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Leseprobe 1
Prolog Alles kam anders, da sie auftauchten. Nie hätte er gedacht, noch einmal in diesen endlosen Kampf hineingezogen zu werden. Man konnte zwar gegen die eigene Bestimmung ankämpfen, doch niemals würde man sie besiegen. Das Schicksal war unabwendbar. Vor allem, wenn man so wie er war. ![]() Vor ihm drängte sich eine Horde Menschen. Er musste verrückt sein, ansonsten hätte er sich niemals an einem Freitagabend für das Einkaufszentrum entschieden. Er wusste selbst nicht, warum es ihn ausgerechnet hierher verschlagen hatte, obwohl er lediglich ein paar Lebensmittel benötigte, um das Wochenende zu überstehen. Schließlich wünschte er sich gerade nichts sehnlicher, als endlich wieder allein zu sein: fernab von all dem Gedränge, dort, wo Stille und Einsamkeit auf ihn warteten. Wieder und wieder rempelten sie ihn an. Natürlich, ohne sich umzudrehen, geschweige denn sich bei ihm zu entschuldigen. Ihre Arroganz und Selbstverliebtheit wurde von Jahr zu Jahr beängstigender. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie weit sie noch abstürzten. Aber dass es geschehen würde, daran bestand kein Zweifel. Links vor sich, am Ende des breiten Ganges, entdeckte er bereits das Lebensmittelgeschäft. Wenige Schritte vor dem Eingang durchfuhr ihn ein merkwürdiges, vor allem aber unangenehmes Gefühl. Es war ihm vertraut und fremd zugleich, da es zu jener Zeit in seinem Leben gehört hatte, die er eigentlich hinter sich lassen wollte. Und doch schien es seine Bestimmung zu sein Sein Blick irrte umher, seine Sinne schärften sich mit jeder Sekunde. Sein »altes Ich«, das lange, lange im Schlaf gelegen hatte, war zurückgekehrt. Da sah er, dass sie zu dritt waren. Er konnte nicht begreifen, weshalb er sie nicht sofort erkannt hatte. Das, was sie ausmachte, war schließlich kaum zu übersehen, sie gehörten eindeutig zu ihm! Verflucht! Was, wenn sie hinter ihm her waren? Was, wenn er ihn tatsächlich aufgespürt Im nächsten Moment, als er abrupt zum Stehen kam, begriff er, dass sie nicht hinter ihm her waren, dennoch schienen sie jemanden zu verfolgen. Ihr Ziel war ein junger Mann, schätzungsweise Mitte zwanzig, der ebenfalls auf den kleinen Laden zuhielt. Natürlich wusste er selbst ganz genau, was das Trio mit dem Unbekannten vorhatte, folglich hätte er eigentlich sofort auf dem Absatz kehrtmachen und verschwinden müssen. Doch aus irgendeinem Grund blieb er stehen und setzte sich weiter der Gefahr aus, erkannt zu werden. Mit einem Mal explodierte vor ihm ein gleißend grünes Licht im Zentrum, das sich unaufhörlich ausweitete. Es war zu spät! Unfähig musste er mit ansehen, wie sich die Menschen um ihn herum auflösten, als hätten sie niemals existiert. Selbstverständlich war dies ein Trugschluss, denn sie alle wurden lediglich in einen anderen Raum, eine Dimension zwischen den Zeiten, versetzt. Damit sie in aller Ruhe ihr Vorhaben umsetzen konnten. Er hätte fliehen sollen, solange es noch ging! Nun stand er hier, zusammen mit dem Trio, gefangen und vollkommen auf sich gestellt. Einer der Männer wandte sich zu ihm um. Er kannte ihn sehr gut sogar. Ihr Anführer! Seine Lippen öffneten sich, und ein Ausdruck des Erstaunens legte sich über sein Gesicht, doch noch ehe seine Worte an Klang gewannen, brach die Decke über ihnen auf, und Trümmerteile prasselten auf sie herab. Sieben geflügelte Männer setzten auf dem Boden auf und griffen an. Mit Schwertern, Stäben oder Speeren bewaffnet, stürmten sie auf das Trio zu. Grelle Blitze zuckten. Stürme erwachten. Flügel gefroren. Alle Eindrücke schlugen, einem Hagelschauer gleich, auf seine Netzhaut ein, doch diesmal gewann sein Überlebensinstinkt die Oberhand und somit auch der Drang zur Flucht. Er musste fort! Er durfte nicht noch einmal Teil dieses verdammten Krieges werden! Hastig wirbelte er herum und lief lief, so schnell die Füße ihn trugen. Nur Augenblicke später hallte ein gewaltiger Donner durch die Flure des Einkaufszentrums. Das grünlich schimmernde Licht, das sich zuvor wie eine Glaskuppel über das ganze Gebäude gelegt hatte, löste sich auf wie feiner Nebeldunst, ehe es gänzlich verschwand. Mit einem Mal zerbrach die Stille. Erst jetzt stürzte die hintere Außenwand ein. Teile des Daches schlugen auf die bereits zu Boden gestürzten Trümmer, entsetzte Schreie gellten umher und begleiteten die Tragödie, welche noch Tage später Stadtgespräch sein würde. Doch erst herrschte Chaos. Begegnung des Schicksals Damon rieb sich auf dem gepflasterten Bürgersteig verschlafen die Augen. Obwohl es bereits zehn und er seit gut drei Stunden wach war, schien dieser Umstand an seine Sehnerven noch nicht herangetreten zu sein. Die Umgebung hier mitten in der Innenstadt nahm er nur verschwommen wahr, alles wirkte falsch und surreal, wie sein ganzes Leben. Zum Glück kannte er den Weg zur Bäckerei bereits in- und auswendig. Er wusste haargenau, dass es nur noch zwölf Schritte waren, bis er vor dem kleinen Laden stehen würde, dem bereits seine Mutter die Treue gehalten hatte. Diese Tatsache kannte er jedoch nur aus Erzählungen. Er selbst hatte seine Mutter nie kennengelernt. Bedrückt senkte Damon den Kopf und starrte zu seinen Füßen hinunter. Wie sie Schritt für Schritt meisterten, ohne zu ermüden! Sein ganzes Leben über würden sie ihn tragen, wohin er auch wollte. Doch wohin wollte er eigentlich? Schon allzu oft hatte er sich diese Frage gestellt, doch nie eine Antwort darauf gefunden. Er war schließlich erst vierzehn und völlig von seinem Vater und dessen üblen Launen abhängig. Wen kümmerte da schon, was er vorhatte? Wie in Trance drückte er die dunkelbraune Holztür auf und trat in das Geschäft, wo ihn der Duft von frischem Gebäck einhüllte, als wären es Fäuste, die seine Nasenflügel malträtierten. Sofort bekam er unbändigen Appetit. Sein Magen knurrte, was ihn daran erinnerte, heute noch nichts gegessen zu haben. Frau Maro begrüßte ihn wie jedes Mal mit einem herzlichen Lächeln. Sie sprach seinen Namen stets so liebevoll aus, wie er es noch bei keinem anderen Menschen erlebt hatte. Damon hingegen nickte und grüßte mit einem matten »Guten Morgen, Frau Maro«. »Ach Junge. Wann fängst du endlich an, mich Maria zu nennen, wie ich es dir schon tausendmal vorgeschlagen habe?« Auch diesen Satz hörte Damon immer, wenn er die Bäckerei betrat, und es würde sich wohl auch in Zukunft nicht ändern. Er hatte nämlich nicht vor, die Verkäuferin jemals zu duzen, egal wie gut sie sich auch verstanden. Er wollte lediglich Freunde beim Vornamen nennen, auch wenn er davon nicht gerade viele besaß. Zwei, um genau zu sein. »Vielleicht morgen, Frau Maro«, antwortete er scheinbar gut gelaunt. »Wers glaubt. Nicht mal der Tag des Herrn wird bei dir eine Veränderung herbeiführen.« Obwohl die Worte hart waren, klangen sie bei Frau Maro trotz allem freundlich und keinesfalls beleidigend. »Was kann ich denn an diesem sonnigen Samstagmorgen für dich tun?« »Mein Vater hat für heute Nachmittag ein paar Geschäftskunden eingeladen und mich gebeten, ein wenig Gebäck für sie einzukaufen.« »Mal was ganz Neues«, witzelte Frau Maro und schnappte sich sogleich eine großzügige Papiertüte. »Ich pack dir eine schöne Mischung zusammen. Ist das in Ordnung für dich?« Damon nickte nur. Die Frage war sowieso nur obligatorisch gewesen. In Wirklichkeit hätte sie ihre »Spezialmischung« auch ohne seinen Zuspruch zusammengestellt. Doch ihm war es nur recht, so musste er sich wenigstens keine Gedanken über diese sinnlose Aufgabe machen. Nachdem Frau Maro fertig war, überreichte sie ihm die Tüte, er zahlte und ließ ihr ein kleines Trinkgeld da. Irgendwie hatte er immer das Gefühl, ihr einen Gefallen zu schulden. Sie nickte ihm zu, und gerade, als er sich verabschieden wollte, hielt sie ihn mit einem Kommentar auf, der ihn frösteln ließ. »Das mit deiner Mutter tut mir wirklich leid, Damon. Sie war eine gute Seele. Es ist so ungerecht, dass sie dir genommen wurde, kaum dass du auf der Welt warst.« Er stand mit dem Rücken zu ihr. Seine Finger krampften sich immer fester um die braune, bedruckte Papiertüte. Er wollte auf etwas einschlagen, schreien, weinen, zusammenbrechen alles auf einmal und möglichst tausendmal hintereinander. Doch er konnte nicht. Er durfte diesen Gefühlen nicht nachgeben. Ansonsten würden sie ihn über kurz oder lang verschlingen. Deshalb setzte er ein gekünsteltes Lächeln auf und blickte über die Schulter zurück. Er konnte Frau Maros trauriges, ehrlich bedrücktes Gesicht nicht länger ertragen. Es berührte sein Herz, das er doch so sorgsam hinter unzähligen eisigen Schutzschichten verschlossen hatte. »Danke, Frau Maro. Ich weiß das wirklich zu schätzen.« Mit diesen Worten stürzte er regelrecht aus der kleinen familiären Bäckerei, ohne sich noch ein weiteres Mal umzusehen. Erst als er um die Ecke gebogen war, wagte er es, die Schritte zu verlangsamen und blieb stehen. Doch sein Herz hörte nicht auf, wie wild zu hämmern. Eine Träne hing in seinem Augenwinkel. Hastig wischte er sie fort und machte sich auf den Weg nach Hause. Nachdem er sich vom eigenen Gefühlsausbruch halbwegs erholt hatte, beschlich ihn eine merkwürdige Empfindung, die er so noch nie gespürt hatte. Gut die Hälfte des Nachhauseweges war geschafft, als er mitten auf dem Bürgersteig verharrte, um sich innerlich zu wappnen. Etwas stimmte hier nicht! Er fühlte sich beobachtet, spürte ganz deutlich einen Blick im Rücken, als würde er völlig nackt dastehen. Instinktiv sah er sich um, spähte jeden noch so kleinen Winkel der Straße aus, bis er endlich das Offensichtliche wahrnahm: einen Schatten, der gerade in der Seitengasse zu seiner Linken entschwand. Ohne zu überlegen oder auf den Verkehr zu achten, rannte Damon auf die Straße, um kurz darauf ebenfalls in die Seitengasse einzutauchen, in welcher der Schatten verschwunden war. Dieser hatte zu einem Mann gehört. Einem Beobachter. Damon fragte sich, was er von ihm wollte. Zwar kannte sich der Junge in der Altstadt recht gut aus, doch diese verwinkelte Gasse war ihm völlig fremd, weshalb er auch keine Ahnung hatte, wo er am Ende herauskommen würde. Andererseits spielte das auch keine Rolle, schließlich interessierte ihn viel mehr, wo der mysteriöse Unbekannte abgeblieben war. Dann, eine Abzweigung später, stand Damon plötzlich vor ihm, drückte sich hastig an die Wand und blieb eingehüllt in dunkle Schatten, welche sicher gerade einmal seine Silhouette preisgaben. Erschrocken von dem plötzlichen Ergebnis der Verfolgung hielt er den Atem an. Erst Sekunden später trat er auf den Mann zu. Der Fremde saß auf dem Boden, lehnte mit dem Rücken an der Wand und hatte die Arme eng um den flachen Bauch geschlungen. Kaum bemerkte er Damons Regung, zuckte er unweigerlich zusammen, versuchte aufzustehen, brach aber kurz darauf wieder zusammen. Mit einem qualvollen Aufschrei rutschte er an der Wand hinab und blieb am Boden liegen. Ein fahler Lichtschein über dem Fremden hatte dabei jedoch den Blick auf seine linke Gesichtshälfte freigegeben, Damon konnte eine lange Schnittwunde unterhalb eines Auges ausmachen. Er hatte es sich also nicht eingebildet: Der Mann schien wirklich verletzt zu sein! Obwohl Damon zuvor gar nicht gewusst hatte, dass er so etwas wie einen Beschützerinstinkt besaß, meldete sich dieser nun abrupt. Ohne weiter zu zögern, ging er schnellen Schrittes auf den Mann zu und trat zu ihm, in die Schattenwelt. Er konnte jedoch lediglich einen Bruchteil an Verletzungen erkennen, und zu allem Überfluss kam ihm noch eine völlig bescheuerte Frage zur Begrüßung über die Lippen. »Kann kann ich Ihnen helfen?« Als der Fremde zu ihm herauf und direkt in den Lichtkegel sah, wurde auch eine Brandwunde an der Stirn sichtbar. Damon wich unbewusst einen Schritt zurück, was ihm sofort leidtat. »Entschuldigung ich wollte nicht « Doch der Mann winkte ab, nein, er lehnte sich ihm entgegen, und packte mit der Rechten Damons linken Unterarm. Erneut wollte der Junge zurückweichen, diesmal jedoch aus eigenen Stücken. Nur war der Griff des Fremden nahezu unmenschlich stark. Es gab kein Entkommen. Mit schmerzverzogener Miene starrte er in Damons kristallklare blaue Augen. Erst Sekundenbruchteile später brach es aus ihm heraus: »Nicht ins Kranken haus « Dann sank er in sich zusammen. Sein Griff verlor an Halt, sein Oberkörper schlug hart gegen die Wand hinter ihm, ehe der Unbekannte bewusstlos zur Seite sackte. Damon stand währenddessen einfach nur da zuerst unfähig, sich zu bewegen. Er begriff weder die Situation, noch hatte er auch nur den Hauch einer Ahnung, was er jetzt tun sollte. Doch der wahre Grund, der ihn dann erzittern ließ, war das rechte Auge des Mannes. Denn an seiner statt klaffte ein dunkles Loch! Weitere Leseproben
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