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no. 19: worte, worte, worte
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"Ganz meiner Meinung?"Unterwegs im Grenzgebiet zwischen Überzeugen und Überreden |
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von Tobias Feifel |
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Fühlen Sie sich auch manchmal nach einer Diskussion bevormundet, über den Tisch gezogen oder gar überrumpelt? Sie tun nach einem Gespräch hin und wieder etwas, was Sie eigentlich gar nicht wollten, obwohl Sie doch eigentlich die freie Wahl hatten? Sie wollten schon immer mal wissen, wie Sie in Argumentationen schneller vorankommen? Dann sollten Sie diesen Artikel lesen: Er beschäftigt sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Persuasionsformen 'Überzeugen' und 'Überreden'. Und hinterher wissen Sie dann auch, daß das alles in unserem alltäglichen Handeln nicht so einfach zu trennen ist. |
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Neulich klingelt's an der Tür. Eine ältere Frau steht davor -- Kittelschürze, Kopftuch, nur noch wenige Zähne: "Mögen Sie Äpfel?" Drei Minuten später hab ich ihr fünf Kilo abgekauft. Und das, obwohl ich eigentlich genau weiß, daß der Verzehr von Äpfeln meiner momentanen Allergie nicht gerade zuträglich ist. Und außerdem fünf Kilo? Eigentlich mag ich ja Äpfel. Aber ich fahr' doch in einer Woche in Urlaub. Wer soll die eigentlich essen? Solche Situationen kennt vermutlich jeder in der einen oder anderen Art: Man redet mit Leuten und tut dann etwas, was man eigentlich gar nicht wollte. Zusätzlich hat man noch das ungute Gefühl, selbst "schuld" zu sein, denn es hat einen ja niemand dazu gezwungen. Man hat sich doch selbst dafür entschieden. |
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Gewöhnlich reklamiert man dann für sich: "He, da bin ich aber überredet worden." Gut, der Vorgang hat jetzt einen Namen, an der Situation ändert sich trotzdem nichts. Also, wo deponier' ich jetzt meine fünf Kilo Äpfel? |
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Bekommen Menschen miteinander zu tun und müssen ihr Handeln aufeinander abstimmen, gibt es unterschiedliche Ansichten, Meinungsverschiedenheiten, Interessensgegensätze -- kurzum: Konflikte. Zivilisierterweise bemühen sich die Beteiligten, diese Konflikte verbal zu lösen. Man fängt an, für seine Position zu argumentieren und versucht den anderen von seiner Sichtweise auf den Konflikt und die Lösungsmöglichkeiten zu überzeugen. Wenn er nur die Welt mit meinen Augen sähe, verstünde er meine Meinung und müßte sich ihr in der Folge anschließen, so das zugrunde liegende Kalkül. Und oft genug funktioniert das auch so. Die Beteiligten gehen auseinander und sind einigermaßen zufrieden mit der gefundenen Lösung. Aber offensichtlich hat das honorige Überzeugen ein häßliches Geschwisterchen: das Überreden -- auch nur Wortwechsel, und doch hängt da irgendetwas schief hinterher. |
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Gemeine Gemeinsamkeiten | ||||
Da wir häufig in der konkreten Kommunikationssituation nicht einmal richtig merken, ob wir überredet oder überzeugt werden, müssen sich die beiden Phänomene in mancherlei Hinsicht ähnlich sein. |
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Überzeugen und Überreden sind Formen der persuasiven Kommunikation (im folgenden zusammengefasst unter dem Begriff Persuasion). Ausgangssituation von Persuasion ist -- wie bereits erwähnt -- ein realer oder gedanklich vorweggenommener Konflikt darüber, wie in einer gemeinsamen Situation weiterverfahren werden soll. Die grundlegende Funktion von Persuasion dabei: Einflußnahme auf die Beteiligten, um eine Entscheidung im Konflikt herbeizuführen. Ziel der Einflußnahme ist es, daß ihr Adressat seine Interpretation der Realität verändert, und zwar im Sinne des Persuierenden. |
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Persuasion hat ihren Wirkungsort im Lebensalltag von Menschen. Was das bedeutet, zeigt sich besonders gut im Kontrast zu einer anderen, vermeintlich ähnlichen Kommunikationsform: dem wissenschaftlichen Diskurs. Wissenschaft kann über Theorie- und Modellbildung die Komplexität der betrachteten Phänomene reduzieren. Innerhalb der selbstgesetzten theoretischen Rahmen kann sie zu logisch konsistenten und damit wahren Aussagen kommen, aber eben nur für die von diesen Rahmen ausgewiesenen Bereiche. Dabei steht ihr als System quasi unendlich viel Zeit zur Verfügung. Menschlicher Lebensalltag ist anders: Der Mensch muß sich bei seinen Interpretationen und Schlußfolgerungen mit den Unwägbarkeiten einer überkomplexen Lebenswelt auseinandersetzen. Er verfügt -- je nach Situation -- über mehr oder weniger eingeschränktes Wissen; das heißt, er stellt Annahmen darüber an, wie sich etwas verhalten könnte. Diese Annahmen können nicht streng logisch wahr sein, sondern nur wahrscheinlich. Mit den daraus gezogenen Schlußfolgerungen verhält es sich natürlich nicht anders. Ein weiterer Unterschied des Lebensalltags zur Wissenschaft besteht zudem darin, daß der Mensch als Einzelner nur über limitierte Zeit verfügt. Überdies ist der Mensch in seinen alltäglichen Entscheidungen immer ganzheitlich involviert: Während in der wissenschaftlichen Argumentation einzig die korrekte logische Herleitung zählt, bringt der Mensch in die argumentative Bewertung von Situationen immer sowohl seinen Verstand als auch seine Emotionen ein. Also: Der Mensch muß seine Entscheidungen auf Grundlage von mehr oder weniger plausiblen Meinungen, im Lichte individueller Gefühle und unter Zeitdruck fällen. |
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Der Persuasionsvorgang kommt zu einem Ende, wenn von den beteiligten Personen eine Entscheidung getroffen wurde, wie es mit dem Konflikt weitergehen soll. Ist eine Entscheidung für ein gemeinsames Fortfahren zwingend nötig, müssen sich die beteiligten Parteien auf eine gemeinsam getragene Lösung einigen. Ist das gemeinsame Weiteragieren nicht nötig, kann die Entscheidung auch darin bestehen, sich anderen Dingen zuzuwenden und den Konflikt ungelöst auf sich beruhen zu lassen. |
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Das eigentlich Spannende geschieht natürlich zwischen Konflikt und Entscheidung. Wie macht einer dem anderen seine Sichtweise auf Konflikt und Lösungsmöglichkeit plausibel? Die Grundstruktur des Plausibilisierungsvorgangs besteht darin, daß das, was in einer Konfliktsituation in der Gemeinschaft der Beteiligten als problematisch gilt, in etwas gemeinschaftlich Geltendes überführt wird, und zwar -- und das ist der eigentliche Dreh -- indem mit der persuasiven Äußerung auf bereits gemeinschaftlich Geltendes Bezug genommen wird. Ein simples Beispiel macht diesen Zusammenhang deutlich: "Warum soll ich bei Ihnen diese Äpfel jetzt kaufen?" (das Problematische), "Weil sie in der Region angebaut wurden." (die persuasive Äußerung). Die persuasive Äußerung kann ihre Wirkungskraft jedoch nur entfalten, wenn in der Kommunikationsgemeinschaft die Annahme geteilt wird, daß, wenn man schon einmal Äpfel kaufen kann, die in der Region angebaut wurden, man diese auch kaufen sollte. Wird diese Meinung nicht geteilt, verpufft die persuasive Äußerung als Geräusch. Vielleicht jedoch würde eine andere verfangen, bei der von günstigem Preis oder naturbelassenem Anbau die Rede wäre. Im Persuasionsprozeß versucht also der Persuierende, das in der Gemeinschaft Fragliche als Einzelfall eines bereits akzeptierten Zusammenhangs auszuweisen. Wo aber kommen diese bereits akzeptierten Meinungen her? Sie sind Ergebnis des Sozialisationsprozesses, den ein jeder zwangsläufig durchläuft, sobald er sich in einer Gemeinschaft von Menschen zurechtfinden muß. Diese Glaubensannahmen hat der Einzelne irgendwann akzeptiert. Sie weisen ihn als einer spezifischen Gemeinschaft zugehörig aus. Im Persuasionsvorgang werden sie dann als Abkürzungen des Hinterfragungsvorgangs eingesetzt. Natürlich kann man diese ebenfalls wieder zum Gegenstand eines Konflikts machen: "Warum soll man Äpfel kaufen, die in der Region angebaut werden?" Marschiert man auf diesem Weg der Problematisierung weiter, wird es immer abstrakter und man bekommt es mit grundlegenden Glaubenssätzen und Werten zu tun, die der Einzelne sich irgendwann einmal angeeignet hat, um sich in einer bestimmten Gemeinschaft bewegen zu können. Die Kombination von Glaubensätzen, die der Einzelne akzeptiert, macht ihn aber gleichzeitig auch wieder zum Individuum. Ich gehöre ja nicht nur zur Gemeinschaft der Lebensmittelkäufer, sondern auch noch zur Gemeinschaft der Computernutzer, der Anhänger bestimmter politischer Sichtweisen etc. |
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Die antike Rhetorik respektive Aristoteles hat bei der Untersuchung von Persuasionsvorgängen drei Dimensionen der Persuasion identifiziert: ethos, logos und pathos. Sie spiegeln wieder, daß der Mensch eben nicht nur eine Denkmaschine ist, sondern auch von seinen Gefühlen umgetrieben wird. Es reicht also nicht, auf der rationalen Ebene (logos) seine Meinungen zu plausibilisieren, sondern man muß auch die gefühlsmäßigen Bewertungen (pathos) des Konflikts synchronisieren. Eine besondere Rolle kommt dabei der Wahrnehmung des Persuierenden als vertrauenswürdige, glaubwürdige Person (ethos) seitens des zu Beeinflussenden zu. Diese Wahrnehmung ist das Fundament eines jeden Persuasionsprozesses. Ist sie nicht vorhanden, können auch die anderen beiden Dimensionen ihre Wirkung nicht so recht entfalten. Der ironische Spruch "Würden Sie bei diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?" demonstriert diesen Zusammenhang aufs Deutlichste. Alle drei Dimensionen müssen in der Persuasion im Zweifelsfall (im wahrsten Sinne des Wortes) in gemeinschaftlich Geltendes überführt werden, sonst kann sie keine Übereinstimmung stiften. |
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Aristoteles hat mit dem Wissen um die drei Überzeugungsdimensionen den Versuch unternommen, typische Grundlagen von Persuasionsmitteln -- also das gemeinschaftlich Geteilte -- zu sammeln und zu systematisieren. Heraus kamen auf der Vernunftseite ein Katalog mit grundlegenden Denkfiguren, und auf der Gefühlsseite eine Übersicht verschiedener Emotionen inklusive ihrer persuasiven Verwendbarkeit. Er hat dabei weit von seiner historischen Situation abstrahiert, daß das Meiste auch heute noch Gültigkeit beanspruchen kann -- zumindest für die Personen, die in der Gemeinschaft der durch westliche Denkart geprägten Menschen sozialisiert wurden. |
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Sowohl Überzeugen als auch Überreden operieren als Formen der Persuasion auf dem Fundament dieser Wirkungszusammenhänge von Kommunikation, Kognition und Emotion. Daher sind sie sich ähnlich. Worin aber unterscheiden sie sich? |
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Hier riecht doch etwas seltsam | ||||
Die beiden Persuasionsformen Überzeugen und Überreden unterscheiden sich vor allem in der jeweiligen Haltung, die ein Persuierender in ein Gespräch hineinträgt: Wer überzeugen will, fragt nach dem, was an einem problematischen Sachverhalt wahrscheinlich ist. Es geht ihm darum, in einer Konfliktsituation Glaubwürdiges zu finden (also das, was das Gegenüber zu akzeptieren bereit ist), und so zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Überzeugen ist in seiner Grundstruktur also paradox: Der Überzeugende übt Einfluß auf den zu Überzeugenden aus, indem er ihm Glaubwürdiges präsentiert, das sich dieser aber durch Prüfung und Nachvollzug des Arguments zu eigen macht, und er daher selbstbestimmt die Konsequenzen daraus zieht: zum Beispiel eine Bewertung zu übernehmen oder auf eine bestimmte Art zu handeln. Indem der Überzeugen-Wollende seinem Gegenüber die Freiheit des selbstbestimmten Nachvollzugs einräumt, muß er auch mit der Möglichkeit rechnen, daß er trotz aller Bemühungen scheitert. Wer hingegen überreden will, möchte um jeden Preis sein Interesse durchsetzen. Es geht nicht -- wie beim Überzeugen -- um die Qualität der Problemlösung, sondern allein um den Willen des Überredenden. Während das Überzeugen von seiner Anlage her ein ergebnisoffener Prozess ist, in dem nach Glaubwürdigem gesucht und es nur möglicherweise gefunden wird, schließt die Überredung die Möglichkeit des Scheiterns von ihrer Intention her aus. Für den Überreden-Wollenden ist die Sache von vornherein entschieden. Da es für ihn um die Durchsetzung eines egoistischen Ziels geht, möchte er das Scheitern des Beeinflussungsprozesses ausschließen. Er überredet, weil er das Risiko einer womöglich scheiternden Argumentation gerade nicht eingehen möchte. |
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Überreden und Überzeugen unterscheiden sich demzufolge auch in der Wertschätzung, die der Sprecher dem Hörer entgegenbringt. Beim Überzeugen handelt es sich um einen gemeinschaftlichen Prozess: Der Überzeugen-Wollende sucht nach möglicherweise Glaubwürdigem und übergibt es seinem Gegenüber zur Prüfung und eventuellen Annahme, damit sich dieser aus freien Stücken für eine Überzeugung entscheidet. Der Überzeugen-Wollende und der zu Überzeugende sind gleichberechtigt. Der Eine begreift den Anderen als gleichwertigen Partner, dem er Autonomie zugestehen muß. Beim Überreden dagegen wird die Autonomie des Gegenübers bewußt nicht berücksichtigt, da der Überreden-Wollende ein beschlossenes Eigeninteresse durchsetzen möchte. Das Gegenüber wird instrumentalisiert, wird zum puren Mittel degradiert, um einen Zweck im Sinne des Eigeninteresses des Überredenden zu erreichen. Beim Überreden wird mit dem Gegenüber etwas gemacht, unabhängig von dem, was dieser möchte oder nicht. Insofern ist es eine Form von Machtausübung. So gut es auch gemeint sein mag: "Ein Löffelchen für die Mama." respektiert eben nicht die Unlust hinsichtlich der Nahrungsaufnahme, sondern will möglichst schnell den Teller leer bekommen. |
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Möchte jemand überzeugen, ist er auf die Mitwirkung seines Gegenübers angewiesen. Jener soll schließlich seine Argumente nachvollziehen. Mitwirken wird das Gegenüber aber wohl nur, wenn es das verhandelte Thema als relevant für sich erkannt hat. Den Weg des Überredens hingegen wird einer vor allem wählen, wenn er annimmt, daß das Thema für das Gegenüber nicht wirklich wichtig ist, zumindest nicht so sehr wie für ihn selbst. |
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Die Werbepsychologie hat sich zu diesem Punkt viele Gedanken gemacht. Je breiter die Werbung ihre Botschaften streut, desto mehr hat sie mit dem Problem zu kämpfen, daß eine Vielzahl der Rezipienten sich für ihr Thema nicht wirklich interessiert und daher nicht an einem Überzeugungsprozeß mitwirken will. Möchte Werbung dennoch mit diesen Menschen in Kontakt kommen, muß sie sich entsprechende Strategien überlegen. Das 'Elaboration-Likelihood-Model' ist eine Theorie der Werbepsychologie, die ihre Aussagen anhand des Merkmals 'Involviertheit des zu Persuierenden mit dem Thema' entwickelt. Sie geht davon aus, daß es zweierlei Grundsituationen in der Kommunikation gibt: Das Gegenüber ist entweder stark oder schwach in ein Thema involviert. Je nach Involviertheit verarbeiten Menschen Informationen, mit denen sie konfrontiert werden, unterschiedlich. Sind sie stark involviert, verarbeiten sie sie systematisch. Sie haben innerhalb des Themas ein großes Orientierungsbedürfnis und sind gedanklich aktiv. Persuasion erreicht die Involvierten vor allem über rationale Argumentation, also mittels der Dimension des logos. Ethos und pathos stehen dagegen eher im Hintergrund. Das Ergebnis systematischer Verarbeitung gelungener Persuasion: dauerhafte Einstellungs- und Verhaltensänderung. Ist das Gegenüber jedoch schwach involviert, so ist das Orientierungsbedürfnis kaum vorhanden, und auch die gedankliche Aktivität hält sich in Grenzen. In einer solchen Situation verarbeiten Menschen Informationen heuristisch. Für sie wird plötzlich die Quelle der Information wichtig. Positiv wirkt es sich aus, wenn diese glaubwürdig, attraktiv oder sympathisch erscheint. In der Persuasion punktet nicht unbedingt das starke rationale Argument, sondern es kommt auf die Lebendigkeit der Darstellung, die Wiederholung und die Länge der Botschaften an. Während also die Überzeugungsdimension logos nicht sonderlich viel ausrichten kann -- das Gegenüber will ja nicht mitdenken -- können der gezielte Einsatz von ethos und pathos -- nichts anderes bewirkt nämlich "lebendige Darstellung" -- Einstellungs- und Verhaltensänderungen erzielen, allerdings eher solche vorübergehender Art. Dennoch können diese natürlich langfristige Konsequenzen haben. Die Persuasionsform, die die zentrale Route der systematischen Informationsverarbeitung einschlägt, entspricht dem weiter oben dargelegten Verständnis von 'Überzeugen', diejenige, die auf der periphere Route der heuristischen Informationsverarbeitung unterwegs ist, dem 'Überreden'. Während das Überzeugen die Attraktivität der Entscheidungsalternativen mittels vornehmlich rationaler Argumentation verändern möchte, will das Überreden diese vor allem mittels emotionaler Einflußnahme manipulieren. Zudem versucht das Überreden, den Entscheidungsablauf zu kontrollieren. Es stimuliert überhaupt erst einen solchen, versucht bereits getroffene Entscheidungen durch das Einführen neuer Alternativen zu verzögern oder beschleunigt ihn, indem mehr oder weniger willkürliche Ultimaten verkündigt werden. "Nur heute im Angebot." -- Wir kennen das alle. Außerdem hat das Überreden noch eine weitere recht erfolgsträchtige Strategie in petto, nämlich den eigentlichen Entscheidungsgegenstand zu verändern. Das Kind ißt das Löffelchen für die Mama, und wir fragen uns immer mal wieder, was wohl ein spärlich bekleideter Hintern mit den Vorzügen eines Bieres zu tun haben könnte. Hinschauen tun wir aber trotzdem. |
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"Wir erreichen jetzt das Grenzgebiet. Zu unserer linken ..." | ||||
"Ha", möchte man da ausrufen, "Herr Lehrer, Herr Lehrer, das ist unmoralisch." Sicher. Aber was, wenn das Ziel honorig ist? Was, wenn einfach nicht genügend Zeit vorhanden ist, sich im Kollektiv rational zu koordinieren? Und was ... Schon beginnen die Grenzen der feinsäuberlich gezogenen analytischen Trennung zu verschwimmen. Die "ideale Sprechsituation", die Habermas aufs Schild hebt, ist eben genau das: ein Ideal. Sie wird an allen Seiten von unseren schmutzigen, biologischen Daseinsbedingungen bedrängt. Mindestens eine davon hat uns unhintergehbar im Griff: Wir haben nicht genügend Zeit. Die Verkürzung von Entscheidungsprozessen, das ist die Antriebskraft der Überredung. Kurzfristigen Terraingewinn erzielen -- vielleicht reicht das ja schon aus, zumindest kann man von dort aus weitergehen. Und wenn wir darauf acht geben, werden wir in vielen vermeintlich hehren Überzeugungsprozessen kleine, übelriechende Momente entdecken. Bei manchen gelungenen Überredungen ist der Überredete womöglich hinterher sogar zufrieden damit, wie er sich entschieden hat. Überzeugen und Überreden gibt es in natura wohl selten in Reinform. Beide Modelle der Persuasion beziehen ihre Wirksamkeit aus den gleichen Bedingungen unserer Lebenswelt. Mal liegt auf der Waage der Persuasion mehr auf der rechten Seite, mal mehr auf der linken. Ob nun tatsächlich Überredung vorliegt oder Überzeugung, kann eigentlich nur derjenige sagen -- und zwar im Nachhinein -- der durch Beeinflussung seine Meinung oder sein Verhalten geändert hat. Die Äpfel hätte ich nicht kaufen sollen, und wenn die Alte noch so wenig Zähne hatte. |
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