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Odön von Horváth: Kleine Leute

Sprecher: Martina Gedeck, Wolf Euba
Hrsg.: Elisabeth Tworek
2 CDS
Spieldauer: 79:10 Min., 77:34 Min.
ISBN 3-550-09091-9
München: Ullstein Hörverlag, 2003

Es ist eine gute Idee, Ödön von Horváths Figurengalerie aus der Weimarer Republik, die stimmige soziale Zustandsbilder zur Vorgeschichte des Nationalsozialismus liefert, in einer Höranthologie zu erschließen. Wie das Ergebnis zeigt, ist dabei, vielleicht mehr noch als bei Buchanthologien, ein klares und durchschaubares Konzept unabdingbar.

Da Horváth Figuren und Konstellationen in Prosaminiaturen, dem Romanfragment "Sechsunddreißig Stunden" und dessen Neufassung unter dem Titel "Der ewige Spießer" wiederholt aufgreift und variiert, begegnen dieselben Themen und Situationen an verschiedenen Stellen wieder. Mehr als die Hälfte der Textauszüge der Sammlung "Kleine Leute" ist diesen beiden Romanversionen entnommen. Dass inhaltliche Bezüge in der zeitlichen Abfolge der Handlung bei der Zusammenstellung der Höranthologie keine Rolle spielen, dürfte bei Nichtkennern des Horváthschen Werks so einige Verwirrung auslösen, zumindest müssen Zusammenhänge dabei verloren gehen. Wenn wir auf der ersten CD im dritten Text Herrn Kobler auf der Reise nach Barcelona kennen lernen, aber erst auf der zweiten CD die Vorgeschichte des windigen Autoverkaufs nachgeliefert wird (auf den in der Folge noch einmal zurückgekommen wird), können diese beiden Szenen nur durch entsprechende Vorinformation der Hörer zu einander in Beziehung gesetzt werden. Herr Kobler wird im Titel wie im Booklet hartnäckig als "Schieber" bezeichnet, ebenso wie der Herr Kastner, was zwar das etwas Windige ihrer Existenz ausdrücken soll, ihnen und den ausgewählten Erzählabschnitten aber doch nicht ganz gerecht wird. Im Stück "Der Schieber Alfons Kobler" etwa geht es zudem mehr um seine moralisch dubiose Beziehung zur alternden Diva, die mit ihrem Geld seine Geschäfte finanziert.

Für Verwirrung sorgen bei der gewählten personenbezogenen Abfolge natürlich auch die wechselnden Namen, die Horváth seinen Figuren in den unterschiedlichen Textstufen zu geben pflegt, etwa seinem Fräulein aus der Schellingstraße. Das wiegt hier umso stärker, als die eher uninspirierten Titel der einzelnen Szenen zumeist Figurennamen in den Mittelpunkt stellen und damit eine Schwerpunktsetzung auf die jeweilige Figur suggerieren, auch wenn das der jeweilige Text nicht notwendig einlöst. Manchmal verblüffen besonders abrupte Schlüsse."Der ausschlaggebende Grund war eine geschäftliche Differenz" - so endet der erste Beitrag auf der zweiten CD, doch leider hören wir nicht mehr, worin diese Differenz bestand.

Trotzdem überzeugt die Figurengalerie natürlich an vielen Punkten in der für Horváth typischen Art, mit lapidaren und desillusionierenden Formulierungen den Kern des Problems schmerzhaft unverblümt und mit einfachsten sprachlichen Mitteln bloßzulegen. Manche der Episoden gewinnen in der akustischen Präsentation eindeutig an Drastik, etwa der Besuch des Hausbesitzers Franz Xaver Loibl in der Buchhandlung oder die Portärts des Grafen Banquez und der Witwe Perzl. In den besten Momenten sind Horváths Texte so überzeugend, dass ihnen auch eine nicht immer optimale Präsentation nichts anhaben kann. Während Wolf Euba mit klarer Stimme und gezielt eingesetzten kraftvollen Dialekteinschlägen in den Dialogen - der rasche Wechsel zwischen bayrisch und "preussisch" steht ihm mühelos zu Gebote - den Ton durchaus gut trifft und die Gefahr des Outrierens zu vermeiden weiss, arbeitet Martina Gedecks eher gefühliger Vortrag der Kälte und Schärfe der Texte mitunter entgegen. Ihre verhaltenen Schwierigkeiten mit scharfen S-Lauten und die überstarke Betonung des Umlaut-A sorgen für einige Hörüberraschungen.

Sehr positiv ist, dass sich der Ullstein-Hörverlag hier zur Produktion eines umfangreichen Booklets entschlossen hat. Der Text stammt von Dr. Elisabeth Tworek. Wünschenswert wäre gewesen, dass hier die Auswahl der Höranthologie ihre Erklärung und Begründung findet. Das ist leider nicht der Fall. Das Booklet liefert eher allgemeine Hintergrundinformation zu Leben, Werk und Zeithistorie. Einige Formulierungen und Aussagen würde eine Debatte durchaus lohnen. "Weil er unbedingt weiter für das Theater arbeiten will, tritt er am 11. Juli 1934 dem nationalsozialistischen 'Reichsverband Deutscher Schriftsteller' bei" - lautet etwa der Satz vom unzureichenden Grunde, den nach 1945 viele für sich in Anspruch nahmen.

Liest man das Booklet nachdem man die CDs gehört hat, wirken einige Aussagen, als wäre hier von einem ganz anderen Autor die Rede. "Horváth idealisiert die 'kleinen Leute' nicht", heißt es da etwas überraschend, denn dieser Gedanke kann beim Hören der Texte auch kaum aufkommen; oder "Sie [die kleinen Leute] halten nach dem Ende der Monarchie die Welt zusammen, als sie aus den Fugen zu geraten droht. Doch niemand dankt es ihnen", oder "Ödön von Horváth zeigt in seiner Literatur eine Welt, die immer nur sich selbst reproduziert und schließlich - wie zum Selbstschutz - den Nationalsozialismus hervorbringt". Das Schlusskapitel liefert Überlegungen zum Spießer von heute: "So eignen sie [die ewigen Spießer] sich 'jede neue Formulierung der Idee' an. Bei 'I can't get no satisfaction' sind sie mit Herz und Seele dabei, bei 'Take a walk on the wild side' singen sie inbrünstig mit." Das wirkt vielleicht nicht ganz heutig, doch sollte man die Chance dieser Höranthologie nutzen, Horváth als spannenden und zeitgemäßen Autor für sich (wieder) zu entdecken.

 

Evelyne Polt-Heinzl
4. Dezember 2003

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