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Eva Schörkhuber: Quecksilbertage

Roman
Wien: Edition Atelier, 2014
200 Seiten; geb.; Euro 17,95
ISBN 978-3-902498-96-0
E-Book: 9,99 Euro
ISBN 978-3-903005-65-5

Autorin

Leseprobe

Eva Schörkhuber, Jahrgang 1982, ist knapp über dreißig und begibt sich in ihrem ersten Roman auf die Suche nach einer Antwort auf die Fragen dieses Lebensalters. Schon Honoré de Balzac widmete der Dreißigjährigen ein eigenes Buch als Teil der Comédie Humaine: „La femme de trente ans“ (1842). Dieses Alter, in dem der Mensch zwar „noch jung“ ist aber spätestens jetzt in gesellschaftliche Verantwortung gezwungen wird, wirft diejenigen, die mit den ausgetretenen Pfaden des Herkömmlichen hadern, in eine Krise. Balzac legte der schönen Julie ein wildes Aufbegehren gegen die männlich dominierte Gesellschaft in den Mund. Dennoch machte er sie mit der nüchternen Feststellung zunichte: „Die Frauen emanzipieren, heißt sie verderben.“ Hundert Jahre später redete Ingeborg Bachmann mit ihrer Erzählung „Das dreißigste Jahr“ (1961) den Hoffnungslosen ins Gewissen. Zwar verwendete sie die männliche Perspektive, um die Alterskrise zu bewältigen, doch war „die Gesellschaft“ immerhin so weit gediehen, dass sich ihr Appell, Farbe zu zeigen, an beide Geschlechter zu richten schien. Diesen Appell im letzten Satz der Bachmann’schen Erzählung: „Ich sage dir: Steh auf und geh! ...“ greift Eva Schörkhuber auf und schreibt ihn weiter: „In der blauen Morgendämmerung hängt eine Leuchtschrift: „Aufstehen!“...“ (S. 8). Auf der Suche nach der „richtigen“ Richtung im gesellschaftlichen Netz des 21. Jahrhunderts führt „Quecksilbertage“ über verschlungene Wege zum „Aufstand“.

Valerie, „eine Frau in den frühen Dreißigern“, ist die Hauptfigur des Romans, der sich aus mehreren Arten von Texten zusammensetzt: Kapitel mit großen Überschriften, die vom Leben Valeries erzählen, wechseln ab mit Kurztexten (weiße Schrift in schwarzen Kästchen), dann wieder besingen „Stadtlieder“ atmosphärisch die Stadt Wien, unterbrechen politische Kommuniqués die lineare Erzählung. In diesem Puzzle wird die Figur Valerie hin-und hergeschoben, zwischen träumerischen Sequenzen und konkreten Zwängen: Der Freund ist ein patriarchalen Gesetzen folgender Macho und die Freundinnen gedankenlos dem Funktionieren hingegeben, die Eltern machen Druck auf ihre Tochter, die sich nicht den gesellschaftlichen Mustern anpassen will, die ArbeitgeberInnen im „Institut für die nachhaltige Kommunikation mit der Zivilgesellschaft“ sind smarte Geschäftsleute, die die Unerfahrenheit ihrer Angestellten ausnützen. Es ist ein Netz, in dem Valerie sich gefangen fühlt. Da sie nachts arbeitet, streunt sie tagsüber durch die Stadt. Dabei vollzieht sich der Wandel von der Träumerin zur Beobachterin, die langsam aber konsequent „die Augen öffnet“. Auf den langen Straßenbahnfahrten und auf ihren Wegen durch die Gassen der Stadt erkennt sie die Menschen an ihrem Sprechen und Handeln, die Normalen und die Verrückten, die Unangepassten und die SpießbürgerInnen. Wahlkampfplakate, Momumente, Straßenszenen wirbeln durch ihren Kopf und kommen erst in der „kleinen Küche“ in der Winarskystraße, ihrem Lebens- oder besser Wohn-Mittelpunkt im traditionellen Arbeiterbezirk Wiens, zur Ruhe. Die Winarskystraße kann hier kein Zufall sein. Der Namensgeber der Straße Erich Winarsky stieg um 1900 als einfacher Arbeiter zum sozialdemokratischen Politiker auf und setzte sich für die Rechte von Lehrlingen ein. Für Valerie als Vertreterin der Generation „Praktikum“ setzt sich heutzutage kein Politiker ein. Aber Valerie ist ein Beispiel für eine Frau, die sich selbst am Schopf packt und den alten Zopf abschneidet. Sie probt den Aufstand: widersetzt sich „Gegegebenheiten“, stellt Fragen an diejenigen, die sie bisher mit Halbwahrheiten abgespeist hatten, erforscht die Vergangenheit und macht sich so ein eigenes Bild von der Welt.

Zuerst entzieht die junge Frau sich mit Tricks dem gesellschaftlichen Druck, dem Verlierertum der Ausgenützten, und wird schließlich mit Mut zur Gewinnerin. Als Gewinn winkt nicht mehr und nicht weniger als die persönliche Freiheit. Es ist ein Plädoyer für den Lebenstraum, hier „Taschentraum“ genannt. Ein Liebesabenteuer führt nicht wie bei Balzac in die Verbitterung und wie bei Bachmann in die Leere sondern zum endgültigen Aufbruch. Eva Schörkhuber fordert mit diesem Roman eine Bildumkehr: Sie zeigt das, was man der jungen Generation abspricht, ein Engagement, das die ältere Generation nach gängiger Meinung für sich selbst beansprucht.

Beatrice Simonsen
26. November 2014

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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