiben kann. Dann präsentiert er mehr als vierhundert Seiten, die er in relativer kurzer Zeit ohne Schwierigkeiten auch umarbeiten kann. Er hasst Hollywood, kassiert aber deren Schecks. Zynisch gesprochen ist er genauso käuflich wie sein Schwiegervater in Spe, der als Geschäftsmann seine Arroganz nach außen dringen lässt. Pender frisst seinen Frust auch in Bezug auf die schwierige Beziehung zu Inez in sich hinein. Gil Pender ist vielleicht trotz der teilweise etwas schematischen Anlage der Figur seine bislang beste schauspielerische Leistung. Rachel MAcAdams muss den undankbaren Part des egoistischen Biestes übernehmen. Woody Allen will keinen Zweifel aufkommen lassen, das die Trennung Gils und Inezs nur konsequent und vorhersehbar ist. Sie spielt die Rolle mit dem entsprechenden Anstand, auch wenn man ihr eine ambivalentere, differenzierte Charakterisierung gewünscht hätte.

Noch geschickter ist Allens ausgesprochen vielschichtiger Umgang mit der Stadt Paris. Schon in seinen letzten Filmen hat er Metropolen wie London und Barcelona cineastisch verklärte Denkmäler gesetzt. In „Midnight in Paris“ geht er mit Carla Bruno als Fremdenführer sowie der Oscarpreisträgerin Marion Cotillard noch einen Schritt weiter. Das Lea Seydoux als derzeit wohl populärste französische Schauspielerin das „All French Girl“ als Synonym der Stadt der Liebe verkörpert, ist auch kein Zufall. Wie schon angesprochen beginnt Allen Paris fast mystischen Charme mit dem Vorspann einzufangen und verzaubert den Zuschauer mit seiner im Grunde fiktiven Hommage an die Stadt der Liebe. Nicht selten unterbricht der Regisseur die fließend erzählte, aber ein wenig zu lang erscheinende Handlung, um relevante Orte der Stadt in verträumten Bildern einzufangen oder mit dem hörenswerten Jazzsoundtrack Stimmung zu erzeugen.

Die komödiantischen Akzente sind sehr gut platziert. Während die Gegenwartsebene eher aus der bekannten Situationskomik, Anklängen an die Screwballfilme der dreißiger und vierziger Jahre besteht, dominieren pointierte Dialoge die Vergangenheitsebene. Nicht selten wirken manche Anspielungen wie Insiderbemerkungen an ein Publikum, das sich wie Gil Pender in der Zeit der oberflächlichen Hollywoodblockbuster nicht wohlfühlt.

Zusammengefasst ist „Midnight in Paris“ eher mit einem kurzweiligen Tagtraum zu vergleichen, der Wunscherfüllung schließlich negiert und den Zuschauer in Person Penders animiert, nicht nach dem grüneren Gras in Nachbars Garten zu suchen, sondern für die eigene Zufriedenheit etwas zu verändern. Diese positive bejahende wie vielleicht auch ein wenig kitschig und zu simplifiziert überbrachte Botschaft wird eingebettet in eine staunenswerte Abfolge von inzwischen berühmten wie kreativen Persönlichkeiten, die im Paris der zwanziger Jahre aufeinander gedrängt gelebt haben. Es lässt sich über manche Darstellung streiten, aber alleine die Abfolge der Namen und die von Woody Allen sehr geschickt integrierten Hinweise auf ihre wichtigen in dieser kurzen Zeit entstandenen Werken unabhängig von den teilweise drastischen Schicksalen der späteren Jahre lassen den Zuschauer vor Ehrfurcht erstarren. „Midnight in Paris“ ist kein perfekter Film. Es ist nicht einmal einer von Allens besten oder markantesten Filmen. Es ist ohne Frage die gelungenste Würdigung einer Stadt seit Allens „Manhattan“ in seinem umfangreichen Werk. Es ist eine verspielte Liebeskomödie mit nachdenklich stimmenden Untertönen, die regietechnisch ausgesprochen souverän und visuell betörend in Szene gesetzt worden ist.

CINE TRASH & TREASURY
Beitrag Midnight in Paris von Thomas Harbach
vom 23. Jul. 2012


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