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Der Moloch
Helmuth W. Mommers (Hrsg.)
Der Moloch - Der Moloch und andere Visionen 4
Visionen 4
Shayol Verlag, Berlin, 9/2007
TB, SF, 978-3-926126-74-0, 350/1490
Titelillustration von Michael Hutter
www.shayol-verlag.de
www.kunstkrake.de
www.helmuthmommers.de
Phantastische Ausblicke in die Welt der Zukunft verspricht der Klappentext, und die Ausblicke und Ausflüge der versammelten Autoren erfüllen dieses Versprechen ausnahmslos.
Während Karl Michael Armer (Prokops Dämon), Uwe Post (eDead.com) und Sascha Dickel (Bio-Nostalgie) ein etwas anderes Leben (auch nach dem Tod) beschreiben und Bernhard Schneider (Methusalem) über die Probleme eines Unsterblichen philosophiert, verpackt Christian von Aster (Infogeddon) die Macht der zukünftigen Presse in eine sehr kurze Geschichte, dramatisiert Niklas Peinecke (Imago) in seiner ebenso kurzen Erzählung die Wahrheit, bzw. was man davon sehen will, und erzählt Thor Kunkel (Aphromorte) von liebenden Leichen. An Lems Stil zu erzählen erinnern Desirée & Frank Hoese (Hyperbreed) mit ihrer Geschichte über Gestrandete im Irgendwo, und Frank W. Haubold (Die Tänzerin) tanzt mit einer sehr emotionalen Erzählung über eine Künstlerin völlig aus der Reihe. Dystopien im weitesten Sinn werden in den längsten Storys zum Thema: Marcus Hammerschmitt (Die Lokomotive) lässt Ingenieure und solche, die es werden wollen, agieren und Michael K. Iwoleit (Der Moloch) eine Wohnstatt für Obdachlose wachsen. Einen Cyberpunk-Krimi bietet Thorsten Küper (Modus Die), und Heidrun Jänchen (Regenbogengrün) beschreibt ein weiteres neuronalen Netz.
Soweit in aller Kürze die hier versammelten Kurzgeschichten.
Das Vorwort des Herausgebers klingt einerseits euphorisch, da es einen Silberstreif am Horizont der Anthologien zu geben scheint, andererseits wehleidig, weil es der letzte Band dieser Reihe ist, zu wenig Bücher der ersten drei Ausgaben verkauft wurden und er einige Autoren nicht zur Mitarbeit bewegen konnte. Als Leser fühlt man sich mit einem solchen Vorwort, das dann auch noch eher als Nachwort bezeichnet wird, etwas allein gelassen. Was will der Herausgeber damit vermitteln? Das es Hurra! wieder viele Kurzgeschichten in der Phantastik gibt und diese sich sogar verkaufen? Oder dann eben doch nicht zur Genüge, weshalb er Schade! seine VISIONEN aufgibt? Unentschlossen und unnötig! Derartige Geleitworte könnte man sich auch sparen.
Die einzelnen Geschichten, die in diesem Band veröffentlicht werden, spielen alle im weitesten Sinne mit dem Cyberpunk-Thema.
Der Cyberpunk-Krimi Modus Die eröffnet dann auch den Reigen der Kurzgeschichten, und es ist ein fulminanter Einstieg in die hier dargebotene Welt der Phantastik. Action satt, flott geschrieben mit starken Protagonisten und ein überraschendes Ende: Damit legt diese erste Story die Meßlatte für alle folgenden Erzählungen sehr hoch.
Raumfahrer gibt es zwar in Hoeses Hyperbreed, sie bewegen sich allerdings nicht in der realen Welt, wollen diese aber ebenso wie der Bio-Nostalgiker in Dickels Story erreichen. Beide Geschichten bleiben recht vage, was das eigentliche Umfeld, die Realtität um ihre Protagonisten, angeht. Während Hyperbreed etwas langatmig und letztlich leer bleibt, bietet Bio-Nostalgie durch den weiteren virtuellen Raum und die darin vorhandenen und genutzten Möglichkeiten Spannung und flotte Unterhaltung.
Etwas, womit auch die kürzeren Geschichten Infogeddon und Imago dienen können. Bei diesen gelingt es den Autoren, auf nur wenigen Seiten ein dichtes Bild einer möglichen Zukunft zu zeichnen und ihre Hauptfiguren dort spannend agieren zu lassen.
eDead.com und Prokops Dämon thematisieren beide das Leben nach dem Tod, wobei hier eDead.com den höheren Unterhaltungswert aufweist und bei Prokop das Verhalten der Besucher nachvollzogen werden kann.
Aphromorte fällt insofern aus dem Rahmen, als sich die Erzählung am weitesten aus dem SF-Fenster lehnt und die von einem Virus befallene und sich selbst vernichtende Menschheit zum Thema nimmt. Dies gelingt humorvoll und bewegt sich auf nicht ganz so ausgetretenen Pfaden, wie die Idee vermuten ließe.
Neuronale Netze können in phantasievollem Regenbogengrün erstrahlen, von dem man sich eher noch mehr erhofft hätte, oder sich, etwas langatmig und zu vorhersehbar, in einen gewaltigen Moloch verwandeln. Die Titelstory der Anthologie ist auch die umfangreichste des Buches. Leider werden dort die Protagonisten nahezu links liegen gelassen und auch ihre Umwelt kaum mehr geschildert. Fast ausschließlich Aktenkunde und Informationsgewinnung beherrschen die Erzählung. Dadurch verliert sich die Spannung, und das Ganze verläuft sich in ein überraschungsarmes Ende.
Keine SF im üblichen Sinn ist Die Lokomotive, man könnte sie als Dystopie sehen. Eine andere Sichtweise wäre: Eine ordentlich geschriebene Geschichte über jemanden, der mehr sein möchte, als er ist. In jedem Fall ist hier etwas zu viel geschrieben worden (der Gesellschaftsentwurf wird zu ausführlich dargestellt und begründet), auch wenn sich das alles insgesamt gut liest.
Sehr leise Töne werden in der Tänzerin angeschlagen, wobei es die emotionalste Erzählung in dieser Sammlung ist. Erst zum Ende gibt es echte phantastische Elemente, aber insgesamt ist das die Erzählung mit den intensivsten, den stärksten Bildern.
Auch sehr emotional geht es im Methusalem zu. Die Probleme, die mit der zu erwartenden Unsterblichkeit einhergehen, werden hier eindrucksvoll geschildert und münden in ein doch recht melancholisches Ende.
Insgesamt kann diese Sammlung von Kurzgeschichten jedem Freund phantastischer und insbesondere der SF-Literatur empfohlen werden. Die kurzen Erzählungen machen Lust auf mehr und stellen einen interessanten Ausschnitt der aktuellen Phantastik-Szene dar.
19. Feb. 2008 - Thomas Folgmann
Der Rezensent
Thomas Folgmann

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Jahrgang 64, Beamter, ein paar Versuche (u.a. IKARUS) zu schreiben, Phantastik-Fan ( Lovecraft, "Groschenhefte", Donaldson, Ballard)
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