rezensiert von Thomas Harbach
Das Richard Laymon ein so fulminantes Comeback – obwohl er in Deutschland niemals richtig präsent gewesen ist – feiern würde, gehört sicherlich zu den Kuriositäten des Literaturbetriebes. Fast sieben Jahre nach seinem zu frühen Tod veröffentlicht der Heyne- Verlag im Rahmen der “Heyne Hardcore“ Reihe einen Roman nach dem anderen des nicht unumstrittenen Bestsellerautoren. Ihn auf die gleiche Stufe wie Stephen King zu stellen – der immer ein Faible für ausgefallene Autoren wie Laymon oder Ketchum gehabt hat – oder mit Dean R. Koontz vergleichen, wäre fatal. Ihn als perversen Schreiberling martialischer und vor allem brachialer Machwerke abzutun ein Schritt in die falsche Richtung. Seine Bücher haben eine stark sadistische Ader mit weiblichen Protagonisten, die zumindest latent masochistisch veranlagt sind. Ein krasses Beispiel ist sein letzter auf Deutsch erschienener Roman „Die Insel“. Aber zwischen den Zeilen ist seine Amateurpsychologie seltsam effektiv und von einer profanen Seite hält er seinen Lesern grinsend den Spiegel vors Gesicht.
Dabei sind die Ausgangsplot seiner Bücher von der einfachsten, aber nicht simpelsten Sorte. Jane Kerry ist Bibliothekarin, Single, ein wenig übergewichtig, aber nicht unattraktiv, ein Bücherwurm. Eines Tages findet sie an ihrem Arbeitsplatz einen Briefumschlag mit einem 50 Dollarschein darin und der Aufforderung, mit MOG – dem Master of Games – zu spielen. Wenn sie um Mitternacht eine bestimmte Aufgabe erledigt – in diesem Fall in einem ihrer Lieblingsbücher einen zweiten Umschlag findet – wird sich ihr Gewinn verdoppelten. Zu Beginn des Spiels beherrscht Jane Kerry die Neugierde. Wer ist der Fremde, der ihr für leichte Aufgaben verhältnismäßig viel Geld schenkt? Welche Aufgaben erwarten sie? In der gleichen Nacht lernt sie Brace kennen, einen bodenständigen Mann, der ihr bei den ersten Hürden hilft. Die dritte Aufgabe ist zu einer Bronzestatue zu kommen, die einen Indianer auf seinem Pferd darstellt. Beim Besteigen der Statue rutscht sie beinahe aus und droht herunterzufallen. Der erste Hinweis auf die bestehenden Gefahren, der erste Adrenalinstoss. Wieder verdoppelt sich die Prämie. In der ersten Nacht hat sie dreihundertfünfzig Dollar „eingenommen“. Allerdings scheint sie MOG auch zu beobachten, denn als erstens macht er ihr klar, dass sie nur alleine am Spiel teilnehmen darf und ihren neuen Bekannten im Regen stehen lassen soll. In der nächsten Nacht bricht Jane noch einmal auf, die Aussicht auf vierhundert Dollar – die Summe verdoppelt sich immer weiter – ist zu verführerisch.
Richard Laymons Romane zeichnen sich durch fehlende klassische Strukturen aus. Es gibt keinen Prolog, keine Exposition, der Leser wird zusammen mit dem oder den Charakteren in die Handlung hineingeworfen und muss sich freischwimmen. Oft sind es fast alltägliche Situationen, die schließlich außer Kontrolle geraten. Dabei sind die Veränderungen nicht unbedingt subtil. Im vorliegenden Buch allerdings charakterisiert der Autor sie an Hand von menschlichen Schwächen. Jane Kerry beginnt das leicht verdiente Geld zu lieben. Die Aufgaben werden schwerer, die Belohnungen höher. Ihr Charakter beginnt sich zu verändern, sie wird im wahrsten Sinne des Wortes geldgeil und beginnt ihre eigenen nicht näher definierten Moralgrundsätze über Bord zu werfen. Bei der Grenze von 50.000,-- Dollar ist sie bereit, sich als Dienerin einem ihr unbekannten Mann zur Verfügung zu stellen. Dieser hat aber wenig Interesse an Sex – er fühlt sich von Jane überfahren -, sondern schaut mit ihr nur einen Film an. Hier baut Laymon sehr geschickt eine Erwartungshaltung im Leser und beiläufig in der Protagonistin auf, die er überraschend und mit sichtlicher Freude dann einen Augenblick später wieder negiert. Die sexuelle Spannung ist in diesen Szenen deutlich spürbar, der Hang zum Perversen – Masochismus und Freizeitprostitution – mit erotischer Raffinesse ausgespielt. Der Leser beginnt sich selbst zu fragen, wo seine persönlichen materialen Grenzen gelegen hätten. Das Jane Kerry von der übergewichtigen Bücher lesenden zu einer schlanken, sportlichen Frau mit einem neuen Freund wird, den sie als erstes belügt und hintergeht, um weiterhin Geld zu verdienen. Dabei urteilt Laymon nicht, sondern zeigt nur auf. Dabei wirkt der erste Teil des Romans noch überzeugend. Die stetige Verführung, die eigenen Moralvorstellungen ein wenig zu dehnen, aber nicht unbedingt zu brechen für eine hohe, aber nicht unfassbare hohe Summe Geldes zeigt der Autor überzeugend und packend auf. Dann allerdings muss MOG – stellvertretend für den Autor – die Schraube immer fester andrehen, die Meßlatte der Prüfungen immer höher setzen. Bei den zwei Stunden als Dienerin noch überzeugend, wenn aber Jane schließlich in ein Villa einbricht, dort Frauen angekettet findet, die ihre eigenen Gliedmaßen fressen und bestialisch gefoltert werden, die drei Peiniger mit Kopfschuss im Hauskino erschießt und schließlich mit heiler Haut wieder entkommt, wirkt das Vorgehen übertrieben – nicht für einen Laymon Roman, aber im Zusammenhang mit dem hier präsentierten Plot – und überzeichnet. Insbesondere in Bezug auf die charakterliche Weiterentwicklung bleibt vieles unglaubwürdiges Stückwerk. Das Jane selbstbewusster wird, das sie der Versuchung des wirklich leicht verdienten Geldes unterliegt, das sie in dieser Villa des Schreckens aus Affekt tötet, lässt sich vielleicht noch erklären, das sie aber MOG bietet, das Spiel weiterzuführen und vor allem ihren Körper als „Brief“ anbietet, wirkt pathetisch überzogen. Die Passagen sind von einer derben Erotik. Sie zeigen auch den offensichtlichen moralischen Verfall seiner Protagonistin. Aber es fehlt der Funke, der ihre charakterliche Wandlung nachvollziehbar macht. Da bleibt Richard Laymon an der Oberfläche hängen. Wie überhaupt sein Buch „Das Spiel“ originell – obwohl die Idee wahrscheinlich hundertfach verwendet worden ist, packt sein Roman den Leser von den ersten Seite an und der Autor hält die Spannung bis zur Mitte des Buches erstaunlich hoch, ohne auf Splatterszenen zu verfallen – und handlungstechnisch interessant anfängt. Als sich Jane aber schließlich in einen Racheengel verwandelt, weil MOG sich als gewalttätiger Psychopath entpuppt, verliert sein Roman an Format. Insbesondere die blutige, brutale Auseinandersetzung in der Kirche mit einem aufgesetzten, falschen Ende treibt die Handlung nicht weiter nach vorne, sondern wirkt konterproduktiv. Immer mehr wird Jane trotz einer Reihe von Verwundungen, trotz klaffender Wunden vom Auspeitschen zu einem kalt kalkulierenden Racheengel, die sich wahrscheinlich aus der einschlägigen Literatur mit entsprechenden Tipps im Kampf gegen übermächtige – sowohl körperlich als auch von der männlichen Ausstattung, wie eine der gefangenen Frauen immer wieder bestätigt – Psychopathen geholt hat. Es ist schon erstaunlich, wie viele Nackenschläge sie wie ein Preisboxer einstecken kann, um dann im richtigen Augenblick aus dem Nichts heraus den eigentlichen Feind zu töten. Auch hier Verhältnis zu ihrem neuen Freund wirkt theatralisch unglaubwürdig inszeniert, dass der aufmerksame Leser jeden Augenblick den Schalk hervortreten sieht. Leider entpuppt sich der tapfere, intelligente Partner wirklich nur als Mensch und nicht der Killer im Lederkostüm. Insbesondere diese Beschreibung erinnert nicht an einen Feind, sondern an einen wandelnden Christbaum. Im letzten Teil des Romans bemüht sich Laymon nicht um einen Hauch psychologischer Spannung, sondern befriedigt die primitivsten Instinkte seiner Leser. Hardcore im wahrsten Sinne des Wortes und nicht nur in sexueller Hinsicht. Im Gegensatz zu ähnlich splattrigen Szenen im Werk eines David Show, eines Rex Millers oder schließlich auch eines Stephen Kings fehlt aber jegliche moralische Grundlage, schließlich hat Janes das Spiel aus freien Stücken inklusiv ihrer Geldgier angenommen und sich weitertreiben lassen. Die reinigende Katharsis, die obligatorische Bestrafung fehlt in diesem Zusammenhang. „Das Spiel“ ist ein effektiver und spannend geschriebener „Schundroman“ im wahrsten Sinne des Wortes, eine unmoralische Gesellschaftsstudie ohne den Versuch, überhaupt eine Erklärung zu suchen. Im Gegensatz zu „Die Insel“ weniger frauenfeindlich, wenn auch Richard Laymon in Bezug auf seine Protagonistin zwischen Klischees – unter anderem ist ein schlanker Körper erstrebenswert – und überraschenden Erkenntnissen – Frau kann mit großkalibrigen Waffen umgehen und Frau ist Mann genug, um die eigene Haut und den Freund gleich mit zu retten – hin und her zu wechseln. Wie alle Romane Richard Laymons überzeugt dessen cineastischer, sehr einfacher, aber gut zu lesender Stil. Mit einem rasanten Auftakt überdeckt er einige logische Brüche in seinem Handlungsaufbau und vor allem die eindimensionale Charakterisierung aller Nebenfiguren. „ Das Spiel“ polarisiert, es ist kein herausragender Roman, ein typischer Richard Laymon eben, ob die provozierende Art Absicht gewesen ist, sei hier dahingestellt.
Richard Laymon: "Das Spiel"
Roman, Hardcover, 450 Seiten
Heyne Verlag 2007
ISBN 3-4536-7535-5
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