Gelesen von Christian Baumann
2 Kassetten
MONO
ISBN: 3-89584-101-3
Spielzeit: 180 Min.
Der Hörverlag 2000
Paris kann warten. Wir lernen Dominik, fünfzehn Jahre alt, aber ganz schön lebenserfahren, im Zug kennen. Dem unguten Schaffner knallt er den Fahrscheindrucker gegen die Nase, und im Schlafwagen fällt dem Jungen ein Revolver in die Hände. Nach Paris kommt er nicht, er landet wieder in Wien. Dort, wo sein Revier ist. Dominik lebt in einer WG für "verhaltensauffällige" Jugendliche, sein Geld verdient er mit Nobelprostitution. Die betuchten Damen, die er in ihren Dachterrassenwohnungen besucht, kochen gerne für ihn, bevor es zur Sache geht, und Dominik erzählt ihnen dann beim Essen Geschichte aus seinem turbulenten Leben. Wir erleben einen Geschichtendealer bei seiner Arbeit.
Paulus Hochgatterer hat mit dem Roman "Caretta Caretta", 1999 bei Deuticke erschienen, eine überaus sympathische Figur geschaffen. Jemand, der sich durchs Leben schlägt, aber ein Menschenfreund geblieben ist. Hochgatterer erzählt, ohne zu moralisieren. Und schickt seinen Helden auf eine ziemlich romantische und recht abenteuerliche Suche nach der sagenumwobenen Karettschildkröte auf einer griechischen Insel. Gemeinsam mit einem Freier, der Krebs hat und nicht mehr lange leben wird, und einer stillen Frau aus seiner WG, brechen die drei auf. Es kommt natürlich vorerst alles anders als gedacht. Sie landen nicht in Griechenland, sondern in der Türkei, die schmerzstillenden Drogen für den Kranken verbrauchen sich schneller als gedacht, und die Schildkröten ... Aber, man soll nicht zu viel verraten.
Der Roman hat ein ansteckendes Tempo. Christian Baumann, der liest, hat diesen coolen, lakonischen, aber auch staunenden Tonfall, der gut zu Dominik paßt, ein Jugendlicher, der zwar abgebrüht, aber trotz allem ein Jugendlicher ist. 1967 geboren ist er zwar mehr als doppelt so alt wie die eigentliche Figur, aber das schadet nicht wirklich. Der Ton zählt. Baumann hat seine Sprecherausbildung beim Bayerischen Rundfunk gemacht und eine Schauspielausbildung am Schauspiel München absolviert. Lustig ist, wenn Baumann mit deutscher Betonung Wiener Straßen liest. Dann wird aus der Táborstraße die Tabórstraße. Auch das ist nicht schlecht, schließlich hat die Zeitung "Die Woche" über "Caretta Caretta" geschrieben: "Literatur, wie sie realistischer und spannender nicht in Amerika oder sonst wo hätte geschrieben werden können."
Originalbeitrag
Karin Cerny
30. Jänner 2002