Der Fotorückblick des Jahres 2020

Über die Vorspeisenplatte bin ich auf die Aktion von Joel.lu aufmerksam geworden, einen Fotorückblick für das Jahr 2020 nach bestimmten Regeln zu machen. Und da mache ich gerne mit – allerdings mit zwei Abweichung. Die ausgewählten Fotos hatte ich vorher überwiegend nicht hochgeladen und in einem Monat habe ich nur ein Foto.

Januar

Als ich einen Fisch gelaufen bin

Bei meinen letzten Live-Konzert 2020

Februar

Kurz vorher darüber geredet, wie sehr ich als Kind Hildegard Hamm-Brücher bewundert habe – und nun gerne mal eine Biographie über sie lesen würde.

Manchmal lohnt sich im Museum auch der Blick an die Decke.

März

Parkbekanntschaft

April

Wenn Tulpen eine Nacht auf dem Balkon verbringen.

Küssende Kräne

Mai

Südgelände

Word!

Juni

Erster Besuch bei den Eltern im Jahr.

In der neuen Küche spricht die Geschirrspülmaschine mit uns.

Juli

Blumenpuder

Fliegen in der Pandemie

August

Wandern in Finnland

Abschiedsparade

September

Aktion vor dem Reichstag

Hannah-Arendt-Ausstellung

Oktober

Projekt Schneckenfotografie

Spooky Neighbours

November

Bergmannstraße

Lichter in Niedersachen

Dezember

Weihnachtslichter in Niedersachen

Letzte Fotorunde 2020.

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Jahresbestenliste 2020

In diesem Jahr gibt es wieder eine Jahresbestenliste der Krimibestenliste, die heute Vormittag bei Deutschlandfunk Kultur in einem Gespräch mit Kolja Mensing und mir vorgestellt wurde – zusammen mit dem Deutschen Krimipreis, der ebenfalls heute bekanntgegeben wurde. (Disclaimer: Ich bin in beiden Jurys.)

Die Jahresbestenliste sieht folgendermaßen aus:

  1. Garry Disher. Hope Hill Drive. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag 2020.
  2. Young-ha Kim: Aufzeichnungen eines Serienmörders. Aus dem Koreanischen von Inwon Park  Cass Verlag 2020.
  3. Denise Mina: Götter und Tiere. Aus dem Englischen von Karen Gerwig. Ariadne 2020.
  4. Sara Sligar: Alles, was zu ihr gehört. Aus dem Englischen von Ulrike Brauns. Hanserblau 2020
  5. Attica Locke: Heaven, My Home. Aus dem Englischen von Susanna Mende. Polar Verlag 2020.
  6. Lisa Sandlin: Family Business. Aus dem Englischen von Andrea Stumpf. Suhrkamp 2020.
  7. Jan Costin Wagner: Sommer bei Nacht. Galiani 2020.
  8. Max Annas: Morduntersuchungskommission. Der Fall Melchior Nikoleit. Rowohlt 2020.
  9. Guillermo Martinez: Der Fall Alice im Wunderland. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Eichborn 2020.
  10. Sara Paretsky: Altlasten. Aus dem Englischen von Laudan und Szelinski. Ariadne 2020.
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Deutscher Krimipreis 2020

Zum 37. Mal wurde heute der Deutsche Krimipreis bekanntgegeben – ich durfte in der Jury mit darüber entscheiden. Und das ist das Ergebnis:

Krimipreis national:

  1. Platz: Zoë Beck: Paradise City. Suhrkamp
  2. Platz: Max Annas: Morduntersuchungskommission. Der Fall Melchior Nikoleit. Rowohlt
  3. Platz: Frank Göhre: Verdammte Liebe Amsterdam. Culturbooks

Krimipreis international:

  1. Platz: Denise Mina: Götter und Tiere. Übersetzt von Karen Gerwig. Ariadne
  2. Platz: Gary Disher: Hope Hill Drive. Übersetzt von Peter Torberg. Unionsverlag
  3. Platz: Young-ha Kim: Aufzeichnungen eines Serienmörders. Übersetzt von Inwon Park. Cass Verlag.

Ein Hinweis in eigener Sache: Am 28.12. rede ich mit Andrea Gerk und Kolja Mensing ab 10 Uhr in der Sendung „Lesart“ bei Deuschlandfunk Kultur über den Deutschen Krimipreis und die ebenfalls heute bekanntgegebene Jahresbestenliste der Krimibestenliste.

 

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Sturmflut-Nacht – Über „Dammbruch“ von Robert Brack

(c) Ellert & Richter Verlag

„Ein Sturmflut-Thriller“ steht auf dem Cover vom Robert Bracks „Dammbruch“ – und ja, diese Geschichte spielt in der Hamburger Sturmflut 1962. Doch bitte, dieses Buch ist doch deshalb kein „Sturmflut-Thriller“. Das klingt nach Maulwurf-Krimi, Blockchain-Thriller und Bodensee-Roman. Aber für dieses Etikett kann das Buch nur wenig. Tatsächlich nämlich ist „Dammbruch“ ein atmosphärisch dichter Roman, der von zwei verbrecherischen Menschen in Hamburg im Jahr 1962 erzählt. Lou Rinke plant seinen nächsten Einbruch und Betty ihren nächsten Mord. Sie ahnen beide nicht, dass das heranziehende Sturmtief Vincinette ihre genau geplanten Vorhaben nicht vereiteln, aber erschweren und in dieser Nacht zueinander führen wird.

Robert Brack braucht keine langen Erklärungen für den Hintergrund oder seine Figuren, sie sind einfach da und entstammen vor allem ihrer Zeit: Lous Eltern sind väterlicherseits Verbrecher, mütterlicherseits Kommunistin (was in der BRD auf das Gleiche hinausläuft), er versucht, seinen Einbrüchen zumindest etwas Klassenkämpferisches abzugewinnen. Und Betty. Betty ist geflohen. Betty hat Fürchterliches erlebt. Betty pflegt nun ehemalige Wehrmachtssoldaten und tötet sie. Das ist ihre Rache, eine Rache, die allzu verständlich ist, ohne dass ihre Erlebnisse jemals detailliert ausgeführt werden. Das müssen sie gar nicht, man weiß auch so, was passiert ist.

Das Sturmtief nun spült diese beiden Menschen mit anderen zeitweilig Geretteten einen Rohbau. Sie trauen einander nicht, sind aber doch aufeinander angewiesen. Mit ihnen treffen dann auch Lous romantischen Verbrechensvorstellungen auf Bettys harte Erfahrungen. Das ist spannend, düster und in dem Ausgang erstaunlich zufriedenstellend.

Robert Brack: Dammbruch. Ellert & Richter 2020. 240 Seiten. 12 Euro.

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Unscheinbarkeiten – Über „Schwarzes Kleid mit Perlen“ von Helen Weinzweig

Manche Bücher erreichen einen auf besonderen Wegen. Seit ich meine „Women in Crime“-Reihe gestartet habe, frage ich immer wieder Kolleg*innen nach Autorinnen, die in diese Reihe passen könnten. Darunter war auch Alf Mayer, der mir seither gelegentlich Artikel zuschickt, von denen er meint, sie könnten mich interessieren (damit liegt er fast immer richtig, daher an dieser Stelle auch ein „Danke, Alf!“). Vorige Woche also schickte er mir einen Hinweis auf einen Text von Sarah Weinman in der Paris Review: der Abdruck ihres Nachwortes zu der Neuauflage von Helen Weinzweigs 1980 erschienenen „Basic Black with Pearls“, in dem sie den Roman als „interior feminist espionage novel“ bezeichnet. Sofort war mein Interesse geweckt, deshalb setzte der Routineablauf ein: Prüfen, ob ich an eine Ausgabe herankomme und es eine deutsche Übersetzung gibt. Und tatsächlich: 2019 ist „Schwarzes Kleid mit Perlen“ in der Übersetzung von Brigitte Jakobeit im Verlag Klaus Wagenbach erschienen. Das freut mich ungemein, denn dieses Buch ist – um das gleich vorwegzunehmen – sensationell.

(c) Verlag Klaus Wagenbach

„Schwarzes Kleid mit Perlen“ ist die Ich-Erzählung einer Frau, die unter dem falschen Namen Lola Montez durch die Welt reist und auf ihren Geliebten wartet. Anfangs in Tikal, später in Toronto sucht sie nach Hinweisen, die er ihr hinterlassen haben könnte. Sie haben nämlich über Jahre hinweg ein ausgefeiltes Code-System entwickelt, mit dem sie ihre Treffen vereinbaren – wobei: vereinbaren trifft es nicht wirklich, dieses Wort setzt voraus, dass gemeinsam eine Entscheidung über Ort und Zeit getroffen wird. Doch hier entscheidet Coenraad, der Geliebte, wann, wo und wie sie sich treffen. Er trifft Sicherheitsvorkehrungen und setzt die Bedingungen, weil er für eine nicht näher zu identifizierende Agency arbeitet, eine Art Geheimdienst. Seit Jahren also nutzen sie den National Geographic, das dort „gedruckte Wort“ und „interpretieren es nach mathematischen Formeln“. Hat die Erzählerin den Code entschlüsselt, muss sie Coenraad noch entdecken. Er ist ein Meister der Tarnung, mal ein Obdachloser, mal ein Kellner. Meistens aber erkennt sie seine Augen oder Erscheinung: „So erkenne ich ihn immer: an der Art, wie er dasteht und wie ich mich fühle.“

Nun wartet sie in Toronto auf ihn – die Stadt, in der sie einst gelebt hat, in der ihr Ehemann und ihre Kinder noch immer leben. Erinnerungen holen sie zwangsläufig heim, als sie in ihrem schlichten schwarzen Kleid mit Perlenkette durch die Stadt wandelt, auf der Suche nach Hinweisen und Codes. Gedanken, Erinnerungen und Träume verschmelzen miteinander und je länger sie wartet, desto mehr erfährt man über ihr Leben – und zweifelt an der Zuverlässigkeit ihrer Erzählungen, die in einem so vertrauensvollen Ton verfasst sind, dass sie fast keine andere Deutung als die der Erzählerin zulassen. Weiterlesen

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Über Max Annas‘ „Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit“

Es gibt keinen Kartoffelsalat in Max Annas‘ zweiten „Morduntersuchungskommission“-Band „Der Fall Melchior Nikoleit“. Das ist einerseits ganz gut, denn diese Szene, in der Oberstleutnant Otto Castorf von der Morduntersuchungskommission Jena „total betrunken“ nach Hause kommt und seine Frau Birgit ihm sagt, da sei noch Kartoffelsalat im Kühlschrank, hat bei mir einen tagelangen Heißhunger auf Kartoffelsalat ausgelöst. Andererseits ist das auch schade, denn Otto trinkt immer noch mehr als vorher, redet aber nicht mehr wirklich mit seiner Ehefrau. Vielmehr glaubt er, sie habe eine Affäre. Aber auch darüber redet er nicht. Ganz eingestellt hat er das Reden indes nicht. Er erzählt sogar seiner Mutter auf der Beerdigung seines Vaters, was er gemacht hat, am Ende des ersten Teils. Und sein Bruder weiß es eh.

Ein Toter in Jena

(c) Rowohlt

Diese Tat hallt nach, aber Otto macht vorerst weiter wie bisher bei der Polizei in Jena 1985. Ein junger Mann wurde tot aufgefunden. Melchior Nikoleit war ein Punker, hatte sogar eine Band – und diese Typen sind alles andere als gerne gesehen in der DDR. Sie sind „Gammler“, ihre Haare sind zu lang, die Klamotten schmuddelig und kaputt und sie stören die Ordnung. Aufgeklärt werden soll die Tat aber dennoch. Zumal sie auch einen guten Vorwand liefert, sich diese Punkerszene mal genauer anzusehen …

Auf vier Teile hat Max Annas seine „Morduntersuchungskommission“-Reihe angelegt – und dieser zweite Teil hat mich immer wieder an die „Kommissar Beck“-Reihe erinnert – eine Art Mischung aus Buch und Serie. Wegen der sozialistischen Tristesse in Thüringen. Wegen der soziologischen Erkundungen des Alltags, die in der Summe zu einer der Gesellschaft werden. Beispielsweise bei der Frage, ob Otto und Birgit ihre älteste Tochter auf ein Sportgymnasium gehen lassen, weil sie gut schwimmt. Eigentlich eine gute Chance, aber ein Leipziger Kollege hat zu ihm gesagt: „Da gibst du ein Mädchen ab und kriegst einen Mann wieder.“ Und das geht Otto nicht mehr aus dem Kopf. An Beck erinnerte mich auch Ottos Herangehensweise an die Fälle: Er bemüht sich zumindest um Verständnis für die Jugendlichen, er erinnert sich an sein eigenes Heranwachsen, den Vater, der ideologisch immer noch ein wenig strenger war als Ottos Ausbilder.

Außerdem die Erzählweise – hier nun eher die Serie: Annas splittert die Perspektiven zwischen Otto, der Pfarrerstochter Julia Frühauf und den NVA-Offizier Erich Marder, die im Gesamtbild ein vielstimmiges Bild von dieser Zeit vermitteln. Besonders beeindruckt hat mich Julia Frühaufs Perspektive. Fast beiläufig erzählt sie, wie selbstverständlich Gewalt ein Teil ihrer aller Erziehung war. Beständig versucht sie, diese Sehnsucht nach etwas anderem im Leben in Worte zu fassen, die die Heranwachsenden empfinden. Die Erregung, wenn sie verbotenerweise in Häuser eindringen; die vorsichtige Rebellion mit Kleidung und Frisur; die Versuche, die englischen Texter anderer – das meint hier westlicher – Punkbands zu verstehen. Dazu aber gibt diese Perspektive gibt nicht nur Einblick in die wachsende Unruhe der Jugend, sondern auch die Verbindungen zwischen Punk-Szene und kirchlicher Opposition.

Die dritte Perspektive gehört Erich Marder, Offizier bei der NVA, und besorgt, weil ein Foto verschwunden ist. Ein Foto, auf dem er mit Kameraden von der Wehrmacht neben erschossenen britischen Offizieren zu sehen ist. Dieses Foto könnte ihm eine Menge Ärger bereiten, obwohl er ja „nicht einmal ein richtiger Nazi gewesen“ ist. Nazi kann es in der DDR ja auch gar nicht geben (was natürlich abgesehen von der Geschichte bereits im ersten Teil deutlich widerlegt wurde.) Erich Marder ist zudem der Vater einer der Punk-Kollegen von Melchior. Es ist abermals eine Vater-Kind-Beziehung, die abermals ideologisch durchdrungen und belastet ist. Überhaupt sind die Väter in diesem Kriminalroman vor allem streng, brutal und ignorant – mit Ausnahme von Otto.

Ideologischer Alltag

Ideologien durchziehen hier jeden Winkel des Lebens. Zwei Hauptverdächtige gibt es für den Mord an Melchior Nikoleit: den verdienten Genossen Marder – und Melchiors Vater, einen Antiquitätenhändler, der regelmäßig in den Westen fährt und unter Verdacht steht, dorthin abhauen zu wollen. Ersterer kann nicht der Mörder sein, das geht einfach nicht – der Vater hingegen wäre der ideale Täter. Auch eine Morduntersuchung macht vor Ideologien nicht halt. Annas schlägt natürlich nicht denselben Haken wie im ersten Teil. Tatsächlich mündet sein Roman in ein Ende, der alles andere als Beck-mäßig ist. Wie er damit weitermacht, darauf bin ich schon sehr gespannt.

Und es gab dann doch wieder einen für mich ebenso denkwürdigen Satz wie „Es ist noch Kartoffelsalat im Kühlschrank“: „Ein Küchentisch, der zum Schreibtisch umfunktioniert worden war, zweitüriger Kleiderschrank, Weinkisten mit Schallplatten, obenauf lag BAP, von denen hatte Otto schon einmal gehört, Westrock aus Düsseldorf oder so.“

Max Annas: Morduntersuchungskommision: Der Fall Melchior Nikoleit. Rowohlt 2020. 336 Seiten.

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Interview mit Attica Locke

Zu Attica Lockes neuen Roman habe ich nicht nur das Nachwort geschrieben, sondern auch für den Polar Verlag ein Interview mit ihr geführt.
Warum schreiben Sie Kriminalromane?

Mich fasziniert die Psychologie von Menschen, die Verbrechen begehen. Außerdem erlauben Krimis, gesellschaftliche Themen zu erforschen, ohne polemisch oder didaktisch zu wirken.

 „Bluebird, Bluebird“ und „Heaven, My Home“ sind die ersten beiden Teile eine der Highway-59-Reihe – wie würden Sie sie beschreiben?

Die Reihe folgt Texas Ranger Darren Matthews, der Ermittlungen zu Verbrechen in kleinen Städten am Highway 59 im Osten von Texas durchführt. Meine Familie – sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits – kommt aus Kleinstädten am Highway 59. Ich bin mit Fahrten auf diesem Highway zu meiner Verwandtschaft aufgewachsen, das ist ein wichtiger Teil meiner Lebensgeschichte und des Lebens meiner Vorfahren. Ich wollte über die Schwarzen Texaner in Ost-Texas schreibe.

Foto: Carsten Klindt

Warum ist Ihre Hauptfigur ein Texas Ranger?

Als ich beschloss, eine Reihe zu schreiben, wusste ich, dass ich eine Hauptfigur brauche, die in jedem Buch vorkommt. Da es aber um den Highway 59 gehen soll, der von Laredo im Süden bis Texarkana im Norden führt, durfte die Hauptfigur nicht zu sehr an einen Ort gebunden sein. Die Zuständigkeit der Texas Ranger ist viel weiter gefasst als die anderer Stafverfolgungsbehörden im Staat. So kam ich auf die Idee, die Hauptfigur zu einem Texas Ranger zu machen.

In Deutschland denken die meisten bei „Texas Ranger“ wohl an die Serie mit Chuck Norris. Wie werden sie in Texas und in USA gesehen?

Wie Sie haben die meisten Menschen in den USA vermutlich lediglich eine Ahnung, was ein Texas Ranger eigentlich ist – und diese beruht vermutlich ebenfalls auf besagter Fernsehserie. In Texas hingegen gelten sie als Eliteeinheit. Es gibt nur rund 150 Texas Ranger in dem gesamten Staat. Und sie dürfen gegen andere Strafverfolgungsbehörden ermitteln. Sie sind wie ein Mini-FBI.

Wie die Vorstellung der Texas Ranger ist auch die Vorstellung von Texas sehr von Büchern und Filmen geprägt, Ihre Romane erweitern dieses Bild.

Ich wollte, dass die Leute bei Texas nicht nur an weiße Rancher denken, sondern auch an einen Ort, an dem Schwarze Cowboys und Farmer leben. Der Osten von Texas unterscheidet sich zudem sehr vom Südwesten des Bundestaates, er ist dem amerikanischen Süden viel ähnlicher. Denken Sie also an Kiefern und Bäche statt an Kakteen und Wüste.

 Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Texas beschreiben?

Es ist ein großer Teil meiner Identität. Ich liebe, woher ich komme. Aber meistens mag ich die Politik in Texas nicht. Es ist eine komplizierte Beziehung: Ich liebe es, ich liebe es, “nach Hause” zu kommen, aber ich betrachte auch Kalifornien als mein Zuhause.

Die Frage, was Heimat eigentlich ist, wird in beiden Romanen erforscht. Was ist Heimat – auch für Sie?

„Heaven, My Home“ behandelt Heimat noch expliziter als der erste Roman und erzählt davon, wie schwierig es für Schwarze Amerikaner und Natives sein kann, sie zu definieren. Was bedeutet Heimat für die Caddo, von denen die meisten heutzutage in Oklahoma leben, was nicht ihre Heimat ist? Und was bedeutet Heimat für Schwarze, die in der Zeit der Sklaverei aus Afrika auf eine Plantage gebracht wurden?

Heimat ist – auch für mich – ein unsicheres Konzept. Ich lebe in Los Angeles, aber ein Teil meiner Seele lebt in Osttexas, wo meine Vorfahren herkommen.
Zu dieser Heimat und ihren Romanen gehört zweifellos auch der Blues, schon der Titel „Heaven, My Home“ ist ein Verweis auf einen Blues-Song. Was bedeutet Ihnen diese Musik?

Bluesmusik gibt mir das Gefühl, eng mit meiner Herkunft verbunden zu sein. Insbesondere Lightnin Hopkins ist meine Muse. Seine Musik ist so, wie ich auf dem Papier sein will: Schlau, lustig, weise und ehrlich.

Ich höre immer Musik, wenn ich schreibe. Sie hilft mir, in die richtige Stimmung zu kommen, sie hilft mir, mein Herz und meinen Verstand anzuregen. Und ich denke gerne, dass meine Prosa einen poetischen Stil hat, dass Musik meinen Stil prägt. Außerdem erwähne ich auch gerne Songs in den Büchern, sie verstärken das Gefühl für den Ort, denke ich.

(c) Polar Verlag

Ihre Romane sind sehr gegenwärtig, ich konnte die Agonie, die Verwirrung und auch Angst nach der Wahl Trumps fast spüren. Warum spielt der Roman zwischen der Wahl und Inauguration Trumps?

Aufgrund der Ereignisse am Ende von „Bluebird, Bluebird“ musste ich die Geschichte innerhalb von Wochen nach diesen Geschehnissen aufgreifen. Es wäre unglaubwürdig gewesen, dass sechs Monate oder ein Jahr vergangen sind, ohne dass zwischen Darren und seiner Mutter etwas wegen der Waffe geschehen wäre. Also beginnt „Heaven, My Home” ungefähr sechs Wochen nach „Bluebird, Bluebird”, was bedeutet, dass Trump zwar gewählt war, aber noch nicht im Amt. Letztlich hat es mir auch die Möglichkeit gegeben, eine Art „tickende Uhr” zu schaffen – ein Gefühl der Dringlichkeit unter den Texas Rangers und der Federal Task Force, Anklage gegen eine White-Supremacist-Gruppe zu erheben, bevor ein White Supremacist sein Amt antritt.

Wie haben Sie auf die Wahl Trumps reagiert?

Ich war am Boden zerstört. Sie fühlte sich an wie eine Zurechtweisung für die Fortschritte, die gegen Rassendiskriminierung unternommen wurden und von denen ich hoffte, sie würden weitergehen. Seit seiner Wahl bin ich voller Zorn. Ich bin die ganze Zeit über deprimiert und wütend.

Vergebung ist ein wichtiges Motiv in „Heaven, My Home“ – der Satz, „Schwarze sind die versöhnlichsten Menschen auf der Welt“ fällt einige Male. Wie stehen Sie dazu?

Ich denke, dass diese Aussage wahr ist. Aber ich denke auch, dass die Zeile im Buch, dass wir nicht wissen, ob es uns zu Heiligen oder Handlangern macht, ebenfalls wahr ist. Black Forgiveness richtet sich oftmals gegen uns: Es ist ein Schauspiel, dass einige Weiße tröstet und sie davon abhält, ihr rassistisches Verhalten zu ändern.

Attica Locke (c) Mel Melcon, Los Angeles

Geschichte ist für Ihre Romane ebenfalls wichtig. Wie haben Sie sie recherchiert – und was bedeutet Geschichte für Sie?

Ich bin nach Jefferson, Texas gefahren, habe Zeit am Caddo Lake verbracht. Außerdem habe ich viel zu der Geschichte der Gegend gelesen, viele Bücher über die Caddos und die Zeit in Jefferson vor dem Bürgerkrieg.

An Geschichte denke ich mit Faulkner: Es ist etwas, was immer bei uns ist und nichts, was man von der Gegenwart trennen kann. Wie gehen immer Seite an Seite mit den Geistern unserer Geschichte.

Ich habe gelesen, dass das Buch durch eine Hochzeit auf einer Plantage inspiriert wurde …

Im Jahr 2004 war ich auf einer Hochzeit auf der Oak Alley Plantage in Vacherie, Louisiana. Ich war noch nie zuvor auf einer Plantage und die Gefühle haben mich überwältigt … aber auch verwirrt. Warum haben sich ein weißer Mann und eine Schwarze Frau dazu entschieden, auf dem blutgetränkten Land einer Plantage zu heiraten? Ich wartete den ganzen Abend darauf, dass jemand eine Rede hält und etwas Poetisches dazu sagt, wo wir sind und warum … dass wir uns alle dort versammelt hatten, um dieses geschundene Land mit Liebe zu erneuern und als Anerkennung dafür, wie weit wir in diesem Land nun gekommen ist.

Dann war ich zutiefst enttäuscht als sich herausstellte, dass das Brautpaar den Ort lediglich aufgrund seiner Schönheit ausgesucht hatten, dass sie sich nicht für die Geschichte interessierten. Damit begann meine Faszination für historischen Tourismus und die Art und Weise, wie diese Stätten umgestaltet und neu genutzt werden. Es erlaubt den Menschen zu vergessen, was auf Plantagen in den USA wirklich passiert ist. Ich war so verstört von alle dem – also habe ich ein Buch geschrieben.

 

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