DAS IST DAS ALTE JAHR DIE TRÄNE
quillt die Hunde bellen die Steine
unter meinen Füszen weinen das ist
das alte Jahr der Vogel hinter dem
vereisten Fenster pickt ich bin allein
ich denk an dich das ist das alte Jahr
kommst mir entgegen in der Stadt dein
Mantel weht es winkt die Hand das ist
das alte Jahr wir werden uns wiedersehn
Friederike Mayröcker ist, keineswegs nur für mich, eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste deutschsprachige Lyrikerin; sie gehört zu den mächtigsten Sprach-Zauberinnen, die je gelebt haben.
Uwe Tellkamp
Ihr Leben ist eine durch und durch poetische Existenz, in der sich der Alltag, das Lesen und das Schreiben in einer Kunstform zarter Wahrnehmung spiegeln. – Auch im Alter von siebenundachtzig Jahren hat ihr ,Augensehen‘ nicht nachgelassen.
Paul Jandl
Ihr Schreiben hat besonders in der Lyrik auch eine unüberhörbar akustisch-musikalische Dimension.
Klaus Ramm
Mayröckers Werk gleicht einem ausgedehnten Kosmos, in dem überall Sterne zu finden sind.
Elisabeth von Samsonow
Sie ist eine Wahrnehmungsvirtuosin, eine Meisterin in der Schule des Sehens, berufen zur Feier der Dinge, der Natur.
Ulrich Weinzierl
Sie erprobt immer neu die Übersetzbarkeit von Materie in Sprache, von Schichten des Draußen in geschichtete Sprache.
Jörg Drews
Friederike hat immer schon mehr gewagt als alle anderen.
Bodo Hell
Ihre proteushaften Texte folgen einer Jean Paul verwandten Ästhetik der Abschweifung, der Unvorhersagbarkeit des Würfelwurfs und des aleatorischen Springens, die durch eine ausgefeilte Schnittechnik erzielt wird.
Thomas Kling
Für den Leser stellt sich ein beglückender Effekt ein: kaum sichtbare Linien und geheime Fäden in einem feinmaschigen, schimmernden Netz zeigt Mayröcker auf – er lernt gleichsam sich selbst und seine eigene Welt neu sehen.
Alexander Cammann
Immer mit dem erklärten Ziel, die Sprache der Kirschblütenzweige zu lernen, so zart und zerbrechlich.
Peter Pisa
Ihre fragilen, dennoch streng und gewissenhaft bearbeiteten Notare gleichen Explosionserscheinungen. Die Elemente der Sprache, durchaus schockhaft gegeneinander gesetzt, beginnen einander in lockeren Gebilden wechselseitig zu erhellen.
Ronald Pohl
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Die Auswahl bietet – ganz Friederike Mayröckers Wunsch entsprechend – ein sensibles Bild ihres Werks ab den 60er Jahren bis zum Heute. Ihre fragilen, dennoch streng und gewissenhaft bearbeiteten Notate gleichen Explosionserscheinungen. Die Elemente der Sprache, durchaus schockhaft gegeneinander gesetzt, beginnen einander in lockeren Gebilden wechselseitig zu erhellen. „Mit ihrer obsessiven ,Schreibdrangseligkeit‘ schlägt sie dem Alter ein Schnippchen: Ihre Texte altern nicht. Vielleicht, weil sie immer aus Neu-Gier auf Welt entstanden sind; weil die Autorin jedem neuen Tag nachspürt, in Liebe und Leid, Verzückung und Demut. So stehen wir fassungslos vor ihrem Alter und freuen uns über das magische Junggebliebensein ihrer Arbeiten“, schreibt Walter G. Goes.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Sie lebt in Bildern, sieht alles in Bildern. Die Vergangenheit, Erinnerungen sind Bilder. Sie macht die Bilder zu Sprache, indem sie ganz hineinsteigt in das Bild. Sie steigt solange hinein, bis es Sprache wird. Ihre Texte entziehen sich dem rationalen Zugriff, sind ein poetisches, oft melancholisches Gespinst, sind Träume, die den Leser bezaubern. Sie schreibt in ihrer „pneumatischen Fetzensprache“, haucht alles in einer melancholischen Hast hin, im Ton einer entzückenden Leier, klagend und zugleich glücklich im Schreiben und nur noch im Schreiben. Es wird gerne übersehen, daß sie während vieler Jahre eine öffentlich wenig gelittene Dichterin war, ehe sie sich später als Prima inter pares etablieren konnte.
Aus Hilde Domin: Poesiealbum 309, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext 2013
Friederike Mayröcker lesend, kann man einer Dichterin gleichsam beim Wörtlichmachen des sinnlichen Erlebens zusehen; das Gedicht als aufgeladene Zone, durch die so vieles hindurchströmt: Traumschwaden, Nervenfiguren, momentan Wahrgenommenes, aus dem Gedächtnis Hervorbrechendes. Etwas Assoziationswunderbares, diese Poesie. Lange Verszeilen, die gar nicht enden wollen vor Atemschwall – eine Energie ist da, die ins Schweigen will, aber nur immer neue Worte gebiert. Die Österreicherin Mayröcker, die in diesem Jahr neunzig wird, ist eine Meisterin des rundum glänzenden Bruchstücks. Der irrwitzige, rätselhaft bleibende Gegenstand des Schreibens:
Erfahrungen die man nicht einbeziehen kann in das was man tut und tun wird.
Ihr Leben: ihr Schreiben – „im Elendsquartier“ ihrer Wiener Wohnung, mit „hereinwehenden Regengüssen“, und: „hier kann ich weinen niemand wird mich fragen“. Es ist, als sei just das verletzlichste, vergrabenste Wesen die unverrückbare Mitte in verwitternder, verschwindender Welt. Stolz, stur, stoßweise zornig oder zart. Umzingelt von Erinnerung, von all dem Gesehenen und Nichtgesehenen, dem nicht wirklich zu Ende Gelebten und Geliebten (immer wieder wird der Lebensmensch Ernst Jandl aufgerufen); man sitzt bei diesen Gedichten wie auf einem Berg, und es geht denkend, fühlend doch nur in die Tiefe. Tiefe ist Grund – zu erreichen einzig über den Mut, allen Abgründen zu folgen, sich ihnen zu überlassen. „Eine jauchzende Vergeblichkeit“: jener Trauer zu entrinnen, die in jedem Vers das Fazit bildet.
Das Feine von Mayröckers Wahrnehmungsart trifft auf das Körnige, Schmutzige der Realitäten, es findet eine fortwährende Umkreisung der Wirklichkeit statt; es scheint das große Existenzstiftende zu sein, der Realität zuzurufen, wie mühelos man sie verlassen könne mit den Kräften der Fantasie; die Ebenen verschwimmen, die Muster der Wirklichkeit lösen sich auf, nichts Gültiges bleibt, so baut sich Vertrauen auf in einen Pfad, der seine schönsten Bögen um Wegweiser und Ziele schlägt. Das schutzlose empfinden ist der Kontinent der Mayröcker, und sie ist eine innig Vertraute anderer ästhetischer Welten. Von Andy Warhol bis Peter Handke. In jener Bedrücktheit, ohne die eine wache Existenz nicht denkbar wäre, wirkt diese Dichterin doch aufreizend frei, wird unantastbar im Käfig der bedrängenden Dinge – und lebt doch im Einverständnis mit aller Aufhörlichkeit. Sie ist eine souveräne Müde, die den Satz aufschrieb:
ich muss nicht sterben, um außerhalb der welt zu sein, ich bin es schon.
Immer wird der Tod gefühlt in diesem Werk, aber er, auf den alles zuläuft, ist doch ohne Einschüchterungschance. Würde aber die Einsamkeit durch die Straßen gehen und gefragt, wie und wer sie denn sei, so bräuchte Einsamkeit nur auf die Mayröcker zu zeigen: Da, seht, so bin ich, das bin ich, so traurig, aber auch so schön, so stark, wie ein wahrnehmendes Wesen nur sein kann.
Herlinde Koelbl: Ihr Zimmer ist ja voller Dinge aus Ihrem Leben. Schreiben Sie schon lange hier?
Friederike Mayröcker: Dieses Zimmer ist meine Welt. Ich arbeite hier, ich schlafe hier und nehme zum Teil auch meine kärglichen Mahlzeiten hier ein, also ein Frühstück und eine Päckchensuppe zu Mittag. Es spielt sich eigentlich alles in dem Zimmer ab. Hier schreibe ich schon über vierzig Jahre; ich brauche es. Vor allem brauche ich meine Maschine und absolute Ruhe – es sei denn, ich stelle eine Bach-CD an. Ich habe an meiner Musikanlage eine Wiederholungstaste und spiele meistens das gleiche Stück. Ich kann auch seit Jahren nur in diesem Thonetsessel mit den Armstützen schreiben. Manchmal hat man so Augenblicke, in denen man ganz meditativ wird. Wenn ich gedanklich irgendeiner Spur folge, vielleicht einer Gefühlsspur, lehne ich mich zurück und stütze meine Arme auf – und da ist dieser Sessel genau richtig.
Koelbl: Wenn man Ihr Zimmer betritt, scheint man in eine andere Welt, in eine Höhle einzutreten. Es erinnert an eine Märchenwelt, in der nichts mehr real ist – so wie Ihre Prosa auch nicht real ist und keiner konkreten Phantasie zu entspringen scheint.
Mayröcker: Die Sachen, die ich schreibe, sind konkreter, als sie aussehen. Sie bekommen ihren Anstoß fast immer aus ganz realen Situationen, aus Wortmaterial, das mir entgegenspringt. Natürlich liegen sie auf einer anderen Ebene. Es ist das, was ich unter Magie verstehe. Das heißt, ich fange gar nicht erst an zu arbeiten, wenn ich in der Früh nicht spüre – was jetzt vielleicht blöd klingt –, dass ich selbst verzaubert bin. Wenn ich arbeite, befinde ich mich in einer anderen Bewusstseinslage. Alles verschiebt sich irgendwie. Es hat natürlich etwas mit Raserei, mit Sucht zu tun. Diese Maschine mit einem eingespannten Blatt lockt ungeheuer. Wenn ich weiß, ich kann morgen in der Früh weiterarbeiten, lockt es mich so sehr, dass ich mich schon heute auf die morgige Arbeit freue.
Koelbl: Wie entstehen Ihre Texte?
Mayröcker: Im Kopf arbeite ich immer. Ich ertappe mich oft dabei, dass ich einen Satz ununterbrochen wiederhole, bis ich ihn aufgeschrieben habe. Überall liegen Blocks und Stifte, denn wenn ich die Sachen in meinem Kopf nicht sofort fixiere, sind sie weg. Am liebsten und am besten arbeite ich in der Früh. Schon im Bett mache ich Notizen mit der Hand. Manchmal bin ich auch durch Lektüre angeregt, ich lese oft sehr früh am Morgen meine Lieblingsdichter. Sehr ergiebig sind auch die Träume, die mir ganze Sätze einsagen. Ich muss sie sofort aufschreiben; bis zum Morgen halten sie sich nicht. Das bedeutet natürlich eine gewisse Überwindung. Man muss das Licht aufdrehen und ganz bewusst aus dem Schlaf heraustreten.
Koelbl: Ist der Vorgang des Schreibens bei Gedichten und Prosa gleich?
Mayröcker: Er ist unterschiedlich. Wenn ich an einer großräumigen Prosa schreibe, hänge ich noch immer mit dem Vortagsergebnis zusammen, wenn ich in der Früh anfange. Ich füge diese Morgengedanken dann meistens mit der Maschine in den Prosaablauf ein. Das Gedichtschreiben ist ein bisschen anders. Es hängt sehr von der Stimmung ab, nicht nur von der psychischen, auch von der physischen. Wenn ich mich in der Früh nicht wohlfühle, weiß ich, dass der Tag für das Schreiben nicht gut ist. Dann mache ich andere Dinge. Ich bin eine sehr begeisterte Spaziergängerin. Ich brauche die Außenwelt. Ein schönes, rhythmisches Gehen hilft mir sehr; dabei fällt mir vieles wieder ein. Ich notiere meine Gedanken dann halt auf der Straße, auch wenn mich die Leute anschauen und mir das immer sehr unangenehm ist. Manchmal fällt mir während des Gehens die erste Zeile eines Gedichts ein. Entweder, es funktioniert weiter, dann habe ich das Gedicht sozusagen im Gehen geschrieben – oder es funktioniert nicht beim ersten Streich, dann kommt mir eine Fortsetzung zu Hause.
Koelbl: Gedichte schreiben ist also ein langsamer und sehr vielschichtiger Prozess?
Mayröcker: Es kommt vor, dass ich ein Gedicht innerhalb weniger Minuten fertig habe; oft beschäftige ich mich aber auch mehrere Tage damit. Es werden dann immer wieder Korrekturen von Korrekturen gemacht, bis die Sache wirklich einen Körper hat. Es muss alles stimmen, sonst wird es wieder weggelegt; dann muss man eben warten, bis der Moment kommt, in dem man es in den Griff kriegt. Bei Prosa habe ich ein anderes Gefühl an der Maschine als bei Gedichten. Mein Gedichteschreiben könnte ich vergleichen mit Aquarellieren, mein Prosaschreiben mit der Arbeit eines Steinmetzes, der mit aller Intensität und Kraft in eine Materie eindringt, die nicht so leicht zu durchdringen ist. Es gibt Phasen, manchmal über Jahre, in denen ich nur Prosa schreibe. Während dieser Zeit kann ich zwar einen Gedichtband zusammenstellen, „komponieren“, wie ich sage, aber viele neue Gedichte kann ich dann nicht schreiben.
Koelbl: In einem Gespräch mit der Zeitschrift du sagten Sie einmal: Schreiben ist Leben.
Mayröcker: Für mich ist es das. Schreiben schafft eine eigene Welt, die aber von der da draußen genährt wird, nicht von philosophischen Erkenntnissen. Das heißt, wenn ich die Welt draußen nicht habe, kann ich sie nicht in mich hereinlassen. Und was ich nicht hereinlassen kann, kann ich auch nicht wiedergeben, also nicht wieder herauslassen. Wenn ich mir vorstelle, es würde mich jemand einschließen und sagen, du darfst jetzt vierzehn Tage nicht heraus – es würde kein einziges Wort auf dem Papier stehen.
Koelbl: Sie sagten auch: Schreiben ist vermutlich die einzige Rettung, um nicht verrückt zu werden.
Mayröcker: „Verrückt“ ist übertrieben, aber wenn ich nicht schreiben könnte, wäre ich wahrscheinlich ein sehr unglücklicher Mensch. Ich hätte mich nie als weiblicher Partner bewährt, schon gar nicht als Mutter. So aber bin ich ein sehr glücklicher Mensch geworden. Und ich hoffe, dass ich das noch einige Zeit sein kann.
Koelbl: Brauchen Sie die Anerkennung von anderen?
Mayröcker: Wenn bei einer Lesung Menschen auf mich zukommen und mir zeigen, dass sie durch meine Texte glücklich geworden sind, dann freue ich mich darüber. Aber am nächsten Tag denke ich nicht mehr daran. Ich glaube, es trifft vor allem auf Ernst Jandl zu, dass er sehr geliebt wird. Wir waren unlängst nach dem Theater in einem Caféhaus, und auf einmal kommt eine hübsche, junge Dame auf ihn zu und sagt: Ich liebe Sie! – und geht wieder. Das hat ihn sehr gefreut. Er bekommt immer wieder Beweise, dass er geliebt wird. Aber mir sagt so etwas wenig.
Koelbl: Was ist Ihnen denn wichtig?
Mayröcker: Ich bin verrückt nach Sprache. Ich brauche Bücher, ich brauche Schweigen. Ich rede nicht gerne; ich fürchte mich vor jedem Besuch. Es ist für mich grauenhaft, weil ich nicht weiß, worüber ich reden soll – ich habe nichts zu reden. Das Einzige, was ich zu reden habe, schreibe ich. Es gibt ein paar Menschen, mit denen ich sehr gerne spreche. Dazu gehört natürlich Ernst Jandl, obwohl wir auch sehr viel schweigen.
Herlinde Koelbl: Schreiben!. 30 Autorenporträts, Knesebeck Verlag, 2007
Friederike Mayröcker im Interview mit Astrid Nischkauer am 8.3.2017 im Café Sperl
Protokoll einer Audienz. Otto Brusatti trifft Mayröcker: Ein Kontinent namens F. M.
Lesung Friederike Mayröcker im Deutschen Literaturarchiv Marbach am 17.5.1989
M ALLEINE
Wie es mich bewegt.
Dass sie behutsam umgehen will. Mit dem einen Jahr.
Das sie nicht kriegt. Nicht als Vorauszahlung und
aaaaaaaaaanicht. Im Nachhinein.
Weil es nicht mehr im Lager ist. Im Zeitlager erhältlich.
Weil er jetzt schon. Einige Monate. Bald ein Jahr. Tot ist.
Nicht mehr da.
Vielleicht auch schon gar keine. Hemden mehr im
aaaaaaaaaaSchrank. Hängen hat.
Weil sie alles. Rausgeholt hat. Und verteilt hat an
aaaaaaaaaaNackte. Oder das Rote Kreuz. Wie ihr der Geruch. Von
aaaaaaaaaaseinen letzten Tagen noch. Im Raum hängt.
Und wenn sie das Papiermeer. Besegelt in jeder
aaaaaaaaaaSchublade.
Findet sie nur noch mehr. Gründe auch noch Tage
aaaaaaaaaaspäter. Zu weinen.
Das hätte er nicht gerne. Gesehen.
Oder hätte ihm das gefallen. Das Weinen um ihn.
Immerhin war er auch nur ein Mann. Sie weint ihm
aaaaaaaaaaWorte hinterher.
Die sogar mich weinen. Machen.
Immerhin war er ein großer. Für das kleine Gedicht.
aaaaaaaaaaMit Witz.
Das tut ja am meisten weh. Das nicht mehr sprechen
aaaaaaaaaaund lachen können. Gemeinsam. Schließlich gab es
aaaaaaaaaaauch gute Zeiten.
In denen die Liebe. Wirklich wie Liebe ausgesehen hat.
Wie: Heute musst du nicht aufstehen. Ich geh früh mit
aaaaaaaaaadem Hund.
Wie: Heute siehst du richtig gut aus.
Wie: Ich liebe dich. Du riechst gut. Kochst gut. Liebst
aaaaaaaaaamich gut.
Mit dir ist es wie nach Jahren. Noch immer gut.
aaaaaaaaaaVertrautheit ist gut.
Warum bleibst du eigentlich bei mir.
Bin doch der Mopsmann. Du die dunkle Nachtmotte.
Von deiner Sorte gibt es keine mehr. Lieben ist wie im
aaaaaaaaaaSchrank den anderen festhalten. Bis das Lösegeld unter
aaaaaaaaaader Tür durchgeschoben wird.
Ich will behutsam mit meinem. Nichtjahr umgehen.
Schreibt sie wie einen Schwur.
Jetzt bleibt die Küche öfter kalt. Er hat es nie geglaubt.
aaaaaaaaaaAber Frauen würden nie so regelmäßig. Nur für sich
aaaaaaaaaakochen. Sie genügt sich selbst.
Manchmal nagt sie an einer Brotkruste. Ihren Fingern.
aaaaaaaaaaUnd von denen die Spitzen ab.
Ich kann sie sehen. Als ob ich ihr ins Küchenfenster
aaaaaaaaaastarren würde.
Vom Nebenhaus aus.
Ich sehe sie schreiben an überflutenden. Schreibtischen.
Bei denen keiner mehr weiß. Wo seiner anfängt. Ihrer
aaaaaaaaaaaufhört.
Die Papiere haben alles überdeckt. Abgedeckt. Jede
aaaaaaaaaaWunde trockengelegt.
Wie oft er sie angeschrien hat.
Wegen ihrer Haare. Ihrer Verse. Ihrer Dummheit.
aaaaaaaaaaHässlichkeit. Einfach so.
Und sie hat nie die Tür geschlossen. Nicht. Vor ihm.
aaaaaaaaaaNicht hinter ihm.
Wenn er aus seiner Wohnung. Zu ihr kam. Von ihr
aaaaaaaaaaging. In sein Loch.
Sie hat sich immer gesagt. Dass er sie liebt. Und ja
aaaaaaaaaaeigentlich gar nicht anders kann. Es gibt da dieses alte
aaaaaaaaaaFoto. Von ihm als Kind. Seiner Mutter und seinem
aaaaaaaaaaKinderteddy. Alle knien sie in seinem Schlafzimmer und
aaaaaaaaaabeten zum Jesus. Seine Mutter hat ihm immer gesagt.
aaaaaaaaaaDass das wichtig ist. Im Leben. Später für den Tod.
Jetzt sitzt sie da und. Kriecht in die Zwischenzeilen
aaaaaaaaaaseiner Gedichte.
Die er geschrieben hat. Wenn er aus ihrer Wohnung
aaaaaaaaaanach Hause ging.
Da in der Vertrautheit seiner Sprache. Ist es warm und
aaaaaaaaaanormal.
Und nicht so verdammt einsilbig. Sie weiß, wie viel.
aaaaaaaaaalyrisches Ich er ist. Und wie viel angesprochenes Du sie
aaaaaaaaaaist. Und wie viel Ironie Ernst und Erinnerung ist. Sie weiß
aaaaaaaaaaso viel.
Und er hat sie manchmal dumm genannt.
Sie sagt aus Hilflosigkeit.
Manchmal sind Männer ganz arm dran. Mit ihrer
aaaaaaaaaaSprache. Ihren Genitalien.
Die sie in Frauen schieben müssen. Um zu spüren.
aaaaaaaaaaDass die noch da sind. Und etwas bewegen können.
aaaaaaaaaaAuch ihre Wörter schieben sie. Eigentlich nur hinein. Der
aaaaaaaaaaKopf muss dann arbeiten. Sich bewegen.
Die Erinnerung ist halt noch frisch. Im Bad.
Wo er alle Tuben mitten am Bauch ausgequetscht hat.
aaaaaaaaaaUnd alle noch halb voll sind. Da ist er noch drin. Sagt
aaaaaaaaaasie sich.
Deshalb liegen die noch eine Weile länger herum.
Alle fragen nach ihm.
Manchmal kommen sogar noch Briefe. An ihn. Bei ihr an.
Warum schreiben Sie denn nicht. Jandl.
Ist Ihnen nicht gut. Hätten Sie Interesse an einem
aaaaaaaaaaSymposion für. Sprachexperimente.
Dann denkt sie wieder. Sie träumt. Von ihm. Hört.
aaaaaaaaaaErkennt ihn. Am Schritt die Treppen hochkeuchen.
aaaaaaaaaaSchon möglich. Als Kind war er ja so gläubig.
Sie schreibt sich ihren Namen. Mit Lippenstift.
Den sie nie aufgelegt hat. Auf den Badezimmerspiegel.
aaaaaaaaaaUnd auf den im Flur. Damit sie. Wenn sie den Gemüse-
aaaaaaaaaahändler trifft. Sagen kann. Dass sie die M und ohne
aaaaaaaaaaPartner ist. Und eigentlich wie ein Hund. Der noch Jahre
aaaaaaaaaaspäter auf das Stiegensteigen der anderen. Im Haus
aaaaaaaaaalauscht.
Wenn er ihr doch ein wenig Lärm hinter. Lassen hätte.
Die Ruhe kotzt sie an.
Der ist sie so richtig ausgeliefert.
Nackt und ohne Schminke.
So wie sie ihm. Immer am liebsten war.
Nora Gomringer
Im Juni 1997 trafen sich in der Literaturwerkstatt Berlin zwei der bedeutendsten Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik: Friederike Mayröcker und Elke Erb.
Daniela Riess-Beger: „ein Kopf, zwei Jerusalemtische, ein Traum“
Katalog Lebensveranstaltung : Erfindungen Findungen einer Sprache Friederike Mayröcker, 1994
Ernst Jandl: Rede an Friederike Mayröcker
Ernst Jandl: lechts und rinks, gedichte, statements, perppermints, Luchterhand Verlag, 1995
Bettina Steiner: Chaos und Form, Magie und Kalkül
Die Presse, 20.12.1999
Nico Bleutge: Das manische Zungenmaterial
Stuttgarter Zeitung, 18.12.2004
Klaus Kastberger: Bettlerin des Wortes
Die Presse, 18.12.2004
Ronald Pohl: Priesterin der entzündeten Sprache
Der Standard, 18./19.12.2004
Michael Braun: Die Engel der Schrift
Der Tagesspiegel, 20.12.2004.
Auch in: Basler Zeitung, 20.12.2004
Gunnar Decker: Nur für Nervenmenschen
Neues Deutschland, 20.12.2004
Jörg Drews: In Böen wechselt mein Sinn
Süddeutsche Zeitung, 20.12.2004
Sabine Rohlf: Anleitungen zu poetischem Verhalten
Berliner Zeitung, 20.12.2004
Michael Lentz: Die Lebenszeilenfinderin
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.12.2004
Wendelin Schmidt-Dengler: Friederike Mayröcker
Elfriede Jelinek, und andere: Wer ist Friederike Mayröcker?
Die Presse, 12.12.2009
Gunnar Decker: Vom Anfang
Neues Deutschland, 19./20.12.2009
Herbert Fuchs: Sprachmagie
literaturkritik.de, Dezember 2014
Andrea Marggraf: Die Wiener Sprachkünstlerin wird 90
deutschlandradiokultur.de, 12.12.2014
Klaus Kastberger: Ich lebe ich schreibe
Die Presse, 12.12.2014
Barbara Mader: Die Welt bleibt ein Rätsel
Kurier, 16.12.2014
Sebastian Fasthuber: „Ich habe noch viel vor“
falter, Heft 51, 2014
Marcel Beyer: Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag am 20. Dezember 2014
logbuch-suhrkamp.de, 19.1.2.2014
Maja-Maria Becker: schwarz die Quelle, schwarz das Meer
fixpoetry.com, 19.12.2014
Sabine Rohlf: In meinem hohen donnernden Alter
Berliner Zeitung, 19.12.2014
Tobias Lehmkuhl: Lachend über Tränen reden
Süddeutsche Zeitung, 20.12.2014
Arno Widmann: Es kreuzten Hirsche unsern Weg
Frankfurter Rundschau, 19.12.2014
Nico Bleutge: Die schöne Wirrnis dieser Welt
Der Tagesspiegel, 20.12.2014
Elfriede Czurda: Glückwünsche für Friederike Mayröcker
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014
Kurt Neumann: Capitaine Fritzi
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014
Elke Laznia: Friederike Mayröcker
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014
Hans Eichhorn: Benennen und anstiften
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014
Barbara Maria Kloos: Stadt, die auf Eisschollen glimmt
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014
Oswald Egger: Für Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014
Péter Esterházy: Für sie
Manuskripte, Heft 206, Dezember 2014
Einsame Poetin, elegische Träumerin, ewige Kinderseele
Die Presse, 4.12.2017
Claudia Schülke: Wenn Verse das Zimmer überwuchern
Badische Zeitung, 19.12.0219
Christiana Puschak: Utopischer Wohnsitz: Sprache
junge Welt, 20.12.2019
Marie Luise Knott: Es lichtet! Für Friederike Mayröcker
perlentaucher.de, 20.12.2019
Herbert Fuchs: „Nur nicht enden möge diese Seligkeit dieses Lebens“
literaturkritik.de, Dezember 2019
Claudia Schülke: Der Kopf ist voll: Alles muss raus!
neues deutschland, 20.12.2019
Mayröcker: „Ich versteh’ gar nicht, wie man so alt werden kann!
Der Standart, 20.12.2019
Friederike Mayröcker – Trailer zum Dokumentarfilm Das Schreiben und das Schweigen.
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