Olga Grjasnowa: "Der Russe ist einer, der Birken liebt"
Die Geschichte einer
Generation, die weder Grenzen kennt, noch eine Heimat hat
Das vorliegende Buch ist sicher eines der bemerkenswertesten Romandebüts des
Jahres 2012. Die anno 1984 in Baku, Aserbaidschan, geborene Olga Grjasnowa
hat es geschrieben und mit der Hauptfigur des Buches auch viel von ihrem eigenen
Leben erzählt beziehungsweise verarbeitet.
Als Kind erlebte sie die blutigen Kämpfe zwischen Aserbaidschanern und Armeniern
(Berg Karabach), kam als jüdischer Kontingentflüchtling mit ihren Eltern nach
Deutschland und lebte dort in einer hessischen Kleinstadt in der Nähe von
Frankfurt. Sie spricht mehrere Sprachen, hat schon viele Preise und Stipendien
erhalten, ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig und blickt
auf längere Auslandsaufenthalte in Russland,
Polen und Israel zurück.
Mit der Geschichte von Maria Kogon, auch Mascha genannt, hat sie ein
deutlich autobiografisches Buch veröffentlicht, das sehr eigensinnig einen neuen
literarischen Ton anschlägt und zu Recht von vielen Kritikern gelobt wurde.
Mascha lebt als Dolmetscherin in Frankfurt
ein chaotisches Leben, ist selbst
sehr flexibel und hochintelligent.
Mascha ist eine junge Frau, die, obwohl sie
danach sucht, Nähe eigentlich kaum erträgt. Und so flieht sie durch ihr Leben
und kann weder bei ihrer Familie noch bei ihrem Freund Halt finden. Auch ihr
Beruf befriedigt sie nicht. Eines Tages wird ihr Freund Elias beim
Fußballspielen schwer verletzt. Eine auf den ersten Blick gewöhnliche
Oberschenkelfraktur wächst sich zu einer quälend schmerzhaften Sache aus, und
nach langen Wochen der Pflege stirbt Elias an einer Sepsis. Mascha ist
verzweifelt. Sie wird von Schuldgefühlen geplagt, die zu den permanenten
traumatischen Kindheitserinnerungen dazukommen.
Mascha flieht vor ihrer Vergangenheit nach Israel, um dort als Dolmetscherin zu
arbeiten. Sie fährt ohne Illusionen dorthin und ist doch erschüttert angesichts
der Auseinandersetzungen und des Hasses
zwischen Juden und Palästinensern. Sie
trifft dort viele Menschen, macht Bekanntschaften und hat Affären, doch ihre
innere Leere bleibt. Die Trauer über den Verlust ihres Freundes Elias ist
übermächtig und überlagert alles. In Sami, einem früheren Freund, hat sie einen
Vertrauten, der immer zu ihr steht, und nach Elias' Tod die einzige echte
Konstante in ihrem wurzellosen Leben darstellt.
Alle Figuren dieses Romans weisen ähnliche Züge auf: Sie sind politisch engagiert,
denken und fühlen sozusagen "multiethnisch" und verfügen wie selbstverständlich
über kosmopolitisches Bewusstsein. Doch obwohl sie hochintelligent und extrem
beweglich sind, schaffen sie es nicht, ihre Lebenskraft und Kreativität
umzusetzen, irgendwo anzukommen und Wurzeln zu schlagen.
Man darf auf die nächsten Romane dieser außergewöhnlichen Autorin gespannt sein.
Gespannt darauf, wie sie ihr Leben reflektiert und dies in großer Prosa umsetzt.
(Winfried Stanzick; 10/2012)
Olga Grjasnowa: "Der Russe ist einer, der
Birken liebt"
Gebundene Ausgabe:
Carl Hanser Verlag, 2012. 288 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2013.
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Zwei weitere Bücher der Autorin:
"Der verlorene Sohn"
zur Rezension ...
"Die juristische Unschärfe einer Ehe"
Leyla wollte immer nur eins:
Tanzen. Doch nach einem Unfall muss sie das Bolschoi-Theater in Moskau
verlassen. Altay ist Psychiater. Nachdem sich seine große Liebe umgebracht hat,
lässt er keinen Mann mehr an sich heran. Altay und Leyla führen eine Scheinehe,
um ihre Familien ruhig zu stellen. Als die beiden mit Mitte zwanzig in Berlin
von vorne anfangen, tritt Jonoun in ihr Leben. Olga Grjasnowa erzählt von zwei
Frauen und einem Mann, die von der Liebe träumen, aber auch nicht wissen, wie
man mit der Liebe lebt. Eine rasante Dreiecksgeschichte und ein ungeheuer direkt
erzählter Roman über Glück und Unglück in einer Zeit, da alles möglich scheint.
(Hanser)
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