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![]() Leseprobe 3
Warum ich hier bin Abermals keimte ein Windhauch auf und ließ sein blondes Haar aufwehen. Trotz der Lederjacke, durchfuhr ihn ein leichter Schauer, als er die Weite des toten Landes betrachtete. Er hatte sich von dem Baum gelöst und stand nun breitbeinig und entschlossen da. Vor ihm erstreckte sich ein schlangenförmiger, dunkelgrüner Fluss, dessen Ende nicht ersichtlich war, zumindest nicht für Menschenaugen. Ein letzter, tiefer Atemzug dann war er bereit. »Uriel«, flüsterte er in den Wind und ließ ihn sein Wort davontragen. Schweigen. Stille. Nicht mehr »Uriel«, ertönte es erneut aus Damons Mund. »Uriel, ich ich weiß es nun « Ehrliche Worte, die auf Reisen gingen und obwohl sich weiterhin nichts regte, hatte Damon keine Zweifel daran, dass sein Ruf erhört wurde. Wie damals auf dem Spielplatz, vor einer gefühlten Ewigkeit. Ein Lichtblitz blendete ihn. Doch nur kurz, dann stand er neben ihm, als wäre es das natürlichste auf der Welt. Und vermutlich mochte es auf den Erdengel sogar zutreffen. Uriel sah auf Damon herab, musterte dessen entschlossenen Gesichtsausdruck und nickte kaum merklich, ohne dabei ein Wort zu verlieren. Damon wusste, dass es an ihm lag, das Gespräch zu eröffnen. »Ich weiß jetzt, warum ich hier bin«, sprach er mit Stolz in der Stimme. »Das freut mich zu hören, junger Messias«, sagte Uriel in seiner gewohnt ruhigen Tonart, als würde er nur zur Hälfte an diesem Ort verweilen, während der andere Teil seines Geistes in der Ferne wohnte. »Und wie lautet deine Antwort?« Damon sah zur anderen Seite, ehe er antwortete. »Ich bin hier, weil ich Eve, obwohl sie tot ist und ich genau weiß, dass sie gestorben ist, immer noch spüre.« Seine rechte Hand wanderte auf seine linke Brust und verharrte dort. »Mein Herz sagt mir, dass sie noch lebt, Uriel. Ich weiß nicht wie das möglich ist, aber irgendwo wartet Eve darauf, von mir zurückgeholt zu werden. Deswegen bin ich hier.« Uriel runzelte kurz die Stirn. Seine ungewöhnlichen Augen verloren sich in der Ferne, ehe er die Konversation neu aufnahm. »Und das ist alles, junger Messias? Mehr hat dich nicht dazu verleitet, nach mir zu rufen und dich in das Reich der Toten bringen zu lassen?« »Doch, Uriel«, erwiderte Damon und suchte nun von sich aus Blickkontakt mit dem hochrangigen Engel. »Wie du schon angedeutet hast. Ich bin nicht allein wegen Eve hierhergekommen, auch wenn es mein erster und wichtigster Beweggrund war.« »Dann sag mir, junger Messias. Warum bist du noch hier?« Doch anstatt die Stimme zu erheben, wandte sich Damon von dem Erdengel ab und begann damit, seine Jacke auszuziehen. Er hob das weiße Shirt über seinen Kopf und warf es zur Lederjacke auf die tote Erde des Hügels. Mit nacktem Oberkörper trat er abermals vor den Erdengel und fuhr sich zaghaft über seine linke Brust, wo das mysteriöse Zeichen verweilte, das für all das Chaos und sein neues Dasein verantwortlich war. Seit der Ausbruch seiner Dunkelheit verebbt war, hatte das Zeichen eine neue Form angenommen. Zwar wies es weiterhin die Kreise und Striche auf, welche dem Anschein nach keinen Sinn ergaben, doch nun wirkte dieses Gebilde mehr wie eine alte, vernarbte Wunde, nicht wie eine frisch gestochene Tätowierung. Das Zeichen war blass, von Narbensträngen durchzogen und fühlte sich deutlich rauer auf seiner sonst so jungen Haut an. »Ich bin auch deswegen hier, Uriel«, durchbrach Damon die Stille, welche er selbst heraufbeschworen hatte. »Wegen deinem Zeichen?« »Ja und nein. Nicht nur. Natürlich möchte ich endlich herausfinden, was das Zeichen auf meiner Brust zu bedeuten hat, was es mit dem Licht auf sich hat und was genau ich nun wirklich bin, aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Ich bin auch wegen dir hier, Uriel.« Nun schien der Erdengel hellhörig zu werden und sah Damon tief in die Augen, während seine eigenen Tigeraugen aufleuchteten. »Ich habe instinktiv nach dir gerufen, weil ich wusste, dass du mich zu Eve führen würdest, aber auch, weil du etwas zu mir gesagt hast, das ich erst jetzt wirklich begreife. Eigentlich waren es sogar mehrere Sätze. Alle ausgesprochen, während ich in der Dunkelheit gefangen war.« Damon streichelte sanft über das vernarbte Zeichen und ließ seinen Geist in die Vergangenheit zurückkehren. Die Worte folgten wie von selbst. »Auch ich habe in die Finsternis geblickt, und auch ich habe mich darin verloren. Doch wo Schatten leben, gibt es immer ein Licht. So fand ich meines. Ich weiß, wie mächtig die Dunkelheit ist. Sie betäubt einen, gibt einem das Gefühl, alles ändern, alles vergessen zu können. Doch es ist falsch. Diese Finsternis, Messias, ist nicht aus Hass geboren, sondern aus Schmerz, Trauer, Verlust und Liebe. Ich kenne diese Gefühle, ich kenne die Finsternis und sie ist falsch. Ergib dich nicht der Dunkelheit, Messias. Sie ist ein mächtiges Element, weil sie sich von Gefühlen ernährt von den mächtigsten. Ich verstehe deinen Schmerz, Messias, aber dies ist nicht der richtige Weg.« Als der letzte Satz in seinem Kopf verklang, sah Damon zum Himmel auf und wartete darauf, was der Erdengel zu seiner Äußerung zu sagen hatte. »Du erinnerst dich also«, verkündete Uriel. »So, wie ich es mir erhoffte. Doch nun frage ich dich, junger Messias, was erwartest du von mir? Was ist dein Wunsch an mich?« »Ich möchte lernen, wie ich die Dunkelheit in meinem Herzen besiegen kann.« »Das ist unmöglich«, erwiderte Uriel gefühlskalt. Damon blieb für Sekunden die Luft im Halse stecken. »Wie meinst du das?«, brüllte er unkontrolliert. »Ich verstehe nicht? Was willst du mir damit sagen? Unmöglich? Es kann nicht unmöglich sein! Deswegen bin ich hier! Deswegen hast du mir all diese Worte gesagt! Es kann doch nicht sein, dass alles umsonst gewesen ist.« »Das ist es auch nicht. Beruhige dich.« Uriel legte sanft seine linke Hand auf Damons Schulter. »Ich wollte damit lediglich sagen, dass du die Dunkelheit in dir niemals bezwingen kannst. Sie wird auf ewig ein Teil von dir bleiben, so wie sie auch ein Teil von mir ist. Doch was ich dich lehren kann, ist, sie zu kontrollieren und zu unterdrücken, damit sie dir und deinen Freunden nie wieder schaden wird.« Ein tiefer Seufzer der Erleichterung drang aus Damons Körper und ließ ihn aufatmen. »Ich kann wirklich lernen, sie zu kontrollieren?« »Ja, daran glaube ich. Ich habe großes Vertrauen in dich.« »Warum?« Nun sah Uriel zum Himmel auf, wie kurz zuvor Damon, nachdem er seine ehrliche Antwort abgegeben hatte. »Weil du mich an mich selbst erinnerst, junger Messias. Das ist alles.« Damon schwieg einen Moment und dachte über die Worte des Erdengels nach, ehe er seine nächsten Sätze mit Bedacht wählte. »Ich habe mich wieder an deine Worte erinnert, Uriel. An alles, was du mir während meines Ausbruchs erzählt hast. Du hast mir gesagt, dass auch du in der Dunkelheit gefangen warst und dennoch ein Licht fandest, das dich befreit hat. Sag mir, Uriel, was war dieses Licht, das dich gerettet hat?« »Nun, junger Messias, das ist eine sehr lange Geschichte«, holte der Erdengel aus. »Nun, Uriel«, machte Damon den Erdengel nach, »wir sind hier doch im Reich der Toten, nicht wahr? Ich denke also, wir haben genug Zeit für eine etwas längere Geschichte.« Zum ersten Mal seit Eves Tod musste Damon lächeln und auch Uriel setzte ein Schmunzeln auf. »Weise Worte, junger Messias. Nun denn, dann lass mich erzählen « Weitere Leseproben
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