Mord in der Mohrengasse. Schauspiel in drei Akten
Helmut Qualtinger liest aus dem Roman "Der ewige Spießer"
Aufgenommen im Juli 1967 in Wien
ISBN 3-902123-04-4
Spielzeit: 68 Min.
Preiser Records 2001
Eine interessante Wahl: "Mord in der Mohrengasse" ist das früheste der erhalten gebliebenen Dramen Ödön von Horváths. Laut Angaben des Bruders Lajos von Horváth dürfte das Schauspiel in drei Akten - gemeinsam mit einigen anderen dramatischen Arbeiten - in den Jahren 1923/24 entstanden sein. Die meisten seiner ersten Entwürfe hat Horváth aber wieder vernichtet. Auch "Mord in der Mohrengasse" ist lange im Verborgenen geblieben. Erst 1970 wurde das kurze Stück im Rahmen der Gesamtausgabe zum ersten Mal gedruckt. Theater hat sich allerdings damals keines dafür begeistern können, woran sich bis heute nichts geändert hat. Es ist also gar nicht hochgestochen, wenn im Begleittext zur CD, die Rede von einer "Uraufführung" ist. Vera Borek und Helmut Qualtinger, ein Schauspielerpaar, haben "Mord in der Mohrengasse" 1976 zum ersten Mal öffentlich gelesen. Ein Jahr später entstand diese Aufnahme, die eine höchst erfreuliche Rarität und schauspielerische Meisterleistung darstellt.
Über zwanzig Rollen teilen Borek und Qualtinger unter sich auf. Manchmal sprechen drei Frauen miteinander, und Borek muß die drei Figuren rein über die Sprache erfinden und voneinander abgrenzen. Winzige Nuancen in der Sprache machen schnell deutlich, wer spricht: eine markante Betonung, ein Timbre, eine langsame oder aufgeregte Art zu sprechen (Regieanweisungen werden in neutralem Ton zum Großteil mitgesprochen). Was Qualtinger und Borek leisten, ist aber mehr als bloß Stimmakrobatik, die Figuren sind klar gezeichnet, wie einer spricht, erzählt davon, wie jemand ist. Etwa der melancholische, getriebene Wenzel Klamuschke (getragene, müde Worte), der einen Überfall begeht, und im Zentrum des Stückes steht. Im Schmuckgeschäft begeht er einen Mord, am Schluß erhängt sich Wenzel in der Wohnung seiner Eltern. Die Kriminalhandlung im zweiten Akt ist umrahmt von zwei weiteren Akten, die jeweils in derselben gutbürgerlichen Wohnung, die sich als Familienhölle entpuppt, spielen.
"Mord in der Mohrengasse" ist insofern eine Entdeckung, als Horváth trotz mancher dramaturgischer Schwächen des Textes bereits sehr solide eine Stimmung zwischen Wachen und Träumen entwirft - was ein bißchen an die Stücke von Strindberg erinnert, aber auch spätere Horváth-Klassiker, wie die "Unbekannte aus der Seine", bereits andenkt. Der Ermordete tritt als Figur auf, dunkle Ahnungen und Ängste durchziehen den Ablauf.
Borek und Qualtinger betreiben keine billige Stimmungsmache. Geräusche fehlen ganz, es handelt sich schließlich auch nicht um ein Hörspiel, sondern um ein Mittelding zwischen Lesung und Theater. Theater im Kopf, bei dem zwei Stimmverwandlungskünstler am Werk sind.
Gewissermaßen aus "Bonustrack" liest Helmut Qualtinger dann noch rund 25 Minuten aus Horváths bekanntem Roman "Der ewige Spießer". Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1967. Qualtinger beginnt mit dem ersten Kapitel und liest mit leichten Kürzungen bis zum siebenten Kapitel - wir lernen also gerade noch das Fräulein Pollinger kennen.
Originalbeitrag
Karin Cerny
10. Jänner 2002