rezensiert von Thomas Harbach
Mit „Irrsinn“ legt Dean R. Koontz einen Thriller vor, der eher wie eine splatterbereinigte Version eines Richard Laymon Romans daherkommt. In dessen Büchern werden normale Bürger durch eine scheinbare Lappalie aus ihrer bisherigen gesicherten Existenz gerissen und tauchen ein in einen Alptraum aus Blut, Gewalt und Tränen. Gleich zu Beginn des Buches erzählt Koontz ausführlich eine im Grunde absurde Kneipengeschichte. Billy Wiles ist nämlich Barkeeper in einer urigen Kneipe in einer kleinen Stadt in Kalifornien. Er liebt das einfache, unkomplizierte Leben. Seine Gäste mögen ihn auch. Eines Nachts findet er hinter seinem Scheibenwischer einen einfach gefalteten Zettel mit einer seltsamen Botschaft. Wenn er den Zettel nicht zur Polizei bringt und sie informiert, wird eine junge blonde Lehrerin getötet. Wenn er den Brief zur Polizei bringt, wird eine ältere Dame, die sehr aktiv im karitativen Bereich ist, getötet. Wiles hat sechs Stunden, sich zu entscheiden. An einen bösartigen Scherz will Wiles nicht so recht glauben, darum informiert er einen Freund, der zufällig Polizist ist, Beide glauben doch an einen Scherz. Als Wiles einige Tage später erfährt, dass eine blonde junge Lehrerin brutal ermordet worden ist, gibt er sich die Schuld. Eine zweite Note informiert ihn über ein neues Dilemma, dieses Mal hat nur noch vier Stunden Zeit. Als er sich noch weniger schlüssig ist, wird ein Freund ermordet. Bei der nächsten Aufgabe geht es nur noch darum, einem Menschen einen qualvollen Tod zu ersparen und zum ersten Mal trifft Wiles eine Entscheidung für ein schnelles Sterben des Opfers. Die Schlinge zieht sich immer enger, während Wiles selbst auf die Suche nach dem offensichtlichen Verrückten geht.
De Effektivität der ersten Hälfte des Buches legt in dem Protagonisten Billy Wiles, einem Niemand, der plötzlich aus seinem Leben gerissen wird. Jeder von Koontz Lesern, im Grunde jeder Mensch könnte in die Fänge eines Verrückten geraten, der seine bizarren Spiele macht. Dazu kommen die Entscheidungen, welche Billy zu treffen hat. Der Leser stellt sich unwillkürlich und von Koontz routiniert, aber sehr geschickt gemacht, auf dessen Seite und versucht sich selbst in dieser Situation zu sehen. Bis weit über die Hälfte des Buches gelingt es Koontz, einen sehr eindringlichen Thriller zu präsentieren. Danach verfällt er allerdings auch der Versuchung eines Richard Laymon, den Garn zu überspannen. Wiles verwaltet zusammen mit zwei weiteren Männern ein Vermögen von sieben Millionen Dollar für seine im Koma liegende Frau. Dieses Geld ist eine Entschädigungszahlung für eine Lebensmittelvergiftung, die sie sich zugezogen hat. Wiles kommt schnell auf den Gedanken, dass das Spiel mit diesem Treuhandfonds in Verbindung steht. Vielleicht will ihn der potentielle Erbschleicher mit diesen Botschaften in die Enge treiben, damit er später bei seiner Frau und der Verwaltung des Vermögens freie Bahn hat? In der Zwischenzeit von weiteren Botschaften getrieben weiß Billy, dass er niemandem mehr trauen kann. Die Verlagerung vom reinen Psychothriller zu einem dunklen Krimi ist für den Leser ein wenig enttäuschend, aber noch akzeptabel.
Dann beginnt Koontz nicht nur den Psychopathen in die Handlung zu integrieren, der mit Wiles sein Spiel treibt, sondern findet auch in Wiles Vergangenheit ein dunkles Geheimnis. S wird er von dem Verrückten gefoltert und ihm wird prophezeit, dass der Tod des letzten Opfers auch ihn in den Selbstmord treiben wird. Wiles ist sich sicher, dass man seine hilflose Frau ermorden möchte, dabei steht die Mordserie zumindest in einem indirekten Zusammenhang mit Wiles eigener, nicht sauberer Vergangenheit. Auf den letzten gut zweihundert Seiten beginnt Koontz den Leser zu verlieren. Zu sehr wird der bislang gutmütige, sympathische Wiles als Persönlichkeit auseinander genommen, seine klischeehaft überzeichnete Vergangenheit aufgerollt, ein Motiv für seine eigenen Taten konstruiert und schließlich im obligatorischen Showdown auf den Killer losgelassen. Es ist klar erkenntlich, dass Koontz der Ansicht gewesen ist, dass bisherige Katze und Mausspiel reicht für die Handlung nicht mehr aus. Dabei bezieht der Roman insbesondere auf diesen Szenen seine Spannung. Eine der eindringlichsten Sequenzen zeigt Billy Wites vor seinem Haus, er ahnt oder weiß, dass der Psychopath unmittelbar vor ihm sein Haus durchsucht und die Polizei angerufen hat. Zwei Streifenwagen stehen vor seinem Haus und versuchen Wiles zu überzeugen, dass er unter Druck handelt, anscheinend erpresst wird und nicht alleine im Haus ist. Wiles wehrt sich nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass noch Spuren des letzten Mordes zu erkennen sind, gegen die freundliche aktive Hilfe der Polizisten. Auf der einen Seite muss er das offensichtliche Misstrauen der Polizisten zerstreuen, auf der anderen Seite beobachtet der Psychopath aus seinem Versteck jede seiner Bewegungen. Eine sehr spannende Situation, in welcher Koontz seine ganze Routine als Thrillerautor ausspielt. Leider gibt es von diesen Szenen zu wenige. Mehr und mehr flacht die Spannungskurve ab, es geht zwar immer noch um die Entlarvung des Täters und sein Motiv, aber Koontz führt zu viele und zu skurrile Charaktere ein. Diese sollen den Leser ablenken, zu einer handlungstechnischen Zeit, als dieser sich nicht mehr ablenken lassen möchte. Eine weitere Schwäche liegt in der Konstruktion des Buches. Zu Beginn fiebert der Leser mit Wiles Entscheidungen mit. Er stellt sich unwillkürlich die Frage, wie er selbst in dieser Situation handeln würde. Im Verlaufe des Buches dagegen wird dem Protagonisten mehr und mehr die perverse Möglichkeit der Wahl genommen und er muss „nur“ noch reagieren anstatt die Illusion einer Aktion zu haben. Damit verliert der Romane seine faszinierende Grundprämisse und wird zu einem gut geschriebenen, aber nicht mehr originellen und ungewöhnlichen Thriller.
Im Original heißt das Buch „Velocity“ und macht seinem Namen alle Ehre. Nach einer besinnlichen, sehr kurzen Auftakt prasseln die unterschiedlichen Ereignisse und Situationen auf Wiles und damit den Leser förmlich ein. De Zeit, Entscheidungen zu treffen – von richtigen ganz zu schweigen – wird immer kürzer. Einmal verkürzt durch die immer knapper werdenden Ultimaten des unbekannten Killers, dann durch die immer schneller werdende Abfolge der sich inzwischen ordentlichen kumulierten Taten und die Ermittlungsarbeit der überforderten Polizei und Wiles. Koontz gelingt es zu Beginn des Buches ausgezeichnet, das seine Leser mit der Person Wiles sympathisieren, ihn auf seiner Suche unterstützen. Literarisch gehört es sicherlich zu den anspruchvollsten Aufgaben, nachdem eine solche Figur mit vielen kleinen Details aufgebaut worden ist, sie wieder systematisch und mit einer fast sadistischen Freunde – diese steht dem Killer in nichts nach – wieder auseinander zunehmen und den Leser zu schockieren. Leider hat Koontz diesen Gedanken nicht konsequent zu Ende gedacht und seine grundlegende Idee wieder aufgeweicht. Im Vergleich zu Richard Laymon, der seine Bücher nicht nur in einer Orgie aus Blut und Gewalt enden lässt, der vor allem mit der Maxime Crime Does not Pay gänzlich aufgeräumt hat, wirkt Dean Koontz wie ein Autor, der zwar sein überwiegendes Mainstreampublikum überraschen, aber nicht all zu sehr schockieren möchte. Diese Tendenz konnte man in einigen seiner anderen Romane schon ablesen. Die Religiosität und die teilweise extrem konservative politische Haltung mit seinem Interesse an Regierung mit faschistoiden Obertönen spielen im vorliegenden bodenständigen Thriller keine Rolle, aber am Ende des Plots wirkt „Irrsinn“ ein wenig zu sehr kalkuliert, ein wenig zu sehr konstruiert und zu wenig der „natürlichen“ Entwicklung der Ereignisse überlassen. Hält sich der Leser allerdings vor Augen, dass der Roman aus der Phase von Koontz „Odd Thomas“ Büchern kommt, handelt es sich bei „Irrsinn“ eindeutig um eine seiner lesbareren, besseren Arbeiten, die hervorragend anfängt und sich dann in seiner eigenen Cleverness fängt.
Dean Koontz: "Irrsinn"
Roman, Softcover, 420 Seiten
Heyne- Verlag 2007
ISBN 3-4530-2035-9
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