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no. 27: arbeit -> callcenter
 

'Kundenkönigs' Kinder

Ein Blick auf Beschäftigte in Callcentern

von Anke Bahl

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Kaum ein Unternehmen, kaum eine Institution oder Organisation kommt inzwischen noch ohne Callcenter aus. Freud und Leid der vermeintlich direkten Erreichbarkeit über technische Systeme zu unterschiedlichsten Tages- und Nachtzeiten liegen dabei selbst für die Kundenseite manchmal nah beieinander. Callcenter gelten als Paradebeispiel flexibler informatisierter Arbeit, aber wie stellt sich dies bei Nähe betrachtet im konkreten Arbeitsalltag dar? Welche Perspektiven bietet eine Anstellung in diesem boomenden Dienstleistungsbereich aus der Binnensicht von Branchenexperten? Anhand von Interviewpassagen werden weiterführende Fragen an dieses junge Berufsfeld gestellt.

 

Das Geschäft mit 'Kundenbetreuungszentren', wie man die aus dem US-Amerikanischen eingeführten Begriffe call center oder customer care center übersetzen könnte, boomt und gilt weltweit längst als eigener Wirtschaftszweig. In Deutschland setzte die Expansion dieser besonderen Art von Dienstleistung Anfang der 1990er-Jahre ein. Vorreiter bei der Einrichtung spezieller Abteilungen für die telefonische Kundenkommunikation waren -- neben dem Versandhandel -- vor allem die Banken. Deregulierung und Privatisierung der Finanzdienstleistungen führten nicht nur zur Gründung vieler Direktbanken als Teil der New Economy, sondern es wurde auch die Telefonkommunikation ganz neu für die Kundenpflege und das Marketing entdeckt.

Zu den Gründungszeiten waren die neuen Kundenbetreuungszentren noch als Inhouse-Einheiten großer Unternehmen auf die eigenen Kundinnen und Kunden und Produkte ausgerichtet, und reine Dienstleister als selbständige Anbieter in diesem Segment bildeten die Ausnahme. Inzwischen begreifen aber auch kleine und mittelständische Unternehmen das Telefon als Marketinginstrument für ihre eigenen Zwecke, dessen versierten Einsatz sie gern nach außen in professionelle Hände geben. Der allgemeine Bedeutungszuwachs dieser Dienstleistung zusammen mit dem Trend zum Outsourcing hat dazu geführt, dass etwa 25 Prozent des -- in der Summe erheblich gewachsenen -- Marktanteils bei Firmen liegt, die sich allein auf diese Dienstleistung spezialisiert haben. Zwischen 2001 und 2009 soll sich deren Anzahl mehr als verdoppelt haben und nun bei ungefähr 6700 Betrieben liegen, die sich im Wettbewerb untereinander in ihren Leistungen immer weiter ausdifferenzieren.

Wie mag sich das Innenleben solcher Firmen wohl darstellen und mit welcher Art von Arbeit haben die Beschäftigten es hier zu tun? Wir alle haben wohl schon mehr oder weniger erfreuliche Erfahrungen als Anrufer/-in oder Angerufene/-r von Kundenhotlines gesammelt, aber wie sieht es am anderen Ende der Leitung aus? Über die Innensicht dieses boomenden Sektors ist nur wenig bekannt. Hier sollen einmal zwei Branchenexperten -- ein Verbandssprecher und ein Geschäftsführer eines selbständigen Callcenters -- selbst zu Wort kommen, die ihr Wissen bereitwillig in Einzelinterviews zu Forschungszwecken zur Verfügung stellten und daher auch anonym bleiben müssen.

 

"Wer bei uns anfängt, kann telefonieren, mag telefonieren."

Callcenter übernehmen vielfältige Aufträge für ihre firmeninternen oder -externen Auftraggeber. Das Spektrum reicht von Informationsdiensten (Hotlines etc.) über Kundendienste, Beschwerdemanagement, Auftrags- und Bestellannahme (Versandhandel, Ticket-Services) bis zur Markt- und Meinungsforschung und Verkäufen mit Vertragsabschluss. Die Beschäftigtenstruktur ist jung und überwiegend weiblich. Lag das Durchschnittsalter inklusive der Führungskräfte Anfang der 1990er-Jahre noch bei ca. 30 Jahren oder darunter, so liegt es jetzt bei Mitte 30. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigung ist hoch.

Bei der Entgegennahme von Kundenanrufen -- inbound genannt -- handelt es sich noch am ehesten um traditionelle Kundendienstaufgaben. Der Kunde fordert Informationen, möchte vermittelt werden, meldet Störungen, beschwert sich oder beauftragt Bestellungen etc. Als 'aktive Telefonie' oder outbound wird demgegenüber das gezielte Anrufen von Bestands- oder potenziellen Kunden bezeichnet. Der Auftraggeber beabsichtigt beispielsweise den Verkauf von Produkten und betreibt Telefonmarketing. Andere Einsatzgebiete wären die Erhebung von statistischen Daten, die Aktualisierung von Adressen, die Bedarfsermittlung bezüglich bestimmter Produkte, Rückfragen zur Kundenzufriedenheit etc. Das Spektrum an auftraggebenden Branchen ist breit und reicht von Textil über Banken und Versicherungen bis hin zu Mobilfunk, um nur die wichtigsten zu nennen.

Mit der Technologie haben sich auch die Arbeitsanforderungen weiter ausdifferenziert. Nachdem es anfangs noch ausreichte, nach stark vorstrukturierten Gesprächsleitfäden zu arbeiten, gern zu telefonieren und "stressresistent" zu sein, sind inzwischen längere Einarbeitungszeiten erforderlich, um die Anforderungen souverän zu bewältigen. Nahezu alle Arbeitsschritte erfolgen computergestützt, so dass die Beschäftigten während des Kundengesprächs nicht nur mit verschiedenen Anwendungen und Datenbanken umgehen können müssen, in denen sie anschließend dessen Inhalte dokumentieren, sondern zunehmend auch weitere Kommunikationskanäle wie E-Mail oder Co-Browsing im Internet hinzukommen.

Die Beschäftigten müssen "viel kommunikative Begabung" mitbringen, so der Geschäftsführer eines selbständigen Callcenters. Im "Ordertaking-Bereich" speziell gilt es, die hohe Taktung zu bewältigen und eine "sehr hohe Produktivleistung pro Zeitstunde" zu erreichen. "Das fordert wiederum ein anderes Skill in der Persönlichkeit, weil Sie im Grunde von einer Zeitstunde, die Sie da sitzen, rein kalkulatorisch 45 Minuten reden sollen." Flexibilität ist gefragt, weil sehr unterschiedliche Menschen anrufen:

"Der, der Sie anruft, kann 18 sein oder 78! Und Sie können nicht mit derselben Tonalität wie mit einer 78-Jährigen mit einem 18-Jährigen reden. Dann haben Sie noch die Differenzierung in den Produkten und den unterschiedlichen Auftraggebern und noch on top im Anrufgrund selber: Will der was bestellen, braucht er eine Produktberatung oder ist der einfach nur stinksauer?"

 

"Es heißt permanent auf dem Laufenden sein."

Von den Angestellten werden keine besonderen Einstiegsqualifikationen in der Form von Berufsabschlüssen oder ähnlichem verlangt. Neben der Kenntnis der deutschen Sprache in Wort und Schrift, dem angeborenen "Talent" zum Telefonieren und dem Umgang mit dem Computer, werden von den beiden Befragten insbesondere Eigenschaften wie "Stressresistenz" und "Lernbereitschaft", die "Neugierde, das Interesse an neuen Themen" und "Flexibilität" ins Feld geführt. Flexibilität als Merkmal muss dabei sehr umfassend interpretiert werden, denn sie reicht von der Arbeitszeit und einer Tätigkeit im Zwei- oder Dreischichtbetrieb, die auch Nachtschichten beinhalten kann, über die Arbeitsmittel und den Umgang mit verschiedensten Kunden bis hin zu den vermarkteten Inhalten, wie der Verbandsvertreter ausführt:

"Flexibilität vielleicht aber auch darin, mich auch auf neue Aufträge und Projekte einzustellen. Also ich habe irgendwann einmal zwei Jahre lang Babysachen verhökert oder beraten und dann sagt man, jetzt musst du mal was anderes auch sehen; auf einmal bin ich bei einem Mineralölkonzern oder sonstwas. -- So, also das heißt, wie bereit bin ich, mich auf Neues einzustellen, neue Technologien, neue Oberflächen."

Der Verbandsvertreter betont die hohe Wichtigkeit der Lernbereitschaft der Angestellten, die "permanent auf dem Laufenden sein" müssen und insofern ständig geschult werden. Es gebe wahrscheinlich "kaum einen Beruf, der im laufenden Arbeitsalltag noch so viel an Training bekommt". Das Minimum seien zwölf Trainingstage pro Jahr. Aber nicht nur die Arbeitsmittel und Produkte sind davon betroffen, sondern auch die emotionale Seite der Dienstleistung, wie der Geschäftsführer illustriert:

"Wenn wir auf einer Hotline einen sehr hohen Anteil an Beschwerdecalls haben, dann gibt's ein paar Kniffe, wie man leichter damit umgehen kann, wie du stressresistenter wirst, wie du dir Probleme eher vom Hals hältst und dich nicht reinziehen lässt. Das trainieren wir dann individuell, themenspezifisch und mitarbeiterspezifisch."

Auch der Verbandsvertreter nennt auf die Frage nach der Weiterbildung zunächst Gesprächstechniken, kommt dann aber auch auf die körperliche Seite der Arbeit zu sprechen und das Ziel, dass die Mitarbeiter/-innen für die "eigene Gesunderhaltung" sorgen. Abgesehen von Instruktionen zur Erhaltung der Stimme (Raumklima, Flüssigkeitszufuhr, Lockerungsübungen) werden auch Hinweise zum ergonomischen Arbeiten mit Headset am Bildschirm, zu Entspannungsübungen etc. gegeben: "Die Halsmuskulatur, Nackenmuskulatur ist die am stärksten beanspruchte, die sich verspannt, d.h. wie kann ich das wieder lockern? Wie kann ich auch wieder meinen Atem runter kriegen?"

 

"Was holst Du raus aus den Anrufen?"

Die technisch laufend weiterentwickelten Kommunikationsmöglichkeiten stellen nicht nur die Grundlage für die Kommunikationsstrategien der Callcenter-Betriebe, das sogenannte Customer Relationship Management (CRM) bzw. Kundenbeziehungsmanagement dar, sondern erhöhen auch stetig die "Kommunikationsgeschwindigkeit" sowohl in Bezug auf den Kunden als auch innerhalb der Organisation des Betriebs. Dabei ist ein entscheidendes Merkmal, dass Callcenter, so eine Aussage des Verbandsvertreters, im Vergleich zu allen anderen Unternehmen mit Büroorganisationseinheiten "hochgradig transparent" sind, da nahezu alle Arbeitsschritte zugleich datentechnisch erfasst und ausgewertet werden können. Diese inzwischen gut aufgebauten "Erfahrungsdatenbanken" schaffen eine wesentliche Voraussetzung für den Versuch, durch gezielte Zeittaktung und "Zeitrouting" eine immer größere Auslastung und damit Produktivität des Callcenters zu erreichen.

Die Trainings, denen sich die Mitarbeiter/-innen kontinuierlich unterziehen, haben ihren Auslöser häufig in der Bewertung ihrer jeweiligen Leistungsstärke, ihren Stärken und Schwächen. Der Geschäftsführer schildert, dass jeder seiner Mitarbeiter permanent anhand leicht zu erhebender empirischer Daten wie der durchschnittlichen Gesprächsdauer und den erzielten Konversionsraten überprüft wird:

"Nehmen wir an, du hast einen Orderjob zu tätigen, die rufen an, weil sie etwas bestellen wollen. Dann werden natürlich nicht alle bestellen, sondern ein Teil sagt dann 'Nee, lieber doch nicht', oder 'Habe ich mir anders vorgestellt'. Also ist der nächste Schritt, den man sich dann raussucht: Wie sind die Konversionsraten? Aus 100 Anrufen, die er entgegennimmt, wie viele Anrufe verwandelt er denn zu Käufern?"

Besondere Aufmerksamkeit erfahren dann jene Mitarbeiter, die im Teamvergleich außergewöhnlich gut abschneiden, denn diese haben den anderen offensichtlich etwas voraus und erzielen ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis. Auch hierfür gibt der Geschäftsführer ein Beispiel:

"Um eine Zahl zu nehmen: im Schnitt braucht das Team drei Minuten für so einen Ordercall; dieser [Mitarbeiter] braucht vier Minuten. Im Schnitt hat das Team 50 Prozent Konversionsrate; der macht aber 70 Prozent. Dann ist das möglicherweise einer, von dem wir was lernen können! Der braucht zwar eine Minute länger, schafft aber einen viel höheren Grad in der Wertschöpfung. Dann unterhält man sich und sagt: 'Wie machst Du das? Also wie machst Du das denn?' Da dürfen die andern was dabei lernen. Es ist ja immer diese Gratwanderung zwischen Kostenoptimierung -- das ist Zeit --, und auf der anderen Seite natürlich Ergebnisoptimierung, und das bedeutet: 'Was holst du raus aus den Anrufen?' Und wenn die Lage ist: Im Durchschnitt wird ein Warenkorb von 50 Euro am Telefon verkauft, und der schafft aber 75 Euro. Dann ist diese eine Minute im Verhältnis zu 25 Euro bei diesem Warenkorb sehr gut investiert."

 

"Insofern wird einfach sehr viel gemessen in einem solchen Callcenter."

Es gilt täglich aufs Neue diese Daten zu korrelieren, die Durchschnittswerte zu berechnen und bei auffälligen Abweichungsquoten einzelner Mitarbeiter/-innen nach den Gründen zu forschen:

"Ist der Hamster gestorben, kann ich verstehen, dass der [Mitarbeiter] einen schlechten Tag hat. Das kann ich einfach nachvollziehen, und dann weiß ich das aber auch. Ist der permanent schlecht drauf, dann muss ich mir das anschauen. Insofern wird einfach sehr viel gemessen in einem solchen Callcenter, um herauszufinden, wo sind Optimierungspotenziale. Dementsprechend werden dahingehend dann Lernaufträge oder Lehraufträge vergeben. 'Geh mal hin und gucke mal, warum der das so gut macht.' Oder: 'Schau mal, was dem fehlt, warum er es nicht so gut schafft.'"

Auch der Verbandsvertreter erwähnt die technisch immer weiter ausgefeilten Methoden des Monitoring der Mitarbeiter/-innen, die für die Aus- und Weiterbildung von erheblicher Bedeutung seien. Selbst wenn zwischen den Zeilen auch -- mit Verweis auf von Betriebsräten aufgedeckte Missstände -- ein gewisses Problembewusstsein für deren Schattenseiten anklingt: Es wird mit dem Verweis auf die Notwendigkeit für die Qualitätssicherung gleich wieder in den Hintergrund gedrängt:

"Es gibt viele Möglichkeiten der Auswertung; das ist immer eine Frage, wie man damit umgeht. Von der Stimmanalyse, vom Sprechrhythmus über Gesprächsanteile und so weiter; es lässt sich alles auswerten und aufzeichnen. Wenn es vernünftig für Trainingszwecke genutzt wird, ist das eine super Geschichte. Das Dumme ist halt, dass es häufig auch / oder in der Vergangenheit immer eher repressiv verwendet worden ist, was natürlich Betriebsräte dazu bringt zu sagen 'Das wollen wir nicht'. Aber wir haben halt wenige Möglichkeiten. Aus- und Weiterbildung ist im Prinzip die Qualitätssicherung."

Gepriesen wird auch die unmittelbare Verwertbarkeit der Trainingsinhalte, da die Schulungen nicht wie herkömmliche Weiterbildungsangebote fern des Arbeitsplatzes in seminaristischer Form erfolgen, sondern unmittelbar im Prozess der Arbeit. Durch unmittelbares Coaching werde ein wesentlich höherer Transfer des Gelernten in die Praxis erzielt:

"Durch diese kleinen Episoden, eine Viertelstunde side by side-Coaching, drei, vier Gespräche, sehr konkret: 'Wie bist du damit umgegangen? Was machst du da? Da war eine Formulierung, probiere es mal mit der Formulierung...' Das heißt, es ist wesentlich konkreter und praxisorientierter, weil ich natürlich auch permanent die Verbesserungen brauche. Wenn ich bei der [Firma X] in einem Callcenter 10.000, 15.000, 20.000 Anrufe am Tag habe, und ich habe dort 1.500 Leute sitzen, und ich bringe jeden dazu, trotzdem mit der gleichen Höflichkeit, Nettigkeit das Gespräch zehn Sekunden kürzer zu führen, dann ist das eine Rieseneinsparung bzw. ich kann viel mehr Calls wieder entgegennehmen mit der gleichen Mannschaft."

 

"Insoweit ist es eine große Masse, die wir steuern."

Die "Produktivität" ist in den Interviews immer wieder Thema, und jede Minute zählt. Damit werden an die Führungskräfte hinsichtlich der Steuerung der Prozesse sehr spezifische Anforderungen gestellt. Als selbständiger Dienstleister mehrere Auftraggeber parallel zu bedienen, wird zu einer komplexen Angelegenheit. Während das Inbound-Geschäft kundenseitig gesteuert ist und zusätzlich von vielen weiteren Faktoren wie Uhrzeit, Wetter, Saison, aktuelle Werbung etc. abhängt, kann die Rufanzahl im Outbound-Geschäft zumindest partiell centerseitig beeinflusst werden. Das Personal wird auf Halbstunden, bisweilen auch runter bis auf 15-Minuten-Intervalle geplant. Um die Komplexität dieser Anforderung zu verdeutlichen, zieht der Geschäftsführer die effiziente Auslastung von mehreren Druckmaschinen in einer Druckerei heran:

"In einem Callcenter ist der Agent Produktionsmasse. Stellen Sie sich eine große Druckerei vor mit zwanzig Druckern: die probieren Sie nun auszulasten. Manche davon können viele Jobs; manche davon nur wenige Jobs; mancher davon kann nur einen ganz bestimmten Job. Und Ihr Job ist es nun, dass sie möglichst alle gut ausgelastet sind. Dementsprechend versuchen Sie die Aufträge zu schieben, zu drücken, zu verlängern, zu erhöhen, dass möglichst eine hohe Auslastung dieser Drucker stattfindet. Und so ist das da drüben auch."

Über den Tag hinweg ergeben sich je nach Kunden unterschiedliche Peaks, die für eine effiziente Personaleinsatzplanung möglichst präzise vorhergesehen werden müssen, damit wenig Leerlauf erfolgt. Diese Zeiten werden ansonsten mit "Backoffice-Arbeiten oder Aufräumaktivitäten" gefüllt: "Dann schaffen Sie es, dass eine relativ hohe Last pro Zeitstunde möglich ist, und dafür müssen Sie eben ein relativ homogenes Mitarbeiterpotenzial rekrutiert haben."

 

"Aufstiegsmöglichkeiten, die einfach gigantisch sind"

Die notwendigen Branchenkenntnisse werden bislang kaum an einer Hochschule systematisch vermittelt angeboten. So speist sich die Gruppe der Führungskräfte vorwiegend aus Aufsteigern aus den eigenen Reihen. Immerhin ist es jedoch bereits gelungen, für den qualifizierten Nachwuchs von unten im Jahr 2006 gleich zwei bundesweit anerkannte Ausbildungsberufe -- den Kaufmann / die Kauffrau für Dialogmarketing als drei- und die Servicefachkraft für Dialogmarketing als zweijährigen Beruf -- einzuführen.

Vielfach betont werden die "flachen Hierarchien" in den Unternehmen mit nicht mehr als drei Ebenen, die so aus den angelsächsischen "Mutterländern des Callcenters", den USA und Großbritannien übernommen wurden und bis heute gültig sind. Auf der ersten Stufe sind die Sachbearbeiter, die Agents genannt werden. Darüber stehen die Teamleiter mit einer Verantwortung für zwölf bis15, manchmal auch 20 Agents und daneben gibt es noch Spezialistenfunktionen wie Supervisoren und Workforce-Manager. An der Spitze steht schließlich der Callcenter-Manager.

Die Führungsspannen sind überschaubar; der größte Betreuungsbedarf ist "in dem Bereich, wo produziert wird", sprich, wo die Agents geführt werden. Individuell können beinah wöchentliche Gespräche mit Mitarbeiter/-innen über deren aktuelle "Leistungsstärke" erforderlich sein, denn in der Branche wird äußerst knapp kalkuliert, wie der Geschäftsführer sagt: "Wenn ich nicht 42 Minuten einer bezahlten Zeitstunde verkaufe, laufe ich bereits defizitär. Jeden Tag, jede Stunde." Bei 450.000 Beschäftigten im Callcenter-Umfeld und einer Betreuungsintensität von 1:15, rechnet er vor, "landen Sie bei 60.000 Führungskräften!" Auch wenn sich die Branche allmählich professionalisiert und -- nicht zuletzt zur Verbesserung des eigenen Image -- inzwischen erfolgreich die zwei erwähnten Ausbildungsberufe eingeführt hat, ist der Quereinstieg insbesondere auf der Agent-Ebene jederzeit möglich, "und der vertikale Aufstieg innerhalb eines Unternehmens ist eigentlich immer offen." Der Geschäftsführer spricht angesichts des ausdauernden Wachstums von "Aufstiegsmöglichkeiten, die einfach gigantisch sind":

"Uns fehlen noch 200.000 Arbeitskräfte, da fehlen zwangsläufig eben auch 10-20.000 Führungskräfte, das ist immer eine schöne Perspektive für eine Branche."

Auch der Verbandsvertreter blickt optimistisch in die Zukunft und orientiert sich dabei an Zahlen aus Großbritannien und den USA, selbst wenn dort der Bedarf "etwas einfacher strukturiert" sei. So seien zwar die Strukturen der Callcenter, deren Begrifflichkeiten, wie auch die Orientierung an Kompetenzen und weniger Qualifikationen bei der Rekrutierung der Beschäftigten als Vorbild von diesen Ländern dauerhaft übernommen worden; die Dienstleistung selbst hätte sich hierzulande inzwischen jedoch deutlich professionalisiert. Dies liege vor allem am höheren allgemeinen Qualifizierungsgrad der Bevölkerung in Deutschland. In den USA könne noch mit dem "klassischen Masseneinfachgeschäft" Geld verdient werden; da sei die Kundschaft auch eher bereit einem "dressierten Affe[n] am Gesprächsleitfaden [...] in klaren Pausenzeichen zu folgen, weil es für sie auch leichter ist ihn aufzunehmen als in einen ganzheitlichen Dialog zu treten". In Deutschland hingegen seien die Ansprüche sowohl auf Seiten der Kunden wie der Angestellten deutlich höher, das Wachstumspotenzial aber auch hier noch groß. Nachdem in Großbritannien bereits 3,8 Prozent und in den USA 10 Prozent der Erwerbstätigen in Callcentern beschäftigt seien, in Deutschland aber erst 1,1 Prozent, könne er sich perspektivisch "durchaus fast eine Million Beschäftigte in diesem Kommunikationssektor vorstellen".

Zwar kommen angesichts seiner Prozentangaben insbesondere für die USA Zweifel ob deren Richtigkeit auf -- zumal er als Grundgesamtheit mal die Zahl der Erwerbstätigen und dann jene der Gesamtbevölkerung zugrunde zu legen scheint; entscheidend bleibt jedoch, dass er noch erhebliches Expansionspotenzial in dieser Art von Dienstleistung sieht, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus.

Bei der Suche nach neuen Auslandsmärkten und gleichzeitig billigeren Arbeitskräften verlagern immer mehr Firmen Arbeitsplätze ins osteuropäische Ausland oder die Türkei. Im Hinblick auf die Personalkosten, so der Branchenvertreter, böte "der Osten als Sprachmarkt" interessante Aussichten, da in vielen Ländern Deutsch die zweitwichtigste Fremdsprache sei und Französisch verdrängt habe. Sicherlich könne man nicht alle jener gut ausgebildeten Personen, auf die man angewiesen sei, für eine solche Tätigkeit gewinnen, aber in den Callcentern in Rumänien seien immerhin 95 Prozent der Beschäftigten Akademiker. Andererseits gingen viele gut ausgebildete Deutsche türkischer Herkunft wiederum in die Türkei, um dort Callcenter für den deutschen Markt zu eröffnen. Analog zum US-amerikanischen Markt sieht er viel Potenzial im Bereich des 'Ethno-Marketing', wenn unterschiedliche kulturelle Bevölkerungsgruppen gezielt in ihrer Muttersprache angesprochen werden.

 

"Man redet hier sehr, sehr viel mehr miteinander"

Welche berufliche Erfüllung ist nun aber mitarbeiterseitig von einer Anstellung im Callcenter zu erwarten?

Der Interviewerin gegenüber ist dem Geschäftsführer des Callcenters ungefragt bewusst, dass sich die Ansprüche, die Callcenter-Agents an ihre Tätigkeit stellen, im Kern sehr von seinen eigenen und vermutlich auch jenen der meisten anderen Berufstätigen unterscheiden. Und so bemüht er sich, gleich im Anschluss an die bereits früher angeführte Schilderung der Anforderungen auch die Vorteile herauszustellen, von denen seine Angestellten profitieren:

"Die [Beschäftigten] haben ein Team, das ähnlich kommunikativ gelagert ist; es sind alles Menschen, die gerne kommunizieren. Das macht den Umgang miteinander relativ leicht, weil Sie einfach nicht den stummen Fisch haben, bei dem Sie nicht wissen, wo Sie dran sind, sondern man redet hier sehr, sehr viel mehr miteinander. Die Pausen gestalten sich angenehmer. Die Geschwindigkeit, in der Teamintegration stattfindet, ist mit Sicherheit wesentlich höher als beim durchschnittlichen Unternehmen. Gut, Sie haben natürlich das große Glück, dass Sie am Tag ein-, zweihundertmal positive Gesprächserlebnisse haben, gerade wenn Sie bei der Gesprächsannahme arbeiten -- im sogenannten Inbound, wie wir das nennen. Da rufen die Leute an und wollen ja was von Ihnen. Dann können Sie einhundert-, zweihundertmal, -- je nachdem wie das getaktet ist, wie lang diese Gespräche sind -- ein positives Erlebnis für sich verbuchen. Ich habe was geschafft. Und wir haben den zusätzlichen großen Vorteil, Sie gehen -- je nachdem, wann Ihre Schicht vorbei ist -- um 17.00 Uhr nach Hause, und es gibt kein Problem, was Sie nicht fallabschließend lösen konnten! Sie nehmen mental nichts mit nach Hause! In einem Callcenter sind die Prozesse so angelegt, dass wenn der Hörer aufliegt -- vielleicht muss da noch eine Mail geschrieben, ein Folgeprozess angestoßen werden, ein Klick in der Datenbank, dass damit etwas zu geschehen hat -- aber für dich persönlich als Mitarbeiter ist das Problem vom Tisch! Das ist durchaus ein emotionaler Wert, der in ganz vielen anderen Bereichen eben so nicht gegeben ist. Selbst eine Kindergärtnerin geht nicht nach Hause und schaltet ab, sondern wenn die mit einem Kind nicht klargekommen ist, dann beschäftigt sie das: Was ist da bei den Eltern zu Hause los und dann -- also das hat schon auch seine Attraktivität."

Der Erhalt der Motivation wird auch dadurch beschworen, dass sich die Art der Dienstleistung zwischen Inbound und Outbound, Kundenbefragungen und Marktforschung abwechselt und man nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Produkten/Auftraggebern thematisch parallel zu tun hat. Dadurch ergeben sich "kontinuierliche Lernprozesse". Der Job bleibe attraktiv, "weil immer wieder was Neues hinzu kommt".

 

"Ich glaube, Call, wenn man es als Branche sehen kann, ist wahrscheinlich der repräsentativste Querschnitt durch den Bildungsstand Deutschlands"

Woher kommen nun die Menschen, die in deutschen Callcentern tätig sind?

Die Branche rühmt sich, Quereinsteigern aus allen möglichen Richtungen eine Chance zu geben. In vielen Fällen sind es nach wie vor Menschen, "die keine abgeschlossene Berufsausbildung, Studium oder sonst was haben", aber die "geistige Regheit" sowie die weiteren bereits angeführten Eigenschaften mitbringen, um die Anforderungen zu bewältigen. Nicht zufällig bietet gerade für Studierende eine Teilzeitbeschäftigung als Agent eine willkommene Gelegenheit, um Studium und Broterwerb unter einen Hut zu bringen. Und nicht selten wird daraus eine Anstellung auf Dauer. Aber auch bei denen, die einen Berufsabschluss mitbringen, geht es weniger um den Abschluss an sich als um den Nachweis, dass man "an einer Sache dran bleiben" kann. Als Beispiel für diese vorrangige Orientierung am "Erfahrungsschatz" und am "Können" im Gegensatz zum "Gelernt-Haben" erwähnt der Verbandsvertreter die erfolgreiche Integration von Langzeitarbeitslosen in Mecklenburg-Vorpommern, wo für Callcenter mit Unterstützung des Arbeitsamts gezielt Akquise betrieben wurde:

"70 Prozent der Leute, die heute in Mecklenburg-Vorpommern oben im Callcenter arbeiten, waren vorher Langzeitarbeitslose, mehrere Jahre arbeitslos. Keine Industrie, keine Branche hat denen irgendeine Chance gegeben, weil die Qualifizierung, die Ausbildungszeugnisse oder irgendwas nicht gestimmt haben. In der Callcenter-Branche ist es nicht so, dass jetzt die zu sonst nichts mehr Taugenden dort eingestellt wurden, sondern es wurden andere Fähigkeiten in den Mittelpunkt gerückt, und da waren sie gut!"

 

Callcenter als "Pool für die Übriggebliebenen"?

Zwar gibt es bereits erste Absolventen der spezifisch für die Callcenter-Branche eingeführten Ausbildungsberufe, diese machen jedoch noch einen verschwindend geringen Prozentsatz der dort Beschäftigten aus; vielen Unternehmen ist die Existenz dieser neuen Berufsbilder auch noch nicht einmal bekannt. Das zeigt sich auch an den Aussagen des Geschäftsführers, der davon ausgeht, dass kaum jemand gezielt mit diesem Berufswunsch seine berufliche Ausbildung einschlägt:

"Es ist ein Beruf, der ein bisschen artentfremdet ist, weil es dafür keine Grundlagenausbildung im klassischen Sinne gibt. Es gibt niemanden, der sagt: 'Ich steck jetzt mal vier Jahre in meine Ausbildung, weil ich danach Callcenter-Manager werden möchte.' So einen beruflichen Werdegang werden Sie in Deutschland nicht finden."

Stattdessen habe man es mit Menschen zu tun, denen es aus irgendeinem Grund nicht gelungen ist in dem Beruf, den sie ursprünglich erlernt haben, "einfach Karriere zu machen":

"Was wir hier haben, sind ganz häufig Menschen, die in dem, was sie erlernt haben, nicht erfolgreich sind. Vielleicht haben sie das Falsche gelernt, vielleicht hatten sie den falschen Vorgesetzten. Menschen, die diesem kontinuierlichen Strang folgen, die in dem was sie tun, in ihrem Verständnis Erfolg haben, werden sich nicht auf einen Job in einem Callcenter bewerben. Sondern das sind eben häufiger Menschen, die eben genau das noch nicht gefunden haben, was ihnen Freude macht."

In dem Unbehagen, das das von der Interviewerin eingebrachte Etikett "Quereinsteiger" bei ihm auslöst, drückt sich möglicherweise auch die Ambivalenz seinem eigenen beruflichen Werdegang gegenüber aus:

"Aber dieser Begriff der, des Quereinsteigers... Es hat so ein -- weil es ein bisschen nach, in der Übersetzung 'Ihr seid doch der Pool für die Übriggebliebenen', ja. Deshalb versuche ich, um diesen Begriff herumzuscheren, aber es gibt eben Menschen, die nicht das Glück hatten, den Beruf zu finden während der Ausbildungszeit, der ihnen wirklich final Freude bereitet, ja. Ich bin gelernter Hotelkaufmann, das hat damit nichts zu tun. Aber was hätte ich denn sonst lernen sollen? Was wäre ein Beruf gewesen, wo ich nicht Quereinsteiger geworden wäre? Es gibt den Beruf nicht. Oder es gibt eben nur Quereinsteiger."

 

Dienst am Kunden als Profession?

Was für ein Bild nun entsteht aus diesen Aussagen aus der Binnensicht einer wachsenden Dienstleistungsbranche für den äußeren Betrachter?

Die Kerntätigkeit eines Callcenter-Agent ist durch möglichst knappe, aber folgenreiche Kontakte zu einer Vielzahl von Menschen, den sogenannten Kunden, geprägt, denen er oder sie nur virtuell über die Stimme oder vielleicht noch per E-Mail begegnet. Dabei sind die Kunden so unterschiedlich wie die Aufträge, um deren Erfüllung es jeweils geht. Kundenkontakt ist das A und O, Agents sind Dienstleistungsbeschäftigte on the front line, aber doch besteht kein unmittelbarer Kontakt; alles ist technikgestützt, und das möglicherweise unliebsam Sinnlich-Physische am Gegenüber lässt sich weitgehend ausblenden. Es gilt, den eigenen Atem ruhig und sich dessen vorgebrachte Schwierigkeiten "vom Hals" zu halten. Aber eben doch nicht so ganz, und gerade hierin besteht die spezifische Herausforderung: Für eine gute Tagesbilanz kommt es darauf an, mit hochgradiger Aufmerksamkeit blitzschnell den Kunden einzuschätzen und die akustisch wahrgenommenen Signale nicht nur explizit verbal, sondern auch implizit zu interpretieren und emotional kompetent im Sinne des Kunden, wie strategisch kompetent im Sinne der vorgegebenen Marketingziele zu reagieren; anders gesagt: "gut drauf" zu sein, vertrauensbildend zu wirken und zu einer hohen first call resolution rate beizutragen. Eine Anforderung, der nicht mit Standardlösungen begegnet werden kann und die somit auf die Individualität und Kreativität des oder der einzelnen Agent zwingend angewiesen ist. Analog des von Michel Foucault verwandten Bildes vom Panoptikum in Überwachen und Strafen implementieren Callcenter Coaching, Stressmanagement und andere Techniken im Sinne von 'Selbsttechnologien', die Subjektivität einspannen, formieren oder gar konstituieren, so die These postmoderner Diskursanalytiker der Dienstleistungsgesellschaft. Die Kontrolle über das Monitoring tritt den Körpern, Emotionen und Stimmen der Arbeitenden näher. Sie werden zum Teil des Produkts und Designs.

Jene, die in Inhouse-Callcentern arbeiten, mögen sich vielleicht noch mit den von ihnen vermarkteten Produkten identifizieren und in deren Einsatz auch praktisch auskennen. Wie sieht es aber mit jenen aus, die in selbständigen Callcenter-Unternehmen verschiedenen Herren dienen, und wie zitiert, von Babykleidung zu Mineralöl umschwenken müssen, und das vielleicht von einem Anruf zum nächsten? Worauf sind sie stolz, wenn sie ihr Tagewerk erledigt haben? Welches ist der Kern ihrer Beruflichkeit, wenn Kundendienst gewissermaßen zum Selbstzweck wird, oder sollte man hier über die Bezeichnung "Job" besser nicht hinausgehen? Ist es auf Dauer tatsächlich befriedigend, sich auf keinen seiner täglichen Gesprächspartner näher einlassen zu müssen? Die anhaltend hohe Fluktuation der Beschäftigten spricht eine andere Sprache. Zwar ist es den Unternehmen gelungen, spezifische Ausbildungsberufe zu etablieren, die von den Jugendlichen auch nachgefragt werden. Anders als andere neue Ausbildungsberufe, wie zum Beispiel die Mediengestalterin, hat dieser Beruf jedoch keinen historischen Vorläufer wie hier in der Schriftsetzerin, sondern konstituiert sich gänzlich neu, ist quasi wurzellos. Es gibt Stimmen, die angesichts der Existenz von Callcentern in nahezu allen Wirtschaftszweigen und der Vielzahl der vertriebenen Produkte den Begriff der Callcenter-Branche selbst in Frage stellen. Ganz abgesehen von der "Negativ-Publicity, die über diese Branche stattgefunden hat", so der Geschäftsführer im Interview, weil zu Unrecht ein paar schwarze Schafe mit dem gesamten Geschäftsfeld gleichgestellt worden seien. Insofern verwundern auch die Bemühungen beider Interviewpartner nicht, ihre Profession in ein gutes Licht zu stellen und die Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten zu betonen.

Wie sich all dies für die betroffenen Callcenter-Beschäftigten auf der täglichen Arbeitsebene selbst darstellt, kann man nur ahnen, denn die hier angeführten Aussagen geben die Sicht von zwei Führungskräften auf ihre Beschäftigten wieder und nicht jene der Beschäftigten selbst. Das sich darin manifestierende Menschenbild stimmt allerdings bedenklich. Da heben sich heutige deutsche Callcenter-Angestellte positiv hervor, weil sie aufgrund ihres hohen Bildungsstands in der Lage sind, in einen "ganzheitlichen Dialog" mit dem Kunden zu treten, und nicht länger mit "dressierten Affen" aus den Anfangsjahren des Geschäfts verglichen werden können. Zugleich sind sie angesichts der zahlenmäßigen Dimension, die es braucht, um über Kundenkontakte Gewinne zu erwirtschaften, auch nur "Produktionsmasse". Sie gleichen Druckmaschinen, deren gleichmäßige Auslastung rund um die Uhr zur spezifischen Herausforderung derer wird, die sich aus dieser Masse heraus emporgearbeitet haben.

Die Tätigkeit auf der Sachbearbeiter-Ebene scheint einerseits banal und stellt doch zugleich hohe Anforderungen. Statt der ursprünglich angestrebten Vereinfachung und Rationalisierung der Arbeitsvorgänge ergeben sich bei steigenden Kundenansprüchen zunehmend komplexere Arbeitssituationen, die durch weitere technische Lösungen immer nur bedingt entschärft werden können. Wie sich zeigt, profitiert die deutsche Callcenter-Branche hierbei von der Vielzahl an qualifizierten Menschen, die in Deutschland auf der Suche nach einem Erwerb sind und in ihren angestammten Berufen nicht haben Tritt fassen können und / oder gar nicht Vollzeit arbeiten können oder wollen. Dass Unternehmen von durchaus vorhandenen formalen Qualifikationen vordergründig absehen, ist dabei kein ganz neues Phänomen im Dienstleistungsbereich, so die Beobachtung der Soziologin Ursula Holtgrewe, sondern verweise auf ein Einsatzmuster, das im Bereich der Büroarbeit von Frauen "fast traditionell" ist:

"Hier findet sich -- etwa bei der Telefonvermittlung, dem Maschineschreiben, der Routinesachbearbeitung usw. -- ein Muster der Ausdifferenzierung und Rationalisierung von (mutmaßlicher) Routinearbeit, die dann durch tendenziell überqualifizierte Beschäftigte übernommen wird [...]. Deren mitgebrachte Qualifikationen werden dabei durch begrenzte Arbeitsmöglichkeiten entwertet, etwa durch die besonderen Arbeits- und Flexibilitätsbedürfnisse von Müttern. Die geforderten Kompetenzen, insbesondere die Kommunikationsfähigkeit, erscheinen hingegen als eher natürlich-weibliche Eigenschaften."

Die Parallelen zur Dienstleistung im Callcenter sind deutlich. Auch die hier Befragten schätzten die formale Qualifikation ihrer Beschäftigten als nicht so wichtig ein und stellten stattdessen die Persönlichkeitszüge in den Vordergrund. So verweist der Geschäftsführer wiederholt darauf, dass die "Befähigung zur Telefonie" die Einstiegsqualifikation sei, man Telefonieren aber nicht lernen könne, sondern das "Gen" dazu mitbringen müsse. Zwar wird dieses Gen nicht automatisch mit dem weiblichen Charakter in Beziehung gesetzt, aber faktisch sind Frauen, insbesondere Berufsrückkehrerinnen mit Kindern, in Callcentern in der Mehrheit. Wie zahlreiche empirische Studien von Holtgrewe u.a. belegen, wird Callcenter-Arbeit überwiegend von "nicht unqualifizierten Beschäftigten" geleistet, nur werden deren Qualifikationen nicht offiziell honoriert, d.h. sie haben keinerlei Relevanz für die Entlohnung. So lag der durchschnittliche Stundenlohn für unbefristet Beschäftigte im Jahre 2005 bei 11,30 Euro. Besonders lukrativ für die Unternehmen wirkt sich hierbei der Einsatz von Studierenden aus, denn ihre höhere Allgemeinbildung kompensiert nicht nur Teile des allgemein anfallenden betriebsinternen Trainings, sondern ist auch eine gute Voraussetzung, um dem wachsenden Technisierungs- und Komplexitätsgrad bei der Arbeit standzuhalten. Callcenter mit einem hohen Technikeinsatz und besonderen Beratungs- und Problemlösungsansprüchen in der Kundeninteraktion favorisieren diese Beschäftigtengruppe abgesehen von ihrer zeitlichen Flexibilität auch aufgrund der Fähigkeit, sich schnell neues Wissen anzueignen und es überzeugend zu kommunizieren.

Schockierend ist nicht zuletzt, dass beide Gesprächspartner die permanente Optimierung der Mitarbeiterleistung auf der Basis von Monitoring und Coaching sowie Maßnahmen zur Gesunderhaltung als 'Weiterbildung' auffassen. Hier ist ihre Perspektive schlicht auf die eines Unternehmers beschränkt, der an die 'Qualitätssicherung' denken muss, hat mit beruflicher Kompetenzentwicklung und der Eröffnung von Aufstiegsmöglichkeiten für den Einzelnen im eigentlichen Sinne des Konzepts Weiterbildung jedoch nichts gemein.

Welche Strategien Beschäftigte nutzen, um trotz all dieser Widrigkeiten ihre Menschlichkeit zu bewahren, lohnte jedenfalls der separaten Ergründung. So sorgte kürzlich ein Mitarbeiter der Bestellannahme des Teleshoppingsenders QVC für Aufsehen, weil er jeden Käufer missionarisch mit den Worten "Jesus hat Sie lieb, vielen Dank für Ihren Einkauf bei QVC und einen schönen Tag" verabschiedete hatte. Seine Klage gegen die daraufhin ausgesprochene Kündigung beim Arbeitsgericht wurde abgewiesen. Und so sei abschließend -- und jeglicher Herablassung den Protagonisten dieses Dienstleistungsmarkts gegenüber, sei es Agent oder Führungskraft, vorbeugend -- nochmal daran erinnert, dass wir alle stets selbst auch Kundinnen und Kunden sind und über unseren Konsum zu diesem ambivalenten Geschäft beitragen.

Nachbemerkung: Dieser Beitrag ist ein Nebenprodukt aus einem Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Berufsbildung zur Qualifizierungs- und Rekrutierungspraxis deutscher Unternehmen. Dazu wurden im Frühjahr und Sommer 2009 25 leitfadengestützte Interviews mit Betriebs- und Verbandsvertretern aus elf verschiedenen Branchen geführt. Bei der Auswertung nahmen die zwei in der Callcenter-Branche geführten Interviews sowohl von den hier thematisierten Arbeits- und Qualifizierungsbedingungen der Beschäftigten als auch von der sprachlichen Darstellung eine Sonderrolle ein. Es entstand der Wunsch, einmal abseits regulärer Forschungspublikationen einem weiteren Publikum mit Hilfe von direkten Auszügen aus dem Transkriptionsmaterial von insgesamt zwei Stunden und 38 Minuten einen Eindruck von der Binnensicht zweier Führungskräfte auf dieses Tätigkeitsfeld zu vermitteln.

 

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Anke Bahl stammt aus dem Norden Deutschlands und studierte Empirische Kulturwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Tübingen und Eugene, Oregon. Inzwischen ist sie im Rheinland zu Hause und lebt in Bonn. Nach Tätigkeiten im Bereich der Medienforschung und Europäischen Jugendbildung ist sie nun schon viele Jahre in der Beruflichen Bildung unterwegs. Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Betrieblichen Bildung und Ausbildungskultur. Verschiedene Veröffentlichungen.

 

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