Hörspiel
Sprecher: Gerd Anthoff, Konstantin Bülau, Almut Zilcher, Rosalinde Renn u. a.
Regie: Claudia Johanna Leist
(Bearbeiter: Helmut Peschina)
Westdeutscher Rundfunk Köln in Co-Produktion mit dem ORF 1999
Spielzeit: 54:16
ISBN 3-85004-017-8
Waku word, Edition 'Hörspiel' 6
Thomas Sessler Verlag 2000
Es ist, als wollte man es einfach nicht wahrhaben. Aus der bieder gescholtenen Schriftstellerin der fünfziger und sechziger Jahre ist nun zwar die Klassikerin Marlen Haushofer mit Kult-Status geworden, doch selbst durch Hinzufügung eines weiteren Buchstabens an den Vornamen wird sie nicht zur weltgewandten Diva ähnlichen Namens mit hohem Vermarktungswert - auch wenn dies verlegerische Nachlässigkeit (als bessere Annahme) oder kaufmännisches Kalkül so wollen. Nimmt man aber auch nur an, dass allein die Verpackung ein wenig Glamour suggerieren wollte, so steht dies zudem in direktem Widerspruch zum wiedergegebenen Text. "Der Wassermann" ist ein Fragment gebliebenes Hörspiel aus den frühen fünfziger Jahren, in das Marlen Haushofer die kleinste ihr denkbare Welt eingeschrieben hat. Ein altes Landhaus mit angrenzendem Garten inmitten ländlicher Idylle (als wiederkehrendes Motiv in Haushofers Werk) ist Schauplatz einer sich anbahnenden Familienkrise. Der fünfjährige Nandi soll nach dem Willen des angereisten Vormundes Dr. Adrian Gayen zwecks besserer Erziehung in die Stadt gebracht werden. Diesem Vorhaben setzen sich Dr. Benedikt, der Großvater, ein pensionierter Landarzt, seine beiden Töchter und Schwestern der bei der Geburt verstorbenen Mutter des Kindes, Susi und Klara, sowie die Hausmagd Sophie subtil zur Wehr: mit scheinbarem Verständnis bzw. charmantem Geplänkel (Susi), Gesprächsverweigerung (Klara), Ausweichen (Dr. Benedikt) sowie verschlüsselter Drohung (Sophie).
Dazwischen steht Nandi, der in einem animalistischen Naturerleben im Garten mit dem Lattenzaun in eigenen Verhandlungen steht, denn nur dieser bietet Schutz vor dem dahinter in einer Schlucht lebenden Wassermann (inhaltlich ident ist dieser Teil mit einer 1956 publizierten gleichnamigen Erzählung der Autorin).
Dramaturgisch geschickt aufgebaut und durchaus spannend lenken die letzten Gespräche Susi und den Anwalt Adrian Gayen zu einem Steg über diese Schlucht, wo sich der weibliche Gesprächspart immer stärker dämonisiert und in das Grollen des 'Wassermannes' gegen den männlichen Eindringling mischt. Mit dem Topos des undefinierten Todes / Unfalls / Mordes in freier exponierter Natur (als eines der letzten Beispiele in der österreichischen Literatur steht hier "Anklage Vatermord" von Martin Pollak, 2002) endet das Haushofersche Hörspiel - und wird damit auch zu einem guten Teil erkennbar als Stück aus der Werkstatt des medienerfahrenen Autors Helmut Peschina. Denn Haushofer hat in ihrem Entwurf als Konfliktlösung das Melusinenthema bzw. jenes der weiblichen Verführung des Eindringlings vorgeschlagen. Der Bearbeiter hingegen greift den Mythos um einen verschollenen Roman Haushofers aus den fünfziger Jahren auf, in dem einige Frauen auf sorgsam ausgeklügelte Art einen hassenswerten Mann aus dem Weg räumen, ohne dass sie als Täterinnen belastet sind. Hat doch die Autorin selber in ihrem Typoskript, in einer gestrichenen Passage Susi sagen lassen: "... und wenn alles nicht wirken sollte, werfen wir ihn dem Wassermann in der Schlucht zum [Fraß vor]."
Rechtfertigt sich von daher vielleicht noch der 'neue' Schluß, scheinen weitere Veränderungen aber dort bedenklich, wo sie aus einem fragmentarisch gebliebenen Text von neunzehn Druckseiten ein nahezu einstündiges homogenes Hörspiel bilden, in dem die inhaltlich-strukturellen Schwächen mittels neuer Argumentationshilfen und Handlungsstränge beseitigt worden sind (Nandi ist Autist; der Tod der Mutter wird durch kaum der Haushoferschen Diktion entsprechenden Elemente erklärt: so sei sie 'vergewaltigt' worden). Verbrämt wird damit - auch durch das Nicht-Anführen des Bearbeiters im äußerst lieblosen Booklet - die Tatsache, dass für Marlen Haushofer das Hörspiel-Schreiben Nebenprodukt ihres eigentlichen literarischen Tätigkeitsfeldes, der Prosa, war, das sie nach eigenen Aussagen nachlässig betrieben und durch finanzielle Engpässen oder unproduktive Arbeitsphasen gerechtfertigt sah. "Der Wassermann" ist von den drei textlich überlieferten Hörspielen bzw. einem Fernsehspiel ihre schwächste Arbeit für diese Medien und dies nährt den Verdacht, dass mehr markwirtschaftliches Interesse denn literaturwissenschaftliche Kenntnis diese Hörspiel-Produktion bewirkte.
Haushofers Text, eindeutig orientiert an der Hörspielästhetik der frühen fünfziger Jahre (Illusionshörspiel) und dem Sprechtheater, gewinnt jedoch durch die Bearbeitung, die im Gegensatz zum Basistext die hörspieltechnischen Möglichkeiten nutzt (Musik, Geräusche, Dramaturgie) an Brisanz, Aktualität und auch Tiefe. Ein Haushofersches Meisterwerk ist er auch damit nicht geworden. Dass der Coautor so dezent behandelt wurde, lag vielleicht dann auch in seinem eigenen Interesse und in einer schwierigen Werkgenese.
Originalbeitrag
Christine Schmidjell
9. Juli 2003