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Literaturtheorie > New Historicism (Stephen Greenblatt) |
Möglichkeiten
literarhistorischen Arbeitens
Im engen Anschluss an die Aufforderung, Literatur in ihrer historischen Prozesshaftigkeit zu begreifen, sind besonders in den letzten zwanzig Jahren Forderungen nach einer neuen kulturhistorischen Funktionsbestimmung von Literarhistorie laut geworden. Bedenkt man, so Eberhard Lämmert 1986,
Auch Greenblatt kommt es auf die Rekonstruktion des geschichtlichen Kontextes an, er fragt allerdings nicht nach Abhängigkeiten, sondern nach "Verhandlungen" ("negotiations"), nach "Zirkulation" ("circulation") und nach "Tausch" ("exchange") von Texten und Kontexten resp. von Texten und kulturellen Praktiken. [6] Dies hat eine völlig modifizierte Fragestellung an Literatur zur Folge; es gilt zu entdecken,
Für die analytische Praxis, mithin für den Gesamtkomplex der Literaturgeschichtsschreibung hat dies spürbare - und nicht selten kritisierte - Konsequenzen: Der Linearität traditioneller Literarhistorie und deren Präsentation wird eine Darstellung entgegengesetzt, die bewusst die Momente des Nicht-Systematischen, des Anekdotischen, des Widersprüchlichen und des Diskontinuierlichen hervorhebt. Vereinheitlichende Erklärungsmodelle und Präsentationsweisen werden zugunsten ungeordneter Heterogenität und Pluralität aufgegeben, die "assoziative Montage", die "kulturgeschichtliche Momentaufnahme" tritt an die Stelle der linear organisierten Erzählung. [8]
Die kurzen
Bemerkungen zum New Historicism Greenblattscher Prägung sollten das
Möglichkeitsspektrum literarhistorischen Arbeitens wenigstens andeutungsweise
skizzieren.
Das Produktivitäts- und Innovationspotenzial des New Historicism
zeigt sich dort, wo er um mentalitätsgeschichtliche, kultursoziologische
und zivilisationstheoretische Aspekte bereichert wird. Die Verknüpfung
des kulturwissenschaftlichen Ansatzes Stephen Greenblatts mit Implikationen
der Die Inanspruchnahme
der genannten Ansätze resultiert dabei keineswegs aus einem oftmals
beschworenen - und verurteilten - disziplinären Unbehagen des Literaturwissenschaftlers
gegenüber seinem Fach und seinem spezifischen Gegenstand 'Literatur':
Die kulturwissenschaftliche Orientierung bedeutet keine Flucht in vorgeblich
wenig reflektierte "programmatische 'Als'-Metamorphosen" [12]
(-Literaturwissenschaft als Sozialgeschichte, als Ideologiegeschichte,
als Mentalitätsgeschichte und eben als Kulturgeschichte
-), sondern ist vielmehr Ausdruck der Erkenntnis, "daß 'Kulturwissenschaft'
einen veränderten Kontext aller mit Kultur befaßten Wissenschaften bedeutet,
in dem Literaturwissenschaft sich nicht auflöst oder preisgibt, sondern
auf den bezogen und nicht gegen ihn Literaturwissenschaft sich definiert"
[13]. Kulturwissenschaft kann letztlich, so
Graevenitz, als der "pluralistische Kontext für die Selbstreflexivität
einer pluralistischen Literaturwissenschaft" aufgefasst werden "und
nicht als der ungleiche Gegenpart in einer verfehlten Konfrontation".
[14] Holger Dauer ©
TourLiteratur / Autor Zwei
Buchtipps: Anmerkungen [1] Haubrichs, Wolfgang: Einleitung. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik [LiLi] 8 (1978) H. 32: Literatur als historischer Prozeß. S. 7. [zurück] [2] Zitate: Anz, Heinrich: Geschichte und Literaturgeschichte. Bemerkungen zu den Kategorien der Literaturgeschichtsschreibung. In: Geist und Zeichen. Festschrift für Arthur Henkel. Zu seinem 60. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern und hrsg. v. Herbert Anton, Bernhard Gajek u. Peter Pfaff. Heidelberg 1977. S. 27. [zurück] [3] Alle Zitate: Haubrichs, Wolfgang: Einleitung. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik [LiLi] 8 (1978) H. 32: Literatur als historischer Prozeß. S. 8. [zurück] [4] Lämmert, Eberhard: Die Geisteswissenschaft in der Hochschulpolitik des letzten Jahrzehnts. In: Germanistik - Forschungsstand und Perspektiven. Hrsg. v. Georg Stötzel. 2. Teil. Berlin u. New York 1986. S. 20. [zurück] [5] Kaes, Anton: New Historicism: Literaturgeschichte im Zeichen der Postmoderne? In: Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Hrsg. v. Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich u. Klaus R. Scherpe. Stuttgart 1990. S. 56. [zurück] [6] Vgl. hierzu beispielsweise Stephen Greenblatts Aufsatz: Grundzüge einer Poetik der Kultur. In: Ders.: Schmutzige Riten. Betrachtungen zwischen Weltbildern. Aus dem Amerikanischen v. Jeremy Gaines. Frankfurt/M. 1995. (= Fischer Wissenschaft. 12507.), bes. S. 111 und S. 115f. [zurück] [7] Greenblatt, Stephen: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Aus dem Amerikanischen v. Robin Cackett. Frankfurt/M. 1993. (= Fischer Literaturwissenschaft. 11001.) S. 14. [zurück] [8] Zitate: Kaes, Anton: New Historicism: Literaturgeschichte im Zeichen der Postmoderne? In: Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Hrsg. v. Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich u. Klaus R. Scherpe. Stuttgart 1990. S. 64 bzw. S. 63. [zurück] [9] Kaes, Anton: New Historicism: Literaturgeschichte im Zeichen der Postmoderne? In: Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Hrsg. v. Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich u. Klaus R. Scherpe. Stuttgart 1990. S. 63. [zurück] [10] Kaes, Anton: New Historicism: Literaturgeschichte im Zeichen der Postmoderne? In: Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Hrsg. v. Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich u. Klaus R. Scherpe. Stuttgart 1990. S. 63. [zurück] [11] Dörner, Andreas u. Ludgera Vogt: Kultursoziologie (Bourdieu - mentalitätsgeschichte - Zivilisationstheorie). In: Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. Hrsg. v. Klaus-Michael Bogdal. Opladen 1990. (= WV studium. 156.) S. 145. [zurück] [12] Haug, Walter: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft? In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte [DVjs] 73 (1999) S. 69. [zurück] [13] Graevenitz, Gerhart v.: Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften. Eine Erwiderung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte [DVjs] 73 (1999) S. 96. [zurück] [14] Graevenitz, Gerhart v.: Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften. Eine Erwiderung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte [DVjs] 73 (1999) S. 98. [zurück] |