Spieldauer 73 min.
ISBN 3-0369-1207-X
Zürich: Kein & Aber Records 2003
"Liebenswürdig skurril" nennt der Standard in einer Rezension die kabarettistische Kunstfigur Helfried und findet sich damit neben Anderen auf der Rückseite der Helfried-CD zitiert, die kürzlich bei Kein & Aber erschienen ist und von Eichborn vertrieben wird. "Liebenswürdig skurril" scheint mir das Phänomen, das der junge steirische Kabarettist Christian Hölbling da buchstäblich entfacht hat, nicht wirklich zu treffen: "Beängstigend normal" kommt mir schon eher in den Sinn angesichts dieses Prototyps eines neurotischen Lehrers, der sein Weltbild vor dem Kabarettbesucher (respektive Hörer) ausbreitet.
Geprägt von Vereinsamung ist dieses Weltbild, und von dem Sadismus eines Menschen, der mit diesem letztlich nicht auf seine Mitwelt zielt, sondern auf das eigene, bedrohlich vitale Seelengekröse. Verknappt wiedergegeben, sagt er an einer Stelle des Programms etwa: "Lebensenergie ist das, was da überall im Körper ist, was ... keine Ruh' gibt." Im Helfried-Programm geht es, bildhaft gesprochen, um den Druckkochtopf, den das Leben aus so Manchem macht. Zugegebenermaßen geht es durchaus mitunter "skurril" zu, etwa wenn Hölbling die spießige Zweckbewußtheit auf die makabere Spitze treibt, wenn er Helfried den Konsum von Haustieren zu Nahrungszwecken empfehlen läßt (Spanrottweiler, Meerschweinsbraten im eigenen Saft et al.). Aber "liebenswürdig"?
Es mag sein, daß viele mit der tatsächlichen Existenz des hier parodistisch aufbereiteten Typus Mensch nur umgehen können, indem sie die allzu offensichtliche Deformiertheit in Liebenswürdigkeit umdeuten (im Englischen würde derselbe Rezensent wohl geschrieben haben, Helfried sei "quite a character", neutraler, aber ebenso relativierend). Und hier erst setzt Hölbling meiner Meinung nach tatsächlich an: Dies- UND jenseits des Grenzstreifens zwischen dem, was die meisten von uns aus dem Schulsystem kennen, und dem, was selbst dieses zur pathogenen Ausnahmeerscheinung erklären müsste, bewegt sich die Figur Helfried und mit ihr der Kabarettbesucher, der sich so mit einer Infragestellung der eigenen Normalität konfrontiert sieht, die nicht sofort verortbar ist und also im Rezipientenbewußtsein ordentlich nachzuhallen verspricht.
Der Hörer der CD freilich hinkt da etwas hinterher. Das Programm schöpft seine Vitalität und Verfremdungskraft über weite Strecken aus dem Auftreten Hölblings, den Grimassen und kleinen Verkleidungen, von denen die Reise durch die verschiedenen Verkorkstheitsebenen Helfrieds begleitet und unterstrichen wird. Das übersichtliche Programm im Booklet kann dieses Hindernis nicht wirklich beheben.
Was allerdings - meinem bescheidenen Dafürhalten nach - auf der CD machtvoller schreckt und zu verzerrtem Lachen reizt als im Programm, das sind die verfremdeten Schlager aus den 20er und 30er Jahren, die Helfried mit Unterstützung des Trios "Fürchtet Euch Nicht" zum Besten gibt. Auch strukturieren sie das Rezeptionserlebnis des Hörers viel besser, als sie das beim Zuseher vermöchten, ist dieser doch nicht auf die Musik als Extra-Stimulus angewiesen, wenn da vor ihm die Karikatur des Klassenvorstands auf der Bühne herumturnt. Gerade an ihnen wird auch klar, daß die Tradition, in der Hölbling steht, eher die eines Georg Kreisler oder eines Helmut Qualtinger ist, als die des neueren österreichischen Kabaretts à la Resetarits - die zum Wahnsinn geronnene Normalität gebiert Gelächter über Ungeheuer, die wir durchaus auch ohne das Vergrößerungsglas Bühne als solche erkennen könnten, wenn wir nur wach genug durch die Welt gehen würden.
Originalbeitrag
Stefan Schmitzer
20. Mai 2003