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Tante Bille
LITERRA-ONLINE-SERIE: Tot aber feurig. Episode 11 von Alisha Bionda
„Du willst was???“ Lisas Tante stieß temperamentvoll den Rauch ihrer Pfeife aus und riss die Augen in Frisbeescheiben-Format auf.
Lisa verkniff sich ein infantiles Kichern. „Umziehen“, antwortete sie bewusst einsilbig, um ihre Tante noch mehr herauszufordern, denn sie liebte die Wortspielereien mit ihr.
„Etwa in diese Burg?“ Tante Bille legte ihre Pfeife beinahe liebevoll in den Ascher.
Lisa lachte schallend. „Das ist ein Schloss-Hotel, aber keine Burg ... wenngleich ...“, sie legte eine dramaturgische Pause ein und ihre lebenslustige Tante fiel prompt darauf herein.
„Wenngleich?“, fragte sie mit einem ungeduldigen Tonfall in der Stimme. Ihre Wangen hatten längst die für sie typische „Rotkäppchen“-Farbe angenommen. Und ihr Blick verriet ihre Neugier, die sie selten in Zaum halten konnte.
Aber auch das mochte Lisa an der Schwester ihrer Mutter. Vielleicht auch, weil sie das mit ihr gemein hatte.
„Wenngleich es dort schon recht wunderlich zugeht.“ Lisa grinste breit. „Und frag jetzt lieber nicht, was das zu bedeuten hat ...“ Ihr Grinsen wurde noch eine Spur breitmaulfroschiger. „Du würdest es eh nicht glauben, das muss man mit eigenen Augen gesehen und selbst erlebt haben.“
Warum ihr da ausgerechnet der Schwiegerdrache ihrer neuen Freundin Lucy ins Gedächtnis kam, lag für sie mehr als auf der Hand.
„Ich komme dich auf jeden Fall besuchen!“, drang die Stimme ihrer resoluten Tante in ihre Gedanken.
Lisa wusste später nicht mehr zu sagen, welcher Teufel sie geritten hatte – zumal sie Tante Bille genau kannte und wusste, wenn man ihr nur einen kleinen Krumen hinwarf, wollte sie gleich die ganze Torte, aber es war ihr schon entfleucht, bevor sie näher darüber nachdenken konnte: „Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass dort sonderbare Gestalten leben? Zum Beispiel eine Vampirin, ein Drache und so.“
Tante Bille zögerte nicht eine Sekunde: „Ich würde sagen, man merkt, dass du zur schreibenden Zunft gehörst, du solltest Fantasyromane schreiben – oder mal deine Synapsen durchleuchten lassen!“
„Fantasyromane? Keine schlechte Idee!“, erwiderte Lisa und lehnte sich entspannt zurück, während sie das Durchleuchten ihres Oberstübchens elegant überhörte. „Das würde auch zu meinem neuen Freelancer-Leben passen.“
Tante Bille seufzte. „Das du weit weg führen wirst ... weg von deiner alten Tante.“
Lisa stieß ein weiteres Lachen aus. „DER war gut. DU und alt, dass ich nicht lache.“
Tanta Bille ging nicht näher darauf ein. „Joe Cocker wird auch nicht gerade vor Begeisterung auf dem Tisch tanzen, wenn er merkt, dass er umziehen muss.“
Lisa blickte ihren Kater an, der für seine Verhältnisse erstaunlich manierlich auf dem Sofa neben ihrer Tante lag und sich die Pfoten leckte.
„Der Umzug als solcher, wird ihn sicher nicht vom Hocker hauen“, räumte sie ein. „Aber das Leben im Schloss-Hotel wird ihm gefallen ... und die ein oder anderer Gestalt dort auch.“ Wieder verzogen sich ihre Mundwinkel amüsiert.
„Du machst es aber wirklich spannend.“ In Tante Billes Stimme schwang nun eindeutig ein ungeduldiger Tonfall mit.
„DIR würde der ein oder andere dort ebenfalls gefallen“, fuhr Lisa unbeeindruckt fort.
Ihre Tante wurde sofort noch einen Tacken aufmerksamer.
„Laufen da nette Typen herum? Mir ist in letzter Zeit nämlich leider nicht ein einziger Höschenschmelzer mehr begegnet.“ Sie seufzte theatralisch und Lisa brach erneut in schallendes Gelächter aus.
Ihre Tante war und blieb ein Original, die immer wusste, was „Frau“ gut tat und das auch „auf den Punkt“ brachte.
„Ja, du lachst. In deinem Alter sind alle noch knackig und willig ... aber in meinem ...“ Tante Bille verdrehte mit betont gequältem Gesichtsaudruck die Augen.
„Du hast doch eh immer jüngere Kerle“, hielt ihr Lisa unbeeindruckt entgegen. Noch ein Punkt den sie an ihrer Tante toll fand. „Wenn ich da an den Letzten denke ... den hätte selbst ich nicht von der Bettkante gestoßen. Aber, kein Wunder. Du bist ja auch noch gut beisammen“, feixte sie.
Nun grinste Tante Bille breit und tippte sich gegen die Stirn. „Meinst du im Oberstübchen?“ Ihre Hand wanderte an ihren prallen Busen und tippte dagegen. „Oder meinst du meine beiden schlagenden Argumente.“
„Beides!“
Ein Kichern war die Antwort. Gefolgt von einem amüsierten: „Ich habe zumindest keinen katholischen Busen“, aus dem aber auch eine Prise Stolz sprach.
„Katholischen Busen?“ Lisas Mimik war ein einziges Fragezeichen. „Was heißt denn das nun wieder?“
„Na, immer auf den Knien!“ Tante Bille schmunzelte. „Immerhin haben die beiden trotz meiner zweiundsechzig Lenze bisher tapfer der Schwerkraft getrotzt.“
„Liegt wohl an der regelmäßigen rhythmischen Gymnastik, die du betreibst“, hielt ihr Lisa zweideutig entgegen.
Tante Bille seufzte übertrieben laut. „Die letzte Zeit war da leider eher die gute alte Handarbeit angesagt – nicht gerade das, was mir Freudentaumel entlockt.“
„Hahahaaaaa. Du bist wirklich nicht zu toppen. Ich wünschte, alle Frauen in deinem Alter wären ...“
„Untersteht dich und verrate auch nur irgendwem in deinem neuen Umfeld, wie alt ich bin.“
„Hahahahaaaaaa ... und was bitte schön soll ich sagen, wenn mich jemand fragt?“
„Verweiger einfach die Aussage“, schlug ihre Tante gutgelaunt vor. Auch sie liebte augenscheinlich die Gespräche mit ihrer Nichte.
Auch wenn sich in dieses ein wenig Wehmut mischte, wenn sie daran dachte, dass Lisa bald in einem fernen Land leben würde.
Was ihr die naheliegende Frage aufdrängte: „Wann ziehst du denn um?“
„In zwei Wochen!“
„So schnell?“
„Du bist doch sonst immer eine Verfechterin der spontanen Entschlüsse“, hielt ihr Lisa entgegen.
„Du weißt doch, ich halte es wie Adenauer und dem was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“
„Da bist du nicht allein auf weiter Flur. Ich kenne fast nur noch solche Leute. Leider. Das ist es woran unsere Gesellschaft heute immer mehr krankt.“ Lisas Antwort fiel ungewohnt ernst aus.
Was ihre Tante mit einem nachdenklichen Blick quittierte, der aber nicht lange anhielt, weil ihre heitere Art sofort wieder die Oberhand gewann.
Auch das liebte Lisa an ihr.
Überhaupt mochte sie Tante Billes unkonventionelle Lebensweise, die bei so manchem ihrer verknöcherten Verwandten weit oben auf der Peinlichkeitsskala stand, für Lisa aber eher ein Zeichen war, dass sie und ihre Tante so etwas wie „seelenverwandt“ waren. Lisa verband mit ihr weitaus mehr, als mit ihrer Mutter. Zu deren Leidwesen – aber das war ein anderes Thema, an das Lisa in dem Moment nicht denken mochte.
Sie wollte nur noch an ihren Umzug denken, an das neue Leben und ihre Freundschaft zu Lucy, die ihr schon jetzt viel bedeutete.
Auch wenn sie einen der wichtigsten Menschen in Deutschland zurücklassen musste.
Lisa betrachtete ihre Tante wohlwollend. Sie sah immer wie ein Alt-Hippie aus, mit Rundungen an den richtigen Stellen, bunt-zusammengewürfelten Klamotten, und langen, mittelgescheitelten, hennageröteten Haaren.
Lisa liebte ihre Tante auch dafür, dass sie nicht mit Faltenrock und prähistorischer Frise herumlief. Und noch heute die „freie Liebe“ lebte und erotische Raffinessen liebte, wie sie nicht müde wurde, ihrer Nichte wortreich und detailgetreu zu erzählen. Wobei sie sich an deren partieller Verlegenheit ergötzte. Nein, geradezu davon angestachelt wurde.
Doch heute war ihr Unterton in der Stimme weniger heiter, wenn sie an Lisas nahenden Umzug dachte. „Dann müssen wir ja noch einiges erledigen, das werden stressige Tage.“
„Du bist aber heute eine Blitzmerkerin!“, entfuhr es Lisa.
Ihre Tante ging nicht auf die Bemerkung ein. Dazu hatte sie auch keine Gelegenheit mehr, denn bevor sie den Mund zu einer Erwiderung öffnen konnte, ertönte ein Knall in der Küche, gefolgt von einem schrillen und nahezu empörten Kreischen.
JOE COCKER!!!
„Heilige Makrele, dieser Kater!“, entfuhr es Tante Bille mit einem amüsierten Lächeln, das ihren Ausruf Lügen strafte. Sie liebte den eigenwilligen Stubentiger, der sich während ihres Gespräches auf leisen Samtpfoten aus dem Zimmer geschlichen hatte. „Willst du ihn nicht lieber bei mir lassen? Der stellt womöglich deine gesamte neue Behausung auf den Kopf.“
Lisa kicherte. „Das würde mich nicht wundern. Dem ist wirklich alles zuzutrauen.“ Dann wurde sie wieder ernster. „Aber ohne ihn umziehen ... nein, das kommt nicht in die Tüte.“
Als habe er gehört, dass von ihm die Rede war, stolzierte der Kater mit hocherhobenem Schwanz ins Zimmer, marschierte zielsicher an dem Sessel vorbei, in dem Lisa saß, sprang mit einem eleganten Satz auf das Sofa und putzte sich lässig seine Pfoten weiter. Dabei setzte er einen hochmütigen Gesichtsausdruck auf und stieß ein zufriedenes Schnurren aus.
„Was für ein hamletester Auftritt.“ Tante Bille betrachtete den Stubentiger, der eine wirklich bemerkenswerte Lässigkeit an den Tag legte, selbst für seine Gattung, immerhin hatte er wohl in der Küche gerade irgendetwas in Kleinstpartikel zerlegt.
Die beiden Frauen gingen nachsehen und fanden ihre Vermutung bestätigt.
Aber auch beim Anblick ihres zerdepperten Porzellans bewahrte Tante Bille die Contenance. Während sie die Scherben zusammenkehrte und -klaubte stieß sie gutgelaunt hervor: „Sagt man nicht immer Scherben brächten Glück? Ich sehe das mal als ein gutes Omen für deine Pläne, mein Kind.“

Zwei Wochen später war es soweit. Lisa hatte ihr Umzugsgut einer Spedition überlassen, ihre Ente vollgepackt, dass es nur so in den Felgen knackte und Joe Cocker in seinen Korb gesperrt, was der Kater mit lautem Protestgeschrei quittierte.
„Der hat es aber wirklich drauf!“, entfuhr es Tante Bille, die ansonsten merklich still für ihre Verhältnisse war.
Lisa versuchte ein aufmunterndes Lächeln, das aber missglückte, da sich ein mulmiges Gefühl in ihrer Magengegend breitmachte, bei dem Gedanken, dass sie ihre Tante wohl so schnell nicht wiedersehen würde. Ansonsten hielt sie nichts in Deutschland. Im Gegenteil. Sie freut sich auf ihr neues Leben, ihre Freundschaft zu Lucy und den „bunten“ Gestalten, die das Schloss-Hotel bewohnten.
Aber Tante Bille erst einmal „Adieu“ zu sagen, hieß die einzige Wurzel zu diesem Land zu kappen, in dem sie zwar geboren war, in dem sie sich aber zu keiner Zeit heimisch gefühlt hatte. Seit sie bei Lucy gelandet war, wusste sie warum sie sich in Deutschland immer so fremd vorkam. Es fehlte ihr der Respekt vor den Individualisten. Und die häufig fehlende „Leichtigkeit des Seins“.
Umso mehr, freute sie sich auf die skurrile Welt des Schloss-Hotels – und somit auf ein völlig neues Leben.
Als wolle er sie daran erinnern, eben jenes endlich zu starten, stieß Joe Cocker einen schrillen Wutschrei aus und malträtierte den Korb, der ihn gefangen hielt, mit seinen Krallen.
Lisa blickte ihre Tante an. „Es ist wohl soweit“, murmelte sie und fühlte sich plötzlich wie eine Erstklässlerin, die ihren ersten Schultag antreten soll und sich einsam und verlassen fühlt.
Im Überschwang ihrer Gefühl umarmte sie ihre Tante stürmisch und presste sie an sich. „Du wirst mir fehlen, Tanta Bille!“
„Du mir auch! Aber ich werde dich möglichst oft besuchen kommen. Und eines bitte ich mir aus: Hör endlich auf, mich Bille zu nennen. Als du drei warst, war das okay, aber mir ist Sybille lieber.“
Lisa kicherte unter Tränen. „Wie du willst, Tante Bille.“
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LITERRA-ONLINE-SERIE: Tot aber feurig. Beitrag vom 19. Dez. 2011
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