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Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes

SHERLOCK HOLMES UND DAS UHRWERK DES TODES

Christian Endres
Roman / Mystery-Crime

Atlantis Verlag

Taschenbuch, 200 Seiten
ISBN: 978-394125816-7

Dez. 2009, 12.90 EUR
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Mit „Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes“ legt der 1986 geborene Christian Enders nicht nur eine Sammlung von 21 - zzgl. eines Epilog - Holmes/ Watson Kurzgeschichten vor, er verbindet die bekannten Schöpfungen Arthur Conan Doyles mit zahllosen anderen phantastischen Sujets, wobei das Spektrum von „Alice im Wonderland“ – in mehreren Geschichten unterschiedlich stark herausgearbeitet – über Kapitän Nemo alias Professor Moriarty bis zum Reporter Mr. Gaiman reicht, der von den geheimnisvollen „Sandman“ Fällen berichtet. Wie Christian Enders in seinem humorvollen Nachwort herausstellt, sollten die Hinweise das Vergnügen bei der Lektüre erhöhen, aber nicht den roten Faden darstellen, nachdem der Leser den Plots zu folgen hat. Je mehr er erkennt, um so diebischer freut sich der Autor über gelungene Anspielungen, wenn er wenig bis gar nichts versteht, soll zumindest der grundlegende Plot funktionieren. An diese eisernen Regeln hat sich der Autor gehalten, auch wenn die Hommage an Philip Jose Farmers fiktive Biographien – inzwischen als Wold Newton Universe bezeichnet – positiv geschrieben deutlich zu erkennen ist.


Schon die ersten beiden Geschichten „Londons verlorene Kinder“ und „Rigor Mortis“ unterstreichen Christian Enders Absicht, Sherlock Holmes in Kombination mit sehr unterschiedlichen anderen phantastischen „Welten“ zu zeigen. Während der Titel der ersten Geschichte sehr schnell und dank der nachgeschobenen Pointe bewiesen auf „Peter Pan“ hinweist, gehört der Entführer zur einer Art, aus welcher die Hauptfigur eines anderen, sehr populären Romans des viktorianischen Englands stammt. Dabei agiert der Autor noch ein wenig verkrampft, da Holmes Erklärung für seine Verkleidung und deren Einfluss auf Peter Pan etwas zu bemüht wirkt. Holmes konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, in welcher Gestalt sich sein Antagonist wirklich präsentieren würde. Außerdem fehlt dem Text eine nachhaltige Erklärung, warum der Entführer plötzlich seine Taktik so drastisch ändern sollte, obwohl der Nachschub im Grunde dank der ungenügenden sozialen Verhältnisse in London unbegrenzt ist. In „Rigor Mortis“ wird Holmes wegen eins Mordanschlages nach Oz gerufen. Der Auftritt der Botschafterin Gale mit dem sprechenden Löwen als Leibwächter gehört zu den schönsten Szenen der Geschichtensammlung. Farbenprächtig, exotisch erinnert Enders mit dieser Prämisse an zahlreiche Geschichten aus Farmer inzwischen zu einem „Wold Newton Universum“ verbundenen Geschichtenfundus. Mit dem Übergang Holmes und Watsons nach Oz verliert die Story ein wenig an Faszination, auch wenn der Täter sprichwörtlich – das wird von Christian Enders auch extra betont – den Erwartungen entspricht. Die grundlegende Prämisse ist ein wenig zu schwach, um den Plot zu tragen und Holmes wirft mit seinen Erläuterungen mehr Fragen als Antworten auf, die in einer längeren Novelle behandelt werden könnten. Im Gegensatz zu „Londons verlorene Kinder“ wirkt „Rigor Mortis“ zu kompakt, zu gewollt und sollte von Christian Enders zu einer längeren, vielschichtigeren und vielleicht tatsächlich eine Verschwörung der Gnome beinhaltenden Novelle ausgearbeitet werden. Das Potential ist vorhanden, liegt aber noch im Schatten.
„Ratten im Gemäuer“ – der Titel ist einer Lovecraftstory entlehnt – ist nicht nur eine moderne Version des Rattenfängers von Hammeln, Christian Enders gelingt vom ersten Augenblick an die düster melancholische, bedrohliche Atmosphäre des viktorianischen Londons zu etablieren und vor diesem Hintergrund eine erst im Verlaufe phantastischer werdende Story zu lesen, die sehr geradlinig und für den Leser bis auf die letzten Schlussfolgerungen Holmes gut nachvollziehbar erzählt worden ist. Als gutes Omen übernimmt Christian Enders einen Nebencharakter aus „Der Henker“, seiner ersten veröffentlichten Kurzgeschichte.

Eine Katze verbindet Story übergreifend „Regenfall“ und den deutlich schwächeren Text „Der Fall der verschwundenen Katzen“ miteinander. In beiden Geschichten können Holmes und Watson die Täter dingfest bzw. unschädlich machen, in dem sie sich nicht ausschließlich auf ihre Ermittlungsarbeit verlassen, sondern handgreiflich gegen im Grunde die einzigen möglichen Verdächtigen vorgehen. Dabei gehört „Regenfall“ trotz der etwas zu simplen Auflösung zu den atmosphärisch stimmigsten Geschichten der Sammlung, während „Der Fall der verschwundenen Katze“ – nach den Kindern aus „Londons verlorene Kinder“ gehen dieses Mal Katzen in eine übernatürliche Falle und verschwinden plötzlich - in erster Linie dank seiner morbiden Atmosphäre unter Londons Friedhöfen funktioniert. Auffallend ist allerdings, das sich Christian Enders insbesondere in den plottechnisch schwächeren Storys nicht unbedingt um die Motivation der Antagonisten kümmert und alleine aus Holmes/ Watsons Begegnungen mit dem Übernatürlichen in unterschiedlichsten Variationen Spannung zu erzeugen sucht. „Schatten aus dem Meer“ ist eine der Multiverse Geschichten, die Enders in seinem Nachwort „ankündigt“. Holmes und Watson begegnen Kapitän Nemo, dessen Auftrag aus der Zukunft es ist, das noch nicht veröffentlichte Manuskript von H.G. Wells „die Zeitmaschine“ zu stehlen. In einem nicht verwendeten, aber ungemein effektiven Epilog verbindet Enders schließlich zusätzlich Nemo und die Nautilus mit dem Holmes- Universum. Der Plot funktioniert ausgezeichnet über die dem Leser bekannten Figuren, die sich in einer überdrehten, aber ernsthaft erzählten Handlung wieder finden, deren reine Logik wie alle Zeitreisetexte diskutabel ist. Es ist erstaunlich, wie solide Enders die Figuren anderer Autoren mit neuem Leben erfüllt. Insbesondere für Fans von Alan Moores „League of Extraordanary Gentlemen“ eignen sich diese Exkursionen ausgezeichnet.

Christian Enders hat von Beginn seiner Sammlung an dem Chronisten Watson - Doyle wird zum “Verleger” bzw. literarischen Agenten befördert - einen entsprechenden Raum zugestanden. Er ist sehr viel mehr als das Stichwortgeber, der stumme Beobachter als Mittler zwischen dem Genie Holmes und dem verblüfften Publikum. So ist es keine Überraschung, wenn Watson dank seiner Eigeninitiative das Rätsel um die verschwundenen britischen Schiffe in “Eisige Verlockung” löst. Der Plot ist geradlinig und basiert weniger auf der Ermittlungsarbeit der beiden Detektive - Holmes gesteht früh ein, das seine Methoden auf hoher See nicht anwendbar sind - als der Zufallsprinzip und der Reaktionsschnelligkeit Watsons. Anstatt diese ruhige, melancholische Geschichte im Grunde “ausrollen” zu lassen, muss es Christian Enders mit dem Epilog ein wenig übertreiben und negiert die positiv solide aufgebaute Stimmung. Dieses zu clever, zu überambitioniert sein, die Jagd nach dem allerletzten Querverweis durchzieht eine Reihe von Geschichten. Wenn es gut funktioniert, wie in der Titelgeschichte “Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes”, erhält der Leser eine unterhaltsame, actionbetonte, stimmungstechnisch ansprechende Geschichte, in welcher der Plot - überall in London werden Uhren jeglicher Color gestohlen - mit den Welten Gustav Meyrinks - der Golem - sowie einem Querverweis auf Gepettos Schöpfung hervorragend funktioniert. Der Leser ist auf Augenhöhe der beiden Ermittler, ohne sich wirklich ein Gesamtbild des Falls machen zu können. Zwar greift Christian Enders einmal zu oft auf Watsons Alpträume vom “Hund” zurück, was angesichts der hier versammelten Fälle eher konstruiert als wirklich überzeugend erscheint, aber von den ersten Szenen an passen die Versatzstücke sehr gut zusammen und erreichen die Qualität von K.W. Jeters unterschätztem “Das Erbe des Uhrmachers”. Die Titelgeschichte ist nicht nur wegen ihres guten strukturellen Aufbaus, sowie der gelungenen, ohne zu übertreiben Zeichnung der Nebenfiguren einer der nicht wenigen Höhepunkte der vorliegenden Sammlung.




Nicht alle Geschichten funktionieren wirklich gut. So gehört „Der Wind in den Weiden“ trotz der Anspielungen auf den Kinderbuchklassiker aufgrund der „fehlenden“ Grundhandlung genau zu den schwächeren Geschichten wie “Nemesis”. Dabei sind es gerade die zwei Geschichten “Nemesis” und “Der Fluch” sowie die Anekdote “Abschied aus London”, die zeigen, wie schmal der Grad zwischen gelungen und misslungen ist. In allen drei Texten spielt Holmes Irene Adler inzwischen zur Vampirfürstin geworden eine wichtige, teilweise die entscheidende Rolle. Dabei wird Christian Enders der Figur nicht gerecht und reduziert den einzigen überzeugenden weiblichen Charaktere im Holmes Kanon zu einem Klischee, das in erster Linie Holmes verletzen soll. Vergleicht der Leser die ironisch übertriebene Zeichnung Irene Adlers zum Beispiel in der neuen Holmes Verfilmung mit Christian Enders Portrait, so lässt sich das Ergebnis trotz einiger Hinweise auf eine Art Wanderjahr inklusiv gezeugtem Sohn in “Abschied aus London” nur als Enttäuschung bezeichnen. Dagegen ist die anfänglich klassische Werwolfgeschichte “Der Fluch” einer der Höhepunkte der Sammlung. Sehr gut erzählt mit der richtigen Mischung aus dunkler viktorianischer Atmosphäre, einem soliden Plot und vor allem einer deutlich reduzierten Verspieltheit außerhalb des eigentlichen Handlungsbogen überzeugt “Der Fluch” auch dank gut gezeichneter tragischer Nebenfiguren. Holmes und Watson erreichen ihr Ziel durch eine solide Mischung aus Deduktion und Aktion, während manche der anderen hier zusammengefassten Texte sich zu sehr in die eine oder andere Richtung neigen.

Das großartige erfolgreiche Scheitern wie in „Das Geschenk der Freiheit“ ergänzen die Sammlung der phantastischen Fälle des Duos Watson/ Holmes auch in typisch doyle´scher Manier . Sehr kurze pointierte wie gelungene Texte wie „Watson im Wunderland“ – ein Streifzug durch Holmes einzigartiges Bücherregal – oder „Muse mit sieben Prozent“ – eine groteske Quest - runden die Sammlung ab. Dabei liegt der Fokus mehr auf der einzigartigen Männerfreundschaft zwischen den in „Muse mit sieben Prozent“ gleichberechtigten und sich respektierenden Männern. Abgerundet wird die empfehlenswerte Storysammlung neben des melancholischen Abschiedsständchens in „Abschied von London“, die entfallenen Szenen – sie geben insbesondere einen soliden Einblick in eine der schwächeren Beiträge „Der Fall der verschwundenen Katzen“ und durch das schöne Titelbild von Timo Kümmel, sowie das einführende interessante Vorwort von Win Scott Eckert, dem Verwalter des literarischen Wold Newton Universe Nachlasses Philip Jose Farmers.

04. Apr. 2010 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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