Thomas Bernhard
Portrait
Es liest Hermann Beil
2 CDs
Spieldauer: 2 Std. 38 Min.
ISBN 3-938781-10-6
Bochum: tacheles! / ROOF Music, 2005
Die ausgezeichnete Buchbiografie des Berliner Germanisten Joachim Hoell aus dem Jahr 2000 bildet die Grundlage für das "Portrait" Thomas Bernhards. Die ausführliche Grundinformation in zweieinhalb Stunden Hörzeit über Leben und Werk des Autors wird ergänzt von Zitaten und Anekdoten und bleibt dabei seriös informativ. Die hochkarätige "Besetzung" Bernhard / Hoell / Beil hält, was sie verspricht: ein kurzweiliges und dabei genaues und einprägsames Bild des im wahrsten Sinne des Wortes "umstrittenen" Autors. Umstritten auch zu seinem 75. Geburtstag, den der 58-jährig Verstorbene im Februar 2006 gefeiert hätte.
Während Claus Peymann und Hermann Beil Thomas Bernhard in Berlin mit seinem Dramolett "Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese" unter dem Motto "Weltkomödie Österreich" feiern, muss Wien auf ein Bernhard-Revival noch bis zu den diesjährigen Wiener Festwochen warten. Nicht ohne Bissigkeit wird verlautet, dass das weit im Voraus ausverkaufte Stück nur vor Nicht-Österreichern gespielt werden sollte, ganz im Sinne "einer Bernhardschen Bestrafung".
Der aus Wien stammende und in Berlin lebende Dramaturg und Literaturkritiker Hermann Beil ist also ein geübter Bernhard-Vorleser, der sich erfreulicherweise der Information und nicht der Inszenierung verpflichtet. Auf Bernhard-Zitate muss er nicht extra verweisen, er forciert nur ein wenig Tempo und Tonfall und schon hat man sie im Ohr, die "typisch" Bernhard'sche Sprache. Die Qualität einer Buchbiographie, nämlich das Nachlesen von Daten und Ereignissen, das Stöbern in Bildern lässt sich "naturgemäß" (dieses Wort meide ich im Normalfall, da es ein Bernhard-Wort ist) nicht einlösen, doch gibt es immerhin ein ausführliches Booklet, das die wichtigsten Lebens- und Werkdaten enthält. Die Schlüssigkeit, mit der Beil / Hoell den Werdegang des Autors erzählt, verführt zu einer geradlinigen Nacherzählung, die zeigt, wie logisch ein Leben verläuft, wenn man es nur richtig zusammenfasst.
Thomas Bernhard wurde 1931 als uneheliches Kind in den Niederlanden geboren und ist in seinen ersten Lebensjahren der ganzen Trostlosigkeit seines und der Mutter Schicksal ausgeliefert. Als übermächtiges Vorbild wirkt der Großvater Johannes Freumbichler, der die eigene Fixierung auf sein Künstlerleben auf den Enkel überträgt. Die Armut, in der Thomas Bernhard zwischen dem Salzburgischen und Bayern vaterlos aufwächst, die daraus erwachsenden harten Lebensbedingungen und seine spätere Lungenkrankheit, die nationalsozialistische bzw. katholische Erziehung, die Folgen des Krieges sind das Fundament für Bernhards spätere literarische Arbeit. Ganze 50 Minuten - das ist ein Drittel der gesamten Hördauer - werden diesen Grundlagen des Bernhard'schen Werkes gewidmet, in die bereits zahlreiche Verweise auf den späteren literarischen Niederschlag eingearbeitet sind.
Höhepunkt und zugleich Wendepunkt dieser von erdrückender Härte geprägten Kindheit und Jugend ist die Einlieferung des 18-jährigen ins Spital mit "nasser Rippenfellentzündung", mit der der schwer Erkrankte ins Sterbezimmer verlegt wird und in dem sich niemand mehr um den zwischen Leben und Tod Schwebenden kümmert. "Der Atem. Eine Entscheidung" (1978) wird 30 Jahre später von dieser seiner Entscheidung zum Leben erzählen. Der Tod des dominanten Großvaters, der sich zeitgleich mit dem Enkel im selben Krankenhaus befindet, stirbt an Blutvergiftung. Thomas Bernhard erbt den Bücherkasten und die Schreibmaschine und entscheidet sich für das Künstlertum, denn, so sagt er später: "eine Arbeit nur um überleben zu können, davor ekelte ich mich".
Im "Portrait" wird das Bild eines Menschen gezeichnet, der festen Willens ist, "aufzusteigen", der Chancen wahrnimmt, Hilfe annimmt und sich selbst nicht im Wege steht. Hedwig Stavianicek, Carl Zuckmayer, Gerhard Lampersberg, Karl Hennetmair, Siegfried Unseld und Claus Peymann sind wichtige Wegbegleiter, die den Autor "weiterbringen", teils persönlicher, künstlerischer, geschäftlicher, finanzieller oder geistiger Natur, auch wenn sich diese Freundschaften mitunter in wütende Feindschaften verkehren. Fraglos findet keine künstlerische Karriere ohne entsprechende Qualität statt, dennoch zeichnet das Portrait eine Persönlichkeit, die es verstand, diese Qualität zu vermarkten.
Neben seiner journalistischen Ausbildung beim Salzburger Demokratischen Volksblatt (auf Empfehlung Zuckmayers) nimmt Bernhard Gesangs- und Schauspielunterricht (durch Unterstützung von Stavianicek) und legt eine Prüfung für Regie ab. Hier wird das "Kapital" aufgebaut, von dem Bernhard später lebt. Bereits jetzt zeigt sich ein pointierter, zu Übertreibungen neigender Stil, er findet Zugang zu Künstlerkreisen und lernt das Handwerk für den schauspielerischen Einsatz seiner eigenen Person wie auch der Dramaturgie seiner Theaterstücke. Thomas Bernhards erklärtes Ziel ist es, als Künstler nicht wie sein Großvater zu scheitern. Schreiben muss mit Erfolg gekoppelt sein, diesem Druck setzt er sich gezielt aus, nur mit dieser Selbst-Erpressung lässt er sich auf das Künstlertum ein.
Nach lyrischen Anfängen in den 50er Jahren wendet er sich der Prosa zu und schreibt sich mit "Frost" 1963 in die vordersten literarischen Ränge (nicht ohne sich eine "positive" Rezension von Carl Zuckmayer erbeten zu haben). Seine Theaterstücke machen ihn in den 70er Jahren zum meist gespielten zeitgenössischen Autor- durch die kongeniale Ergänzung, die er in Claus Peymann findet und dessen Dramaturg einige Jahre Hermann Beil war. Bernhards Stücke sind Bürgerprovokationen, die eine einzige österreichische Erregung darstellen. So wie bei ihm selbst Lachen und Weinen oft eins sind, sein tiefster Sarkasmus, sein bedrückendster Pessimismus immer auch eine groteske humoreske Note hat, wird sein Werk zwischen ehrlicher Empörung und beipflichtender Häme aufgenommen. Österreich ist ein "vaterländischer Kerker" bemerkte er bereits 1968 in seiner "Dankes"rede zum Kleinen Österreichischen Staatspreis für "Frost" und provozierte einen Skandal. Von dieser Haltung weicht er bis zum Schluss nicht ab und verabschiedet sich mit der "Österreichbeschimpfung" in "Heldenplatz", das 1988 kurz vor seinem Tod am Wiener Burgtheater aufgeführt wird. Aber (so 1968) "es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt".
In seinem Testament hat Thomas Bernhard ein 70-jähriges Publikations- und Aufführungsverbot für seine Werke in Österreich verhängt - das von einer Bernhard-Stiftung einige Jahre später außer Kraft gesetzt wurde: eine österreichische Lösung.
Beatrice Simonsen
31. März 2006
Originalbeitrag
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