Richard Forster, Ulla Steffan (Hrsg.): "Auf die Dame kommt es an"
Schachgeschichten
"Jedenfalls
entschloss er sich, das Schach aufzugeben, was keine einfache Sache ist, wie
jeder weiß, der einmal auf Entzug war." (Ernst Strouhal)
Schach kann zur einzigen Lebensaufgabe gekrönt sein. Schach ist Krieg. Schach
vermag sich zur Passion zu steigern. Schach offenbart den Charakter der Spieler.
Schach macht die Menschen gleich. Schach löst die Fesseln der Sklaverei. Dieses
und noch viel mehr lässt sich ableiten, wenn dem Schach jene substanzielle Kraft
zugestanden wird, die diesem Spiel inneliegt. Zweifellos hat Schach keinen
Anfang und kein Ende. Wer zwei Schachspielern beim Spiel zusieht, kann dies zu
jedem beliebigen Zeitpunkt tun. Die berühmten "Schachrätsel" bergen in sich die
Komponente des Möglichen und Unmöglichen.
In der Literatur hat Schach einen durchaus besonderen Stellenwert.
Nabokov hat das
Spiel durch Romane und Erzählungen veredelt.
Stefan Zweig
mit der "Schachnovelle" die wohl imposanteste Erzählung in diesem Kontext
geschrieben.
Agatha Christie lässt gar einen perfiden Mord durch die Berührung einer
Schachfigur geschehen.
Glavinic
macht mit Schach die Nacht zum Tag. Katherine Neville bedroht das Leben eines
Menschen, der von Karl dem Großen nicht besiegt werden darf. Bei
Friedrich Dürrenmatt
spielt der Tod bei jeder Schachpartie mit.
Diese äußerst vielfältigen Perspektiven auf das königliche Spiel verbinden sich
zu einem kleinen, imposanten Werk, das trotz alledem nur einzelne Felder auf dem
Schachbrett, das die Welt bedeutet, für Sekundenbruchteile beleuchtet. Es macht
Lust auf mehr. Die Gesamtwerke können dann zu einem passenden Zeitpunkt gelesen
werden, wenn denn vor lauter Schach genügend Zeit bleibt.
Wie nicht zu verhindern ist, hat jeder Leser einen persönlichen Zugang zu einem
Buch. Von den insgesamt 15 veritablen Ausschnitten fasziniert mich jener aus dem
Werk von Ernst Strouhal nachhaltig. Denn Strouhal erhebt Schach in eine
Dimension, deren Niederschlag fatal enden kann. Wer außer Schach nichts mehr
gelten lassen will, dem Spiel völlig ergeben ist, der kann sein Leben aufs Spiel
setzen. Der Protagonist beschließt also, dem Schach Lebwohl zu sagen und sich
ausschließlich der Literatur zu widmen. Doch er hat die Rechnung ohne Nabokov
gemacht, dessen gesamtes Werk er zu verschlingen versucht. Nabokov hatte einen
nicht zu unterschätzenden Bezug zum Schach, und wer seine Werke allzu manisch
decodieren will, sieht möglicherweise wiederum ein Schachspiel vor sich, das
kein Ende nehmen kann.
Dieses Büchlein kann ein Nachschlagewerk mit Signalwirkung sein. Also, tauchen
Sie ein in die Welt des Schach und träumen Sie von der besten Partie Ihres
Lebens. Der Rezensent fühlte sich durch die Lektüre angeregt an seine Jugend
erinnert, wo es ihm einmal gelang, einen exzellenten Schach-Amateur, der sonst
so gut wie unschlagbar war, in die Knie zu zwingen. Ja, auch Schach ist für
Überraschungen gut. Die versammelten Geschichten legen Zeugnis davon ab.
(Jürgen Heimlich; 04/2014)
Richard Forster, Ulla Steffan (Hrsg.): "Auf die Dame kommt es an. Schachgeschichten"
Unionsverlag, 2014. 192 Seiten.
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